28. Dezember 2022 | 17:51 | Kategorie:
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Arbeitsmarkt: Risikofaktor Erwerbsbeteiligung

Die monatlichen Jubelmeldungen zu den sinkenden Arbeitslosenzahlen sind unsere ständigen Begleiter, zuletzt war bei einer Quote von 6,2 Prozent vom „niedrigsten Novemberwert seit 15 Jahren“ die Rede. Auch im September wollte man ähnlich erfolgreiche Ergebnisse verzeichnet haben.

Viele unter uns, die selbst als Unternehmer tätig sind, haben seit längerem bei diesen Meldungen ein dumpfes Gefühl. Denn das, was wir beobachten, mag sich nicht so ganz decken mit dem, was uns die Arbeitsmarktstatistik sagt. Wo sind diese Menschen alle? Wo und wann arbeiten sie? Und darum werden immer öfter Rufe nach höheren Sozial- und Transferleistungen laut?

Das WIFO hat nun sein Radar der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft 2022 publiziert. Dafür bin ich sehr verbunden, denn hier finden sich erhellende Ausführungen (ab Punkt 2.2) zum Thema Arbeitsmarkt, die ich hier auszugsweise und ohne weiteren Kommentar zitieren darf:

Neben der Beschäftigungs- und der Arbeitslosenquote geben weitere Indikatoren Auskunft über das Ausmaß und die Verteilung der Erwerbsbeteiligung. Gemessen an der Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten) liegt Österreich mit einem Prozentrang von 26,7 (2021) nur an 23. Stelle von 30 Vergleichsländern. Dieses schwache Abschneiden ist durch die hohe Teilzeitquote in Österreich zu erklären. In den letzten 10 Jahren ergab sich bei diesem Indikator ein erheblicher Positionsverlust (vom 11. auf den 23. Rang). Österreichs Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten stagniert seit über 20 Jahren (2000 bzw. 2021: 62,6%), während die Vollzeitbeschäftigung in den meisten anderen europäischen Ländern stetig zugenommen hat. Zwar stagnierten die Quoten auch in einigen skandinavischen Ländern (Dänemark, Island, Norwegen) langfristig, allerdings auf deutlich höherem Niveau als in Österreich. Andere europäische Länder mit ebenfalls niedrigen Quoten, die diese in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich steigern konnten, sind lediglich Belgien, Griechenland und Rumänien.“

Österreich verzeichnete 2001 laut Statistik Austria rund 8,033 Millionen Einwohner, davon waren 46,5 % erwerbstätig und 3,2 % arbeitslos. 2011 waren 47,8% von insgesamt rund 8,402 Millionen Einwohner erwerbstätig, 3,0% arbeitslos. Ende 2021 zählte man in Österreich rund 8,980 Millionen Einwohner, davon waren 47,95% erwerbstätig.

Fazit: Bevölkerung wächst, Erwerbstätigenquote bleibt etwa konstant, Vollzeitäquivalente stangieren seit 20 Jahren. Das ist ein Risikofaktor, der nicht zu unterschätzen ist.

28. Dezember 2022, 22:42

Liebe Ulrike, da könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass a) in Österreich arbeitende Menschen weniger „arbeitswillig“ sind oder b) der Wohlstand der Bevölkerung so gross ist, daß Arbeiten (in Vollzeit) keine Notwendigkeit darstellt, oder c) die Sozialleistungen in Summe so hoch sind, daß „mehr als nötig“ Arbeiten nicht notwendig ist usw.usw.

Jedenfalls zeigt sich wieder mal, daß es rein auf die Interpretation der Zahlen ankommt, und da kann man nur festhalten: was hilft die noch so hohe Zahl an Beschäftigten, wenn überall, wo (Voll-oder Teilzeit) Arbeitskräfte benötigt werden, selbige dennoch fehlen? Einen Blogbeitrag dazu habe ich auch bereits 2021 verfasst, zur Erinnerung siehe hier:
https://www.tp-blog.at/aus-und-weiterbildung/where-have-all-the-workers-gone-wohin-sind-sie-bloss-verschwunden

Da gibts nur eine Lösung: neue Kräfte braucht das Land, mit Rezepten der Vergangenheit wird dieses Problem künftig sicher nicht zu bewältigen sein….da ist und bleibt die Politik gefordert, RASCH darauf zu reagieren!

29. Dezember 2022, 10:48

Zu Vollerwerbsquote vs Teilzeiterwerbsquote:
● Betrifft hauptsächlich die ländlichen Gebiete, wo in Österreich der Schwerpunkt der Tourismusbetriebe angesiedelt ist: Mangelnde Kinderbetreuung zwingt (zu 95% die Frau) zur Teilzeit.
● Bei jüngeren „gebildeten“ Leuten: Work-Life-Balance ist seeehr wichtig geworden, Paare „teilen“ sich die Erwerbsarbeit.
● Jetzt mal ehrlich: Welche durchgängigen, attraktiven Arbeitsverhältnisse bietet speziell der Saisontourismus?
● Ein Vergleich der hinkt, ist: Länder wie etwa Belgien, bei denen der Tourismus keine nennenswerte nationale Wertschöpfung hat, dafür viele (hochkarätige) Industriearbeitsplätze, mit einem Tourismusland wie Österreich zu vergleichen, das strukturell recht unterschiedlich aufgestellt ist.
● Eine Mär ist: Die Sozialleistungen sind zu hoch, „de Leit‘ woll’n nix mehr hackeln“. Selbst wenn das stimmte, was nicht der Fall ist: Die Motivation und Arbeitsmoral, die gerade für einen Dienstleister wie den Tourismus – wo es auf den Gäste-Kontakt ankommt – wird nicht steigen, wenn man (arbeitslosen) Menschen a priori unterstellt, sie seien (eigentlich) faule Säcke, denen man nur die Sozialleistungen kürzen müsste und alles wäre in Butter. Abgesehen davon wird bei dieser Argumentation immer unterschlagen, dass das Arbeitslosengeld ja nur für einen begrenzten Zeitraum gewährt wird und das AMS ja jetzt schon bei nicht konformen Verhalten Kürzungen und Aussetzungen durchführt.
● Ich bin kein Fan dieser Regierung, aber wirtschaftliche Entwicklungen auf der Makro-Ebene können Regierungen eines kleinen Landes wie Österreich kaum nennenswert beeinflussen. Viel eher eine Interessenvertretung wie die in Österreich (wie in kaum einen anderen Land) mächtige WKO. Von der hört man zu den hier diskutierten Entwicklungen wenig bis gar nichts. Außer, „die Sozialleistungen sind zu hoch, deswegen arbeiten immer weniger Leute“. Selbige zu verringern und zu hoffen, dass dadurch die Vollerwerbsquote in Österreich ansteigt, ohne innovative Zukunftskonzepte ist nicht nur naiv und/oder dumm, sondern höchst gefährlich – weil sich dann ja nichts strukturell nicht ändern würde.

Erich Holfeld

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