Quo vadis alpiner Tourismus – Zukunft mit und ohne Schnee
Im laufenden Transformationsprozess auch einmal Komplexität reduzieren, es „auf den Punkt bringen“ — um nämlich ins Gespräch zu kommen und die Zukunft von Skigebieten bzw. ganzjährig betriebenen Bergresorts gestalten zu können. Das hat Ihr Autor im Rahmen eines Kurzreferates bei den INTERALPIN INSPIRATION DAYS 2023 anhand eines von Robert Six gestalteten Wimmelbilds mit insgesamt neun Zukunftsbildern – jeweils drei ab 2020, 2030 und 2040 – versucht.
2020
1. Technische Beschneiung
Diese im wahrsten Sinne des Wortes flächendeckend erfolgreiche Anpassungsstrategie ist im Laufe der Jahrzehnte deutlich effizienter geworden. Zudem hilft modernes Schneemanagement in Form von immer ausgefeilteren Methoden (Schneehöhenmessung, Snowfarming etc.), um mit vielerorts knapper werdenden Ressourcen wie Wasser oder leistbarer Energie hauszuhalten. Letztendlich gibt es aber doch Grenzen, was an einem bestimmten (Mikro-)Standort technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Seehöhe mit gesichertem Schneedeckenaufbau (natürliche Schneefallgrenze) ist als Indikator dafür je nach den Luftmassen, die für den Niederschlag in den jeweiligen Regionen hauptverantwortlich sind, in Österreich sehr unterschiedlich. Großen Einfluss haben zudem lokale Strömungsverhältnisse oder – bei Starkregen – sogar die Geologie.
2. Inszenierung
Speziell im Sommer ist das touristische Bergerlebnis mithilfe der (Seilbahn-)Infrastruktur im tatsächlichen und übertragenen Sinn barrierefrei geworden. Nicht jeder Mensch kann zu Fuß auf den Berg gehen oder mit dem Rad fahren. Der Qualitätsverbund Beste Österreichische Sommer-Bergbahnen zeigt zuhauf positive Beispiele für Inszenierung, also ein vorstrukturiertes, für den Gast mit seinen speziellen Bedürfnissen möglichst anregendes, oft auch lehrreiches und hoffentlich immer sicheres Bergerlebnis. Auch im Winter können Attraktionen wie Funslopes für Spannung und Abwechslung sorgen und dazu beitragen, Besucherströme zu lenken. Im besten Fall kann ein und dieselbe Infrastruktur durch Varianten in der Inszenierung für verschiedene Zielgruppen aufbereitet werden. Denn strategisch gilt es für möglichst vielen Menschen bei möglichst wenig Flächenverbrauch oder sonstigen Eingriffen Nutzen zu stiften.
3. Ganzjährige Nutzung von Infra- und Suprastruktur
Der Tourismus in den Alpen ist historisch gesehen in der Schweiz, in Österreich oder auch in Oberbayern eng mit der Errichtung von Bahnlinien verbunden. Es ist kein Zufall, dass von St. Anton am Arlberg bis zum Semmering viele Tourismusorte bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts durch die Eisenbahn ideal erschlossen sind. Damals war der Sommer die alpine Hauptsaison, mit der berühmten Sommerfrische gab es speziell in Großstadtnähe auch schon Langzeitaufenthalte. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann dann der Urlaub mit dem eigenen PKW zu dominieren und während diverse Sommerdestinationen abseits der Alpen reüssieren konnten, wurde der Winter- bzw. Skitourismus zur Cashcow. Dieses Pendel schwingt zurück, es gibt kaum noch Orte bzw. Beherbergungsbetriebe, die nur auf die Wintersaison setzen – Betriebssperren werden kürzer.
2030
4. Strategische Konzentration des „Must-have“-Schneesportangebotes
Die mit Abstand wichtigste Frage – der sich alle alpinen Destinationen mit relevantem Skitourismus auf ihre Art stellen müssen – lautet, auf welche konkreten Pisten als Minimalangebot gesetzt wird. Was ist das jeweilige „Residuum“, das jedenfalls benötigt wird, um Gäste mit Schneesport zufriedenzustellen. Wo sollen die Weihnachtsferien abgesichert werden? Jede Reduktion der zu beschneienden Pistenfläche erhöht die Schlagkraft der Beschneiungsanlage, ermöglicht eher auch in kurzer Zeit für eine Grundbeschneiung zu sorgen. Diese strategische Entscheidung zur Konzentration auf das „Must-have“ soll ein konzertiertes Vorgehen in Destination oder Kleinregion ermöglichen, speziell in der Frage der Mobilität vor Ort. Wie kommen Gäste, die nicht (mehr) Ski-in/Ski-out nächtigen, zur Piste und wieder zurück? Welche Zubringerbahnen und allfällige Talabfahrten gibt es?
5. Besondere Flexibilität beim „Nice-to-have“-Schneesportangebot
Für heutige Verhältnisse mutet ein Hybridbetrieb, also gleichzeitiges Winter- und Sommerangebot, exotisch an. Aber diese Art Flexibilität, Infrastruktur wie z.B. eine Seilbahn mehrfach zu nutzen, könnte Schule machen. Derzeit ist das von den betrieblichen Abläufen her noch kaum vorstellbar, aber wenn dann beispielsweise in manchen Bereichen kein oder nicht genug Schnee liegt, dann bleiben ausgewählte Biketrails, Kinderspielplätze, Wanderwege, Klettersteige etc. (vorübergehend oder auch permanent) im Winter in Betrieb. Die Konzentration auf das „Must-have“ wird zudem mancherorts mit einem (Teil-)Rückbau bzw. mit der Nachnutzung von bestehender (Winter-)Infrastruktur einhergehen. Unter umgekehrten Vorzeichen könnte neu entstehende (Sommer-)Infrastruktur – wie ein Bikelift – teilweise auch im Winter für den Schneesport genutzt werden.
6. Urbane Bewegungsformen wie Rollsport als Chance für den Nachwuchs
Für den Klettersport dürfte der Transfer aus der Kletterhalle auf den Berg durchaus funktionieren. Die alpinen Vereine haben jedenfalls diese Chance zur Rekrutierung neuer Bergsportbegeisterter (und Mitglieder) vor geraumer Zeit erkannt. Aus Kletterhallen mit Bouldern und Toprope-Sicherung geht es hinaus in Klettergärten, Klettersteige und letztendlich das gesamte Spektrum der Alpinistik. So ähnlich könnte es auch mit dem „Rollsport“ funktionieren, denn Parks für Skateboard, Scooter und BMX sind im urbanen Umfeld sehr gefragt. Vom Pumptrack könnte es in Richtung Trailpark am Berg gehen. Was den Charme hat, in der Jugendkultur bereits gut verankert zu sein. Auch der Schneesport sollte viel mehr auf Freeski setzen, Parks für Ski und Snowboard direkt in den Städten mit Trockenpisten entstehen. Von dort ginge es dann in Actionparks wie jene von Woodward.
2040
7. Digital unterstützte Besucherstromlenkung für „optimale“ Auslastung
Allein schon aufgrund der relativen „Kühle“, des Wasserreichtums und der (hoffentlich) guten öffentlichen Erreichbarkeit wird die Nachfrage steigen. Die Alpen werden für Urlaub und Ausflug so attraktiv, dass eine gewisse Kanalisierung unbedingt angezeigt ist. Naturschutzfachlich ist das Prinzip des Skigebiets hoch attraktiv, einer „ungesteuerten“ Nutzung der Kulturlandschaft weit überlegen. Infrastrukturen wie Wanderwege oder Biketrails bzw. Skipisten oder Langlaufloipen – samt dazugehörigen Gastronomiebetrieb, Ausrüstungsverleih etc. – sind möglichst optimal auszulasten. Zeitlich begrenzte Überlastungen sind aus Gründen der Sicherheit, des Komforts und der Arbeitszufriedenheit inakzeptabel, genauso können aber allein schon aus wirtschaftlichen Gründen keine massiven Überkapazitäten gehalten werden. Die Lösung sind digitale Marktplätze, über die Angebot und Nachfrage – gut abgestimmt für verschiedene Leistungen – organisiert werden.
8. „Bike & Hike“
Hier ist gar nicht in erster Linie die besondere Spielform gemeint, bei der mit dem Fahrrad zur Berg- oder sogar Skitour angereist wird. Sondern das gesamte, bereits jetzt stark ausdifferenzierte Spektrum an Aktivitäten rund um das Wandern und Radfahren am Berg. Besonders attraktiv sind unter allen Variationen jene, die (beinahe) ganzjährig betrieben werden können und zudem eine möglichst einfache sowie energieextensive Infrastruktur benötigen. Das Gravelbiken ist beispielsweise eine heute noch relativ neue Disziplin, bei der – wie der Name schon sagt – Schotterstraßen aller Art befahren werden. Die Industrie hat das Potential erkannt und bietet einen Verschnitt aus Rennrad und Mountainbike an, selbstverständlich gerne auch elektromotorisch unterstützt, mit dem ausgewählte Forststraßen ideal befahren werden können. Mehr zu Fuß gehen und Radfahren, gerade auch in der Alltagsmobilität, findet damit seine Entsprechung in Urlaub und Freizeit.
9. Klimaneutralität
Wir für alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche gilt natürlich auch für den Tourismus in den Alpen, ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgasemissionen und der Aufnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken (wie beispielsweise Wald!) herzustellen. Sowohl der Gesetzgeber als auch potentielle Gäste werden Netto-Null-Emissionen erwarten, entsprechende Instrumente wie Environmental Social Governance (ESG) zum Standard. Das Ziel der Klimaneutralität bedingt Kreislaufwirtschaft als neues Paradigma zu betrachten, sich zudem viel stärker mit der Produktion von erneuerbarer Energie zu befassen. In der Tourismuswirtschaft werden wir auch die Gretchenfrage, nämlich jene der Gästemobilität (einschließlich der An- und Abreise), nicht aussparen können.
Abschließend noch ein Hinweis auf das Interreg Alpine Space-Projekt TranStat – Transitions to Sustainable Ski Tourism in the Alps of Tomorrow, über das sich Skigebiete/Bergresorts und wissenschaftliche Organisationen zu Fragen des laufenden Transformationsprozesses vernetzen.
Den sehr guten Überlegungen von Markus Redl kann man vielleicht noch die ein oder andere Dimension hinzufügen.
Neben den Möglichkeiten einer (alternativen) alpinen Bespielung von Pisten, Infrastruktur oder Aktivitäten wie Graveln usw.wird auch der einzelbetrieblichen Angebotsstruktur ein (noch) stärkeres Maß beigemessen werden müssen. Beherberger, welche neben qualitativ hochwertiger Ausstattung über inhaltliche Spezialisierung und somit starke Proflilierung verfügen, werden in schneearmen Winter deutlich besser reüssieren können. Im Gegensatz dazu könnten Anbieter, welche über keine oder nur geringe Angebote verfügen, welche über symbolisch „Bed´n Breakfast“ hinausreichen, in schneearmen Winter deutlich stärker unter Druck geraten. Attraktive öffentliche Angebote wie Thermenlandschaften, Freizeitzentren und Unterhaltungsangebote können hier sicher abfedernd wirken, kommen aber kostenmäßig ( siehe dazu auch Dr.Hartl https://www.tp-blog.at/destinationen/hallenbaeder-teurer-badespass ) immer stärker unter Druck.
Denn – die Krux an der Sache – mittels alternativer Angebote wird man zwar schneearme Zeiträume sicher besser überstehen, sollte aber die klischeehaft verschneite Winteridylle mehr und mehr einer leicht angezuckerten oder gar bräunlich-winterlich ruhenden Landschaft weichen, wird es sicher nicht einfacher werden, Menschen in ausreichend quantitativer Menge für einen Winterurlaub in den Bergen zu überzeugen.
Solange schneearme Winter noch mehr Ausreißer denn die Regel darstellen, wird das den Konsumenten wohl nicht dauerhaft abhalten; sollte dies aber gerade in tiefen und mittleren Lagen mehr zur Norm denn zur Ausnahme werden, dürfte die Luft für viele Anbieter wohl um einiges dünner werden als bisher gewohnt.
Dennoch, und somit der positive Abschluss, gibt es für gute, engagierte kreativ-innovative Unternehmer, Beherberger, Dienstleister, Gastronomie- und Freizeitwirtschaftsbetriebe auch künftig im Winter, vor allem aber auch in einer länger werdenden Sommersaison genug Potenzial, um damit im alpinen Umfeld erfolgreiches Geschäft machen zu können. Wir werden gemeinsam und laufend gefordert sein, hier proaktiv mit bestehendem wie auch neuem Angebot auf die Veränderungen und Herausforderungen des Umfelds einzugehen.
Spannender Beitrag!
Wir entwerfen zur Zeit ein paar Fragen für einen Vortrag eines visionären im Outdoorbereich tätigen Unternehmers im Rahmen unserer Akademie:
Entwicklung des alpinen Skisports:
Wo sehen Sie die Sport-Trends im alpinen Bereich und wie müssen Hoteliers ihr Produkt anpassen (zB für Tourengeher)? – Wie wird die wirtschaftliche Seite der Seilbahnindustrie aussehen, wenn Alpinskifahrer in Höhen bis 1500 m wegfallen?
Und noch eine Frage an einen Visionär: wir hören immer wieder, und eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigte auf, dass das ICH dem WIR weichen wird, speziell betrifft dies Wellness-Industrie. Was muss getan oder zumindest gedacht werden um dieser gesellschaftspolitisch brisanten Umwälzung Rechnung zu tragen.
Digitalisierung & KI-Einsatz
Sie versuchen entlang Ihrer Supply Chain ja lieber den Gegentrend zur Automatisierung zu setzen. Wo sehen Sie das Potential für Hotellerie & Gastronomie in der Digitalisierung & Automatisierung?
Nachhaltigkeit:
Wir haben gelesen, dass Ihr Motto wie folgt lautet: „Wir müssen weg vom Mehr hin zum Besser“.
Wie denken Sie, dass ein Wachstum an Wertschöpfung bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen möglich ist? Wie schaffen wir ein attraktives Reiseziel und gleichzeitig einen Lebensraum, in dem sich Gäste und Einwohner wohl & sicher fühlen?
Es bleibt alles spannend!
Alternative Aktivitäten können neben Wintersportarten wie Winterwanderungen, Schneeschuhwandern oder Rodeln fördern. Oder eine Fahrt mit dem Heissluftballon. Durch die Vielfalt der Aktivitäten könnten auch Gäste bei schneearmen Bedingungen unterhalten werden. Eine inhaltliche Spezialisierung kann Beherbergungsbetrieben auch helfen sich von der Konkurrenz abzuheben und sich auf bestimmte Zielgruppen richten. Dies setzt natürlich eine sorgfältige Analyse der Zielgruppe voraus.
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