15. Juli 2012 | 08:00 | Kategorie:
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„Guter“ und „böser“ Vertrieb in der Hotellerie: eine differenzierte Betrachtungsweise

Die aktuelle Diskussion um „böse“ Vertriebsplattformen, die mit ihrer Marktmacht angeblich die wehrlose Hotellerie erpressen, wird sehr einseitig geführt. HRS, Booking & Co würden die Betriebe mit exorbitanten, weil „leistungsfreien“ Provisionen knebeln, jegliche Wirtschaftlichkeit verunmöglichen und somit zu den Totengräbern der Hotellerie werden.

Diese Betrachtungsweise vernachlässigt freilich komplett die unternehmerische Eigen- und Letztverantwortung. Jedem Betrieb steht es frei, die für ihn wichtigen, weil wirksamen Vertriebskanäle zu wählen. Ob er den Vertrieb mit oder ohne Vertriebspartner wie Tour Operator, Portale oder Angebotsnetzwerk sicherstellt, ist seine freie – und hoffentlich richtig kalkulierte – Entscheidung. Vertriebspartner kosten immer, weil sie ja auch eine Leistung erbringen. Der Preis für diese Leistung ist eine Frage der Marktmacht – so funktioniert grundsätzlich mal Marktwirtschaft – von A wie Apple bis V wie VW!Ganz generell steigen die Vertriebskosten in unserer globalisierten (Tourismuswelt) als Resultat massiver Angebotsüberhänge. Je austauschbarer Betriebe oder Destinationen sind, umso höher wird letztlich deren Abhängigkeit von externen Vertriebspartnern. Wenn das einzige Differenzierungsmerkmal sich auf Begriffe wie „4 Sterne“ oder „Skiregion“ bezieht, ist man als Anbieter letztlich auch „nur“ mehr über Portale und über den Preis als einzig verbleibendem Differenzierungsmerkmal auffindbar. Dass es natürlich auch anders gehen könnte, zeigen aktuell die bestens positionierten Kinderhotels:  mit ihrem klaren Profil und ihrer begehrten Marke setzen sie aktuell auf einen reinen B2C Vertrieb ohne Absatzpartner wie Buchungs-Portale (ohne dass man allerdings vergessen sollte, dass alle direkten Vertriebsformen auch nicht gratis sind).

Ja, es stimmt, dass die Vertriebskosten stark steigen. Gleichzeitig steigen jedoch auch Waren- und Betriebskosten exorbitant, ohne dass Energiewirtschaft oder Lieferanten an den Pranger gestellt oder diesen ein „Ausstieg“ angedroht würde – weil es falsch wäre und auch unmöglich! Die Branche investiert enorme Summen in Google Adwords ohne dass hier eine entsprechende „Systemkritik“ Platz greifen würde. In einem „wheel of sales“ wird über kurz oder lang auch ein vermeintliches „Oligopol“ großer Portale Konkurrenz bekommen und durch günstigere (lokale?) Lösungen bedrängt werden. Deshalb: Besonnenheit statt „Kriegsführung“, ein professionelles Miteinander statt Polarisierung wären das Gebot der Stunde auch in der aktuellen Vertriebs-Diskussion. Folgendes soll dabei nicht vergessen  und an den Anfang der Diskussion gestellt werden: 1.) Nur eindeutig positionierte, stark profilierte  und beim Kunden begehrte (Marken-)Betriebe und Destinationen schaffen Vertrieb auch  künftig noch „aus eigener Kraft“.  2.) Nur mit einer entsprechend hohen Preis-Souveränität ist  – selbst nach Abzug von Vertriebsprovisionen –  ein auskömmliches Wirtschaften möglich.

16. Juli 2012, 8:57

Sehr geehrter Herr Schuhmacher,
ich kann Ihren Ausführungen nur zustimmen. Die Portale zu „dämoniesieren“ wird nichts bringen. Der Verkauf des Produktes und die Wahl der Vetriebsschiene ist und bleibt ureigenste unternehmerische Entscheidung. Dies hat sich auch mit dem Entstehen der Buchungsportale nicht geändert. Sinnvoller ist es, die neuen Möglichkeiten intelligent für den seine Vertriebsstrategie zu nützen und dazu hilft auch die neue ÖHV-Untersuchung über die stärken und schwächen der bestehenden Portale – übrigens sehr gut gemacht!

16. Juli 2012, 11:23

Sehr geehrter Herr Schuhmacher, auch ich kann Ihnen zustimmen. Im Endeffekt müssen die Unternehmer entscheiden, welchen Verkaufs- und Buchungstool sie vertrauen möchten und welches für Ihren Betrieb am sinnvollsten ist.Die steigenden Vertriebskosten, müssen Unternehmerseitig gut kalkuliert werden. Noch vor einigen Jahren, haben sich Hoteliers Ihre eigene Verkaufsabteilung (oder „Verkäufer“) geleistet, die mittlerweile durch Buchungsportale oder externe Firmen ersetzt worden sind. Nur die wenigsten haben aus den bestehenden Möglichkeiten (auf die Unternehmensgröße angepasste), den optimalen Verkaufsmix erstellt. Das Zielgruppenorientierte Marketing würde leider sehr vernachlässigt. Jeder Hotelier will immer neue Gästeschichten ansprechen ohne einen USP. Mittlerweile werden die Mitarbeiter eher zur Verwaltung der Buchungsportale verwendet als zum verkaufen selbst. Ich finde man sollte nicht die Buchungsportale an den Pranger stellen, sondern eher für den eigenen Betrieb alternative oder auch altbewährten Verkaufslösungen einsetzen um mit diesem Mix die optimale Auslastung zu erzielen und damit auch etwas mehr Unabhängigkeit zu bekommen.

18. Juli 2012, 10:11

In den vergangenen Jahren hat sich im Windschatten der Hotellerie ein ganzer Wirtschaftszweig etabliert: Reise- und Buchungsplattformen haben eine Nische besetzt und – gemeinsam mit vorausschauenden Hoteliers – strukturelle Defizite nachhaltig behoben. Wie stark diese Start-ups davon profitiert haben, zeigt die Entwicklung: Mittlerweile laufen 19 % des Online-Geschäfts über Reiseplattformen (OTAs). Mit steigendem Gästezuspruch agieren die Portalbetreiber zunehmend selbstbewusst. Das ist freilich marktkonform. Irgendwann war/ist es aber nicht mehr partnerschaftlich.
Überhaupt würden die Hoteliers sehr gerne zu einer partnerschaftlichen Kooperation zurückkehren. Die Portale wollten ihre Marktmacht dazu nutzen, den Hotels Richtlinien aufzuzwingen, die alles andere als partnerschaftlich sind: Sie wollten das letzte verfügbare Zimmer und Bestpreisgarantie – über die Portale sollen die Zimmer also günstiger verkauft werden. So kristallisiert sich in der Hotellerie derzeit ein Trend heraus, der einzigartig ist: Während die Margen für Vermittler in anderen Branchen sinken, steigen sie in der Hotellerie stark.
Irritierend ist, wenn man sich bei einem Berater die Frage stellen muss, auf wessen Payroll er steht: Denn seinen Kunden pauschal anzuraten, rigorose Kommissionserhöhungen einfach zu schlucken, kann nur schwer mit den Kundeninteressen in Einklang gebracht werden. Vielmehr wäre dem Hotelier dringend zu raten, die Input-Output-Relation und damit das Vertragsverhältnis zu hinterfragen. Viel problematischer erscheint, dass auch noch so differenzierte und spezialisierte Hoteliers ohne Vertrag mit der jeweils notwendigen Plattform auf vorgelagerten Marketinginstitutionen nicht auftauchen – siehe etwa http://www.austria.info/at/uebernachten, http://www.wien.info/de/hotels/ oder ein Suchergebnis auf der Website der Tirol Werbung unter http://bit.ly/P9Vb2i. Inwiefern sich dieser Zwang (Betriebe sind nur über den teuersten Weg buchbar) mit unternehmerischer Selbstverantwortung in Einklang bringen lässt, kann vielleicht Herr Schumacher beantworten.

23. August 2012, 13:34

ich stimme ebenfalls zu – hinzu kommt noch, dass gerade im Tourismusbereich/Reisen die Konkurrenz bereits jetzt schon SEHR sehr hoch ist. Da muss man sich als Betrieb schon was gutes einfallen lassen – und ohne Vertriebspartner geht meiner Meinung nach heutzutage sowieso nichts mehr vorwärts.

24. August 2012, 6:51

Im Beitrag von Hr.Reisenzahn irritiert mich die Frage der Stellung von Beratern. Ein guter Berater im Hotelbereich geht ja nicht allein auf die Auslastung ein, sondern hauptsächlich auf das Ergebnis. Ich kann nur immer wieder betonen, daß die Fokussierung auf Auslastung einseitig ist. Revenue Mgmt gehört einfach dazu! Ich erlebe es immer wieder, daß Hoteliers meinen, sie hätten früher günstig „verkauft“ u praktisch keine Vertriebskosten gehabt. Freilich, wenn man die Kommissionen der RV nicht gebucht hat, sondern einfach den Netto Hotelpreis als (quasi verminderten) Rechnunsbetrag u damit als Einnahme, fiel die Kommission einfach nicht auf. Ist ja das gleiche Spiel mit dem Skonto: können wir auch einfach als verminderten Rechnungsbetrag oder als „Skontoertrag“ verbuchen. Das ist in beiden Fällen ergebnisneutral. Wenn wir „heutzutage“ aber plötzlich die 10-15% OTA Kommission als Marketingkosten verbuchen – was korrekt wäre – dann explodieren natürlich diese Kostenstellen. Als wir lediglich die Möglichkeit hatten, RV Verträge oder Verkauf über Privat gabs bis zu 35% Kommissionen. Heute haben wir mehrheitlich 10-15% Kommission bei OTAs. Ich frage mich schon: was ist da höher – gewesen? Das hat mit der Stellung des Beraters gar nichts zu tun. Im Grunde aber hat sich die Sache nicht geändert, „im Marketing nichts Neues“: ein USP muß her!

3. Juni 2013, 15:01

Ja, es ist eine unternehmerische Entscheidung. Jedoch eine politische, wenn mit unseren Steuergeldern ein für Tiroler Betrieben immens wichtiges Portal wie Tiscover aufgebaut wird und dann an einen Konzernriesen verkauft wird und alle Marktmacht außer Hand gegeben wird. Bei so viel Opportunismus muss ich einfach passen, und dabei werden ja noch unsere Steuergelder verschwendet.

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