Junge Touristiker: Kommen, um zu gehen?
Michael Egger hat es mit seinen Gastkommentaren schon angesprochen, das Mitarbeiterdilemma im Tourismus. Hier ist nun meine Geschichte dazu und ein etwas radikalerer Ansatz.
Im Sommer saß ich mit einem alten Schulfreund am Wiener Rathausplatz bei Bier und Lammcurry und plauderte über alte und neue Zeiten. Dabei wurde mir wieder einmal bewusst, dass alte Schulfreunde, auch wenn man sie Jahrzehnte nicht gesehen hat, immer noch das bleiben, was sie waren: Freunde. Es ist doch erstaunlich, welche Verbundenheit man spürt, sobald man erkennt, dass man im Grundcharakter noch immer der Bub von damals ist, nur mittlerweile mit Lesebrille. Dabei hatte ich schon fast vergessen, dass wir uns mit 15 Jahren wirklich sehr gut verstanden und so einigen Schabernack getrieben haben.
Bevor ich aber vor lauter Nostalgie in Tränen ausbreche, komme ich lieber zum eigentlichen Thema zurück. Dieser alte Freund heißt Alexander Ipp, betreibt mittlerweile sechs Hotels und ist Vize-Präsident der ÖHV. Nicht schlecht für den stets korrekten, aufrecht gehenden damit noch größer wirkenden Teenager, der damals mit mir die Schulbank im Modul gedrückt hat. Dabei kam er nicht einmal aus einer klassischen Hoteliersfamilie. Wir haben also unsere Ausbildung im Tourismus gleichzeitig begonnen.
Wer als erster Alexander Ipp und mich auf dem alten Klassenfoto vom Modul erkennt, wird von mir auf ein Bier, Wein oder was auch immer eingeladen – ehemalige Modulkollegen ausgenommen. 😉
Er hat die Schule sehr erfolgreich durchgezogen und sich erstaunlich entwickelt und ich …. Na ja, Schule war nicht so mein Ding, ich bin der Branche trotzdem treu geblieben.
Nach unserer letzten gemeinsamen Zusammenarbeit, einem Praktikum im Schloss Hernstein 1983, haben wir nach 34 Jahren wieder an einem Projekt zusammengearbeitet. Es war sensationell. Super Erfahrung, wenn ich wieder etwas emotional werden darf. Aber jetzt endlich wirklich zum Kernthema:
Wenn zwei alte Tourismus-Hasen und fast 70 Jahre Erfahrung im Tourismus zusammenkommen und dann auch noch den Virus des Visionären in sich tragen, entstehen zwangsläufig spannende Gespräche. Die Tourismus-Ausbildung beziehungsweise der Personalmangel war eines unserer zahlreichen und sicher eines unserer emotionalsten Themen.
Alexander weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, dass es immer schwieriger wird, geeignetes Personal zu finden, teilweise müssen Betriebe zusperren, weil sie kein Personal haben. Das ist schlicht ein Wahnsinn für ein Land wie Österreich. Es gibt ständig Diskussionen darüber, wie man es schaffen kann, dass sich junge Menschen für einen Beruf im Tourismus interessieren.
Im Gegenzug kenne ich niemanden, der es jemals bereut hätte, im Tourismus gearbeitet zu haben. Ganz im Gegenteil, so gut wie alle haben die Zeit in der Branche genossen und viel daraus gelernt, egal ob es Hotellerie oder Gastronomie war.
Also was ist es, das junge Menschen davon abhält in die Branche einzutauchen?
Die Bezahlung? Die Arbeitszeit? Die (mangelnde) Perspektive? Es gibt sicher viele Gründe.
Ich meine, dass wir uns mal das große Ganze ansehen sollten. Es gibt wenig ältere Menschen im Tourismus, die Masse der Touristiker ist jung. Warum? Weil es verdammt anstrengend ist, im Tourismus zu arbeiten. Was passiert aber mit den Menschen, die eine touristische Ausbildung gemacht haben und irgendwann nicht mehr im Tourismus tätig sind? Alle im mittleren oder gehobenen Management? Alle mit eigenem Lokal oder Hotel? Wohl eher nicht.
Anders als bei Alexander ist meine Erfahrung die des Personals, das “aussteigen” will. Ich weiß, dass es sehr schwer ist und sehr viel Disziplin erfordert, wenn man aus seinem angestammten touristischen Beruf aussteigen möchte. Sogar wenn man in der Branche bleibt.
Und da haben wir folgendes Dilemma. Jeder kann sehen, dass im Tourismus nicht so viel verdient wird, es wirklich böse Arbeitszeiten gibt, der Beruf stressig ist, der Umgangston oft ruppig, die Aufstiegschancen auch nicht das Gelbe vom Ei und wenn man raus will aus seinem Beruf, dann weiß man nicht, wie. Aus welchem Grund sollen sich dann junge Menschen für den Tourismus interessieren?
Die Ausbildung muss meines Erachtens vollkommen neu gedacht werden. Der Fokus sollte nicht nur auf dem Handwerk, sondern auf den Social Skills liegen. Wobei es natürlich wesentlich ist, dass ein Touristiker sein Handwerk beherrscht. Vielleicht sollten wir die Ausbildung mit einer Art “Ablaufdatum” denken. Eine Zeit-/Entwicklungsspanne von 5-10 Jahre setzen und dann den Touristikern ermöglichen, leicht einen Ausstieg zu schaffen. Nicht nur, weil das Thema Ausstieg aus dem Tourismus sicher bei der ersten ernsthaften Beziehung eine Rolle spielen wird. Spätestens jedoch, wenn es um Familienplanung geht.
Ich sage: Die Ausbildung muss mit anderen Branchen kooperieren. Und zwar so, dass es für den jungen Menschen einen enormen Vorteil verspricht, wenn er die Ausbildung im Tourismus anfängt, abschließt und noch ein paar Jahre in der Branche arbeitet. Junge Menschen müssen sofort erkennen, welchen außerordentlichen Vorteil es langfristig bringt, eine touristische Ausbildung anzustreben.
Dazu kommt noch, dass Touristiker nicht nur Ahnung davon haben müssen, wie man ein Schnitzel paniert, einen Teller ordentlich hinstellt (gar nicht so einfach, wie man glauben möchte) oder ein Zimmer rasch säubert. Touristiker müssen auch Ahnung von Marketing, PR, Netzwerken, Psychologie oder beispielsweise Rechnungswesen haben.
Der größte Vorteil der Touristiker und der damit verbundene enorme Vorsprung gegenüber anderen Branchen ist jedoch der der Social Skills.
Wo sonst als im Tourismus lernt ein junger Mensch sich „durchzubeißen“, permanenten Stress und großen Druck auszuhalten, mit Menschen umzugehen, die Angst vor Menschen abzulegen, schlagfertig zu werden, mit dem Generaldirektor genauso Spaß zu haben wie mit dem Bauarbeiter oder ganz einfach nur ordentliche Manieren.
Aber wo braucht man diese Eigenschaften?
In jeder einzelnen Branche!
Und das macht Touristiker zu einer begehrten Gruppe für andere Branchen. Dort werden sie aber unter ihrem Wert geschlagen, weil Touristiker dann “nur” ein Handwerk beherrschen und sich erst recht durchbeißen müssen. Weil sie wieder am Start stehen. Hier müsste die Touristik-Ausbildung es schaffen, dass die Aussteiger bei anderen Branchen einen besseren, leichteren Einstieg haben und dadurch ein entsprechendes Gehalt fordern können.
Fazit
Wir im Tourismus bilden schon seit Jahrzehnten Menschen für andere Branchen aus. Wieso also nicht offiziell? Und wieso nicht in Kooperation mit anderen Branchen, mit einem offiziell anerkannten Ausbildungsnachweis?
Dem Kommentar, eigentlich ist es eine schöne Story, von Herrn Benkovics ist nur eine Kleinigkeit, die aber sehr wesentlich ist, hinzuzufügen: Viele, ich sage allzuviele, Kinder von Touristikern – damit meine ich Gastronomen ebenso wie Souvenirhändler, Lift- oder Campingplatzbetreiber usw. – studieren lieber Soziologie, Politikwissenschaften, Publizistik, Biochemie, Pädagogik uswusf. Das können sie sich meist deswegen relativ locker leisten, weil das Geld dazu von ihren Eltern kommt. Von ihren Eltern nicht ganz. Es wird auch von Köchen/Köchinnen, Kellner*innen, Stubenmädchen, Hausmeistern, Liftwarten etc. erarbeitet. Diese dienstbaren Geister, selbst schon meist mit Migrationshintergrund, sehen die studierenden Sprösslinge ihrer Arbeitgeber zu den (häufigen) Studienferien heimkommen und sollten sie dann noch womöglich bewundern und hofieren, wie gescheit sie doch sind. Diese dienstbaren Geister werden aber ihren Kindern kaum mehr raten im Toursimusgewerbe zu arbeiten, wenn doch selbst die Kinder ihrer Arbeitgeber kein Interesse mehr am Betrieb ihrer Eltern haben. So kommt es eben, dass, wie etwa im Pinzgau, immer mehr Holländer die Betreiber „österreichischer“ Gastlichkeit sind oder anonyme Kapitalgesellschaften. Eines gar nicht so fernen Tages werden sich die österreichischen „Touristiker“ ihre Arbeitskräfte aus Bulgarien der Inneren Mongolei, aus Turkmenistan und ähnlichen Ländern holen müssen. Denn nicht einmal aus Ungarn, der Slowakei, Polen oder Rumänien werden dann Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Das sei dem flüchtenden Branchennachwuchs abschließend gesagt: Wer nicht (selbst) dienen will, der muss halt verkaufen oder verpachten. Eh schön, wenn man diese Wahl hat. Es dauert zwar noch eine Weile, aber so wird es kommen.
Die Conclusio, die Martin Benkovics aus dem Gespräch mit seinem früheren Modul-Kollegen ableitet, kann ich gut nachvollziehen: Der Tourismus sollte in Kooperation mit anderen Branchen auch Menschen für andere Branchen ausbilden, und das mit einem offiziell anerkannten Ausbildungsnachweis.
Diese Schlussfolgerung beruht auf der Erfahrung, dass in allen Ausbildungsstufen des Tourismus, von der Lehre über die Hotelfachschule bis zur Universität junge Menschen die Schulbank drücken, die früher oder später in andere Branchen wechseln. Über die Gründe wurde schon reichlich diskutiert, wobei je nach Perspektive andere Argumente im Vordergrund stehen.
Gerade deshalb scheint es mir im Hinblick auf mögliche Ausbildungskooperationen unverzichtbar, die Ursachen der Abwanderung aus dem Tourismus objektiv, emotionslos und ohne Rücksicht auf irgendwelche Gruppierungen herauszuarbeiten. Man wird dann möglicherweise auch erkennen und akzeptieren (müssen), dass bestimmte Charakteristika der Arbeit im Tourismus, speziell in der Gastronomie und Beherbergung, kaum oder überhaupt nicht zu ändern sind. Nur eine kritische und objektive Analyse vermag die Grundlagen für die Konzeption von Ausbildungskooperationen zu liefern – wie immer diese ausschauen mögen und wer immer mit dem Tourismus im Boot sitzen mag.
Zur Relativierung einer der Hauptsorgen des Tourismus sei angemerkt, dass auch andere Branchen von der Abwanderung bzw. dem fehlenden Zuzug von Arbeitskräften betroffen sind, auch wenn das dort nicht im selben Ausmaß der Fall sein mag. An sich ist ein Branchenwechsel als durchaus normal anzusehen und daher unaufgeregt zu betrachten, solange damit nicht so etwas wie ein Exodus aus der Branche verbunden ist.
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