16. Oktober 2015 | 18:05 | Kategorie:
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Tourismus und Lebensraum

Wie die Ankündigungen und Berichte zum BÖTM-Topseminar 2015 belegen, ist das Thema „Tourismus und Lebensraum“ inzwischen auch bei den Destinationsmanagern angekommen. Das ist erfreulich! Den Rahmen für die Tagung bildete mit dem Bregenzerwald zudem eine Region, in der Lebensraum- und Kulturraumgestaltung eine hohe Priorität besitzen, die sich durch Regionalität (speziell was Landwirtschaft und Handwerk anbelangt) und Authentizität auszeichnet – und die nicht zuletzt auch touristisch erfolgreich agiert.

Differenzierte Betrachtung erforderlich
Die Erkenntnis, dass im Zusammenspiel von Tourismus und Lebensraum für die Einheimischen die richtige – und gewiss auch regional individuelle – Mischung Bedeutung besitzt ist, ist nicht gerade neu: Der Spruch „Wo sich die Einheimischen wohlfühlen, fühlen sich auch die Gäste wohl!“ geistert seit Jahrzehnten durch die touristische Literatur und er wird in Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen nach wie vor bemüht.

Angesichts meiner Beobachtungen und Erfahrungen kann ich mir gut vorstellen, dass es im Hinblick auf die Frage, was denn ein Lebensraum sei, in dem sich die Einheimischen wohlfühlen und der gleichzeitig auch als Tourismusraum attraktiv ist, einiges zu diskutieren gibt. Beim Start einer solchen Diskussion wäre jeweils auch zu klären, welche Gruppen von Einheimischen und welche Gästetypen dabei im Fokus stehen.

Wohlfühlen – eine Frage der Perspektive
Ich bin davon überzeugt, dass es Destinationen bzw. Tourismusorte gibt, in denen sich die Gäste für die kurze Zeit ihres vorübergehenden Aufenthalts pudelwohl fühlen, während man das jedenfalls für einen Teil der dort Einheimischen nicht behaupten kann. Absolute Monostrukturen mit gähnender Leere zwischen den Saisonen, hohe Kosten für das Wohnen, bedingt durch das beschränkte Baulandangebot in den alpinen Tälern und / oder aufgrund der starken Nachfrage nach Freizeitwohnsitzen sind nur zwei Aspekte unter vielen.

Auch besteht dort nicht nur eine mit statistischen Daten zu belegende, offizielle Abwanderung, sondern es existiert auch so etwas wie eine „versteckte“ Abwanderung. Mit letzterer meine ich die allenthalben vollzogene räumliche Trennung von Betriebsstandort und privatem Lebensmittelpunkt von Touristikern. Dabei denke ich nicht an die abseits vom Betrieb situierte Wohnung innerhalb ein und derselben Gemeinde, sondern ich denke an die Auslagerung des Lebensmittelpunktes in tiefer gelegene, wärmere Lagen oder auch in urbane Agglomerationen. Beide Formen der Abwanderung haben etwas mit mangelnder Qualität des Lebensraumes im Tourismusort für dauerhaft Wohnende zu tun und beide Formen haben Konsequenzen für die soziale Struktur und das gesellschaftliche Leben in der Destination.

Tausendsassa Destinationsmanager?
Vor dem Hintergrund der beim BÖTM-Topseminar getroffenen Aussage, dass die Destinationsmanager gefordert seien, als Standortentwickler zu agieren, stellt sich mir doch die Frage, ob die Befassung mit den eben beispielhaft angeführten Phänomenen und anderen Entwicklungen mit Einfluss auf Funktion und Qualität des Lebensraumes Aufgabe der Destinationsmanager sein kann. Ob sie in der Lage sind, kraft ihrer Funktion und Kompetenzen auf diese Entwicklungen unmittelbar Einfluss zu nehmen, wage ich jedenfalls zu bezweifeln.

Schnittstelle zu Gemeinde und Regionalmanagement
Dennoch ist es zu schätzen, dass die Destinationsmanager die Frage „Tourismus und Lebensraum“ aufgreifen. Sie können in ihrer Region die Sache thematisieren und meinungsbildend wirken. Sie können sich dazu jene Partner suchen, die dank ihrer politischen Funktion oder ihres beruflichen Auftrags über Instrumente und Möglichkeiten verfügen, konkrete Beiträge zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu leisten. Das sind zum einen die Gemeindeverantwortlichen, allen voran die Bürgermeister, und das sind zum anderen die Regionalmanagements, jedenfalls dort, wo solche eingerichtet sind – was in vielen Tourismusregionen Österreichs der Fall ist.

An den Schnittstellen zum Regionalmanagement decken sich die Interessen der Destinationsmanager nach einer tourismuswirksamen, nachhaltigen Lebensraumgestaltung mit den von den Regionalmanagements für die Leader-Periode 2014 bis 2020 formulierten (und von Land, Bund und EU abgesegneten) Strategien, Zielen und Maßnahmenplänen für die Region. Denn in der neuen Förderperiode stehen in aller Regel nicht mehr rein touristische Intrastrukturprojekte im Vordergrund (da wurde in den bisherigen Leader-Perioden sehr viel geleistet), sondern es geht in erster Linie um Projekte, die der Gestaltung und nachhaltigen Sicherung eines attraktiven Lebensraumes dienen. Themen, die in diesem Zusammenhang auf der Agenda stehen, sind u.a. Regionalität, Verbreiterung der regionalen Wertschöpfung, Innovation und KMU, Energie, Mobilität, Gemeinwohl, Natur- und Kulturlandschaft.

Wichtig – der Blick aufs Ganze
Damit schließt sich der Kreis zu Anregungen, die beim BÖTM-Topseminar im Bregenzerwald eingebracht wurden. Im Sinne der Zukunftssicherung der touristischen Grundlagen sind die Destinationsmanager zweifellos gefordert, über die rein touristischen Interessen hinauszudenken und das System Tourismusdestination bzw. Tourismusregion in allen Facetten zu betrachten. Sie müssen dort, wo es angebracht ist, ihre Stimme erheben und, sofern möglich, auch Weichen stellen. Denn wer ist im Hinblick auf die Thematik „Destination als Lebensraum“ glaubwürdiger als ein Destinationsmanager, der – jedenfalls nach innen – nicht nur mit Nächtigungszahlen, Marketingbudgets und touristischen Infrastrukturen argumentiert, sondern der seine Aufmerksamkeit auch jenen Herausforderungen zuwendet, die vordergründig nicht als touristisch erscheinen, deren Bewältigung aber sehr wohl der Weiterentwicklung und langfristigen Absicherung der Grundlagen des Tourismus dient. Für die fachliche Ausarbeitung und Umsetzung stehen ihm in der Regel kompetente Partner vor Ort zur Verfügung.

17. Oktober 2015, 21:17

Einen anderen Blickwinkel auf dieses Thema bringt die Presse von heute. Sie stellt unter dem Artikel „Städter sind die neuen Bewohner der Alpen“ fest, dass die höher gelegenen Regionen sowohl in Kalifornien als auch in den Alpen – zumindest punktuell – Zuwanderung erfahren. Urbane Menschen entdecken mehr und mehr die Berge als Sehnsuchtsort mit vielfältigen Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung. ZUdem ermöglicht das Internet die Möglichkeit das Gebirge nicht verlassen zu müssen. Dazu kommt wohl auch, dass bei heissen Sommern die Kühle der Berge eine willkommene Alternative darstellt und auch die nicht mehr im Erwerbsprozess stehende Bevölkerung zum Teil dauerhaft die Städte verlässt, die zunehmend weniger Lebensqualität bieten.

19. Oktober 2015, 16:49

Die Thematik ist in der Tat komplex und der Blickwinkel sind daher viele. Die Ergebnisse der Studie von Ernst Steinicke vom Institut für Geographie der Universität Innsbruck, auf die sich Franz Hartl in seinem Kommentar bezieht und über welche „Die Presse“ in ihrer Ausgabe vom 16.10.2015 berichtet, ist dafür ein Beleg.

Natürlich gibt es den Zug der Städter ins Gebirge, auch wenn dieser im Hinblick auf die Motivation, die Dauer des Aufenthalts (Stichwort Freizeitwohnsitze) und die Örtlichkeit des Geschehens durchaus unterschiedlich ausgeprägt ist. Ein wichtiger Aspekt dabei ist zweifellos der Grad der Attraktivität der Städte als Ausgangspunkte solcher Wanderungen – und da geben in Österreich viele inner- und außeralpine Städte dank ihrer hohen Lebens- und Erholungsqualität wenig Anlass zum (dauerhaften) Wohnortwechsel in periphere Gebirgslagen.

Es existieren nicht wenige Untersuchungen, die das Ausdünnen der ländlichen Siedlungen in Teilen des österreichischen Berggebiets bestätigen. So geht z.B. die ÖROK-Studie „Kleinräumige Bevölkerungsprognose für Österreich 2010 – 2030 mit Ausblick bis 2050“ davon aus, dass in weiten Teilen des österreichischen Berggebiets die Bevölkerungszahl in den kommenden Jahrzehnten zurückgehen wird. In Tirol gehört etwa nicht nur das peripher gelegene Osttirol dazu, sondern auch der Bezirk Landeck, mit den touristischen Top-Destinationen Serfaus-Fiss-Ladis, Ischgl-Paznaun und St. Anton am Arlberg. Auch der Bezirk Zell am See, nicht gerade touristisches Niemandsland, ist laut den ÖROK-Berechnungen davon betroffen. Von den alpinen Regionen im Osten Österreichs einmal ganz zu schweigen.

Ähnliche Entwicklungen sind in der Schweiz zu beobachten. Wie neulich auf einer Tagung in Innsbruck diskutiert, ist in der Schweiz die aktive Gestaltung von Schrumpfungsprozessen durchaus ein Thema, wobei das in Frage kommende Maßnahmenbündel ein breites ist und von der aktiven Gegensteuerung bis hin zum kontrollierten Rückzug aus potentialarmen Räumen reicht.

Prognosen sind bekanntlich nicht dazu da, um die Betroffenen wie beim Maus-Schlage-Spiel auf das scheinbar Unvermeidliche starren zu lassen, sondern sie zeigen auf, was passiert wenn nichts passiert. Auch in Tirol hat daher die Landesregierung konkrete Programme initiiert, um den vom Bevölkerungsverlust bedrohten Regionen unter die Arme zu greifen und nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ Entwicklungsimpulse zu initiieren. Diese Programme zielen u.a. auch auf die rund um die touristischen Zentren gelegenen Gemeinden ab und sie sichern den Tourismuszentren somit im Sinne der regionalen Nachhaltigkeit ein Umfeld, das in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht intakt ist.

27. Oktober 2015, 9:38

Lebensraumkonzepte in der Praxis

Eine Erhöhung der Lebensqualität für die Einheimischen führt meist auch zu einer Erhöhung der Urlaubsqualität für die Gäste. Diesen Ansatz hat Kohl & Partner bei der Entwicklung von Lebensraumkonzepten in Dorf Tirol und Partschins in Südtirol gewählt und erreicht, dass die Entwicklung in den Orten als etwas – von den Einheimischen – sehr „Persönliches“ empfunden wurde. Die Einheimischen formulieren und setzen Maßnahmen nämlich nicht deshalb um, damit es den Tourismus besser geht, sondern für sich selbst!

Vier Thesen von Kohl & Partner zu Lebensraumkonzepten
1. Lebensraum/Lebensqualität ist nur individuell messbar und deshalb mit Zahlen kaum belegbar! In anderen Worten:
Wir können Lebensqualität „spüren“ aber nicht bzw. kaum mit Zahlen messen (und sollten es auch nicht tun)!
2. Lebensqualität kann nur vermitteln/verkaufen, wer selbst Lebensqualität hat!
3. Lebensqualität braucht Eigenverantwortung und setzt auf „Gutes tun“: sich selbst, der Familie, den Freunden,
den Nachbarn, den Gästen/den Kunden etc.
4. Lebensqualität setzt auf Werte, die uns wichtig sind! Werte muss man haben, verkörpern und leben!

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