17. Oktober 2024 | 23:50 | Kategorie:
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Pioniergeist mit und ohne Schnee

Die Wintersaison naht. Am vergangenen Samstag wurde wieder ein Teilabschnitt der Wexl Trails eröffnet. Karl Morgenbesser und sein Team der Wexl Arena sehen Mountainbike zunehmend als ganzjährige Aktivität. Bei unserem bisherigen Hybridbetrieb in Niederösterreich – klassische Sommerangebote wie ein Motorikpark zusätzlich zum Schneesport – hatte Mountainbike wenig bis keine Rolle gespielt. Es war eher so, dass wir nach Ende der Skisaison rasch wieder umgestellt haben.

Die neue Insta360-Line liegt jedoch im Bereich des ehemaligen Einersesselliftes mit relativ wenig Naturschnee, oberhalb der aktuell im Winter beschneiten Pisten (im Sommer Bikepark) und des Speicherteichs. Die bestehende Infrastruktur im Bereich Orthof (Parkplatz und WC-Anlagen von Sommerrodelbahn und Erlebniswegen) kann genutzt werden, ohne den Skibetrieb im nahen Ortsteil Unternberg kapazitätsmäßig zu belasten.

In Zukunft wird Radfahren (und Wandern) zumindest am voralpinen Wechsel beinahe das ganze Jahr über möglich sein. Wenn Flächen für den Schneesport wegfallen, dann macht das frei für neue Nutzungen.

Nach dem möglichen Engagement einer börsennotierten Gruppe wie Vail Resorts und deren Produkt- und Preispolitik („Vail am Arlberg“) ist dieser zweite Teil einer Trilogie zu jenen Themen, die den Bergtourismus in unserem Land in den nächsten fünf Jahren entscheidend prägen werden, der Klimawandelanpassung gewidmet. Ein dritter und letzter Beitrag zum Themenkreis Besucherstromlenkung folgt.

Der Prozess des Transformierens

Wenn wir uns frei nach Ruth Seliger fragen: Was gelingt uns touristisch in den Alpen, was nicht? Wie erklären wir uns das? Was lernen wir daraus und wie machen wir weiter? Dann ist auffällig wie die historische Entwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Erschließung durch Eisenbahnen, Aufbau der traditionellen Hotellerie sowie der ersten Seilbahninfrastruktur von St. Anton am Arlberg bis zum Semmering immer noch positiv nachwirkt. Auf dieser Grundlage waren die Pionierleistungen in Aufbau und Entwicklung der modernen Skigebiete mit ihren leistungsfähigen Aufstiegshilfen, der Pistenpräparation und dem perfekten Schneemanagement in den vergangenen Jahrzehnten möglich.

Im Sog des wirtschaftlich erfolgreichen Skitourismus ist in unserem Land eine enorme Breite und weltweit führende Spitze der bergtouristischen Infra- und Suprastruktur entstanden. Der entscheidende Faktor ist dabei die technische Beschneiung. Selbst in einem durch Extremwetter geprägten Winter wie 2023/2024 konnten die Ersteintritte in Österreich gehalten werden, war (bei vielfach österlichen Verhältnissen im Februar) von West bis Ost Schneesport sehr gut möglich: eine technische Meisterleistung! Aber natürlich gibt es gerade bei Starkregen oder Föhnsturm auch Grenzen, nicht alles ist technisch und naturschutzfachlich machbar oder wirtschaftlich sinnvoll.

Bereits seit den 1980er-Jahren mussten alpenweit viele Orte angesichts des Klimawandels (und gestiegener Ansprüche der Gäste) Schneesport für Tourismus und Freizeit wieder aufgeben. Ein ganzes Skigebiet oder auch Teilbereiche rückzubauen ist – trotz des historisch gesehen kurzen Bestandes – unheimlich schmerzhaft, bedeutet in der Region nicht nur einen wirtschaftlichen Verlust, sondern stellt auch für Lebensgefühl und Selbstverständnis eine Zäsur dar. Monica Nadegger wird zukünftig am MCI die weitere Entwicklung solcher Orte („Neue Wege für Wintertourismus: Das organisationale Nachleben von geschlossenen Skigebieten und alternative Geschäftsmodelle für Ski- und Wintertourismus“) mit Unterstützung der Tiroler Nachwuchsforscher*innenförderung untersuchen.

Aber auch dort, wo die Lifte nicht abgebaut worden sind, hat sich in den letzten Jahren sehr viel verändert: Ein reiner Winterbetrieb ist unüblich und ein professioneller, zeitlich ausgedehnter  Sommerbetrieb – wie er seitens der Seilbahnwirtschaft im Qualitätsverbund Beste Österreichische Sommer-Bergbahnen vorgelebt wird – der Regelfall geworden. Aus einer strategischen Notwendigkeit rund um Ganzjahresarbeitsplätze und Vollbelegstage wurde ein wirtschaftlicher Erfolg.

Derzeit beginnt sich – wie eingangs am Beispiel der Wexl Trails geschildert – die Dichotomie von Winter- und Sommersaison aufzulösen. Typische Sommerattraktionen werden (beinahe) das ganze Jahr angeboten, Nicht-Ski-Gästen auch im Winter ein Bergerlebnis ermöglicht. Besonders erfolgreich sind dabei Gletscher wie beispielsweise das Kitzsteinhorn mit der direkten Verbindung aus Kaprun mittels 3K K-onnection.

Der Elefant im Raum

Die sich durch den Klimawandel für den Bergtourismus ergebenden Risiken und Chancen liegen auf der Hand. Während im Winter angesichts der Dominanz des wertschöpfungsstarken alpinen Skilaufs bzw. Snowboardens die Frage der Schneesicherheit von allerhöchster Bedeutung ist, könnte der Sommer durch relative Kühle und Wasserreichtum gegenüber vielen anderen Destinationen an Attraktivität gewinnen. Allerdings ist der alpine Raum bereits jetzt verstärkt von Steinschlag, Waldbränden und Vermurungen betroffen.

Den besten Überblick gibt der APCC Special Report Tourismus und Klimawandel in Österreich (SR Tourism), für die Schneesicherheit das Kapitel Outdooraktivitäten und damit zusammenhängende Einrichtungen im Winter; Robert Steiger von der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck hat dieses als Leitautor koordiniert. Je nach angenommenen Klimaszenario (global gesehen mehr oder weniger Klimaschutz) unterscheidet sich die zukünftige Schneesicherheit stark.

Gearbeitet wird – aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen – mit einem „100-Tage-Indikator“ (sind mindestens 100 Betriebstage möglich) sowie der Schneesicherheit in den Weihnachtsferien, wobei jeweils die heutige sowie eine verbesserte Beschneiungskapazität betrachtet wird: „Eine Erhöhung der Schneileistung in allen Skigebieten auf die heutige Referenzgröße (Grundbeschneiung innerhalb 72 Stunden) kann die Schneesicherheit deutlich verbessern.“ Schneesicherheit auf Skipisten ist heute primär von der technischen Beschneiung abhängig. Der Maschinenschnee hat eine höhere Dichte, hält bis zu einem gewissen Grad auch Regen und höheren Temperaturen stand.

Der Elefant im Raum ist die bange Frage, wann uns denn der Schnee wo genau ausgeht:

„Es wird vermutlich auch Ende des 21. Jahrhunderts bei entsprechender Ausstattung mit Beschneiungsanlagen noch schneesichere Skigebiete geben. Dies ist jedoch mit einem deutlich höheren Beschneiungsaufwand, d. h. einem höheren Ressourcenbedarf und damit höheren Preisen verbunden. Zum anderen wird der Klimawandel den Druck auf weniger rentable Skigebiete tendenziell erhöhen, was in weiterer Folge zu einer stärkeren Konzentration und Marktbereinigung sowie einer künftig geringeren Anzahl an Skigebieten führen könnte.

Große, hoch gelegene Skigebiete und solche mit guter Beschneiung sind bei dieser Entwicklung begünstigt. Allerdings zeigen Entwicklungen in den USA und in der Schweiz auch alternative Modelle […], wo zur Erhaltung der Einstiegs- und Übungsmöglichkeiten große, konkurrenzstarke Gebiete die Kleinen stützen, um langfristig die Nachfrage zu erhalten.“

Genauso wichtig wie die Angebotsseite ist aber auch die Nachfrageseite:

„Gäste haben grundsätzlich eine hohe Anpassungsfähigkeit, sowohl räumlich (Wahl eines anderen Skigebiets), zeitlich (Skifahren nur in Saisonzeiten mit ausreichend Schnee) und hinsichtlich der Aktivitäten (andere Aktivität statt Skifahren). Änderungen des Gästeverhaltens werden vermutlich eher rasch bei Erreichen von gewissen Grenzwerten (z. B. akzeptable Schneebedingungen) auftreten und nicht als kontinuierliche, langsame Veränderung […].“

Allerdings haben wir in den letzten Jahren oft genug erfahren müssen, dass trotz erhöhter Grundbeschneiung extreme Wetterereignisse wie Starkregen oder Föhnsturm dem produzierten Schnee zur Unzeit den Garaus machen können. Frappant auch, welch unterschiedliche Auswirkungen die jeweilige Mikrolage zeitigt. Die Anpassungsfähigkeit der Gäste hat sich wiederum eher darin gezeigt, dass ein Skiurlaub kurzfristiger gebucht oder doch etwas früher am Tag mit dem Schneesport begonnen und dafür früher aufgehört wird. Wobei eine „andere Aktivität“ ja gar nicht zwingend im bergtouristischen Kontext stattfinden muss.

Keine einfache Lösung, kein Patentrezept

Downhill-orientiertes Mountainbiken – wie es beispielsweise in Leogang und anderen Top-Bikeparks vorexerziert wird – lebt von der grandiosen Seilbahninfrastruktur sowie durch den Skitourismus ohnehin massig vorhandenen Betten. So gesehen sind die Wexl Trails die Ausnahme von der Regel. Denn dort werden ausschließlich Förderband und Schlepplift verwendet, gibt es noch kein größeres Hotel nebstbei. St. Corona am Wechsel wird international als Vorzeigebeispiel einer gelungenen Transformation vom kleinen, nicht mehr rentablen Skigebiet hin zum ganzjährigen Bergerlebniszentrum gehandelt. Allerdings sind die Rahmenbedingungen sehr speziell: Sanfte Topographie, riesiger Einzugsbereich für Tagesgäste, ideale Zusammenarbeit mit Grundeigentümern —um nur einige zu nennen. „Kopieren und einfügen“ funktioniert nicht.

Überhaupt ist die Frage, ob diese Spielart des Radfahrens für einen Hybridbetrieb – also zeitlich und örtlich parallel zum Schneesport – in größeren Skigebieten aus logistischen Gründen geeignet ist. Sich jedoch Gedanken zu machen, welches schneesportliche Angebot für ein Skigebiet bzw. dessen Kleinregion oder Destination essentiell ist, der Skibetrieb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in den Weihnachtsferien stattfinden kann, macht im Umkehrschluss nicht nur Flächen frei: Ressourcen können bei der Beschneiung gebündelt, deren sogenannte Schlagkraft erhöht werden. Und auf den nicht mehr als Piste genutzten Flächen, der sie umgebenden Infrastruktur können peau à peau andere Aktivitäten ausprobiert werden.

Über Beschneiungsprioritäten oder Talabfahrten neu zu entscheiden, garantiert heftige Konflikte. Wenn es um ski-in/ski-out für den eigenen Standort geht, prallen Partikularinteressen aufeinander. Aber diese Form der Klimawandelanpassung, die Konzentration auf das Wesentliche bei der Pistenfläche, kann vielen Skigebieten in mittleren Lagen eine neue wirtschaftliche Perspektive geben. Zumal damit ja auch häufig neue Mobilitätslösungen und eine Erweiterung des (im besten Fall) ganzjährig nutzbaren Outdoor-Angebotes einhergeht.

Sich aus der völligen Abhängigkeit vom Schnee sukzessive zu lösen, das Risiko von schneearmen oder gar schneelosen Wintern möglichst abzufedern, scheint anfänglich beinahe unmöglich. Wir müssen da sicher mit manch liebgewonnen Usancen (first come, first served) brechen, beispielsweise bei der Besucherstromlenkung viel stärker auf digitale Lösungen setzen. Denn vom einzelnen Skigebiet, über die Destination bis zum Urlaubsland Österreich wird das Austarieren von Angebot und Nachfrage, das Ringen um Qualität und Sicherheit, auch das Optimieren der Erträge die entscheidende Übung. Strukturelle Überkapazitäten bei den Seilbahnen, deren ständige Modernisierung – wie sich das in Österreich eingebürgert hat – wird vielerorts nicht möglich (und auch nicht unbedingt notwendig) sein. Stattdessen heißt es kreativ sein, wenn der Bestand neu oder nachgenutzt werden soll.

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