Gutes tun im Urlaub, doch bitte nicht mit Waisenkindern!
Ein prominent besetzter Besuch bei afrikanischen Waisenkindern bringt immer (noch) gute Publicity… tue Gutes und sprich darüber! Warum nicht also diesen Markt für Reisende aus aller Welt öffnen? Et voila! Volunteer Tourismus zählt zu den am schnellsten wachsenden Nischen-Tourismus-Märkten weltweit. Eva Karner beleuchtet diese Entwicklungen im Rahmen ihrer Master-Arbeit und macht dabei spannende Entdeckungen.
Der folgende Text wurde verfasst von Eva Karner (Master-Absolventin Gesundheitsmanagement im Tourismus) und Harald A. Friedl (FH-Professor am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement).
Volunteer Tourismus-Boom als regelungsbedürftiges Menschenrechtsproblem
Auch in Österreich wächst die Nachfrage im zweistelligen Bereich. Ist dies die ideale Antwort für Menschen auf der Suche nach individuell organisierten Reiseerlebnissen jenseits standardisierter Massenprodukte? Doch die bislang ungeregelte Nachfrage nach Besuchen von Waisenkindern machen diese Reiseform zum potenziellen Einfallstor für Sexualverbrechen….
Wandel vom altruistischen Helfer zum Selfie-Touristen
Der Boom der Voluntourismus-Branche hat deren Gesicht verändert, vom einstmals entwicklungspolitisch motivierten Sprungbrett von NGOs für Part-time-Weltverbesserer zum organisierten Multi-Kulti-Trip. Denn im Fokus der rasant expandierenden Anzahl an kommerziellen Betreibern steht heute Wettbewerb, Standardisierung, Kostenoptimierung und Attraktivierung der Produkte für Kunden, die auf ihrer Reise primär „Spaß“ suchen, irgendwie verknüpft mit einer „guten Tat“ für den Social-Media-Auftritt.
Business as usual in einer neuen Nische? Problematisch an diesem bereits milliardenschweren Geschäft ist die Hauptattraktion der Mehrheit der besuchten Projekte: ungeschützte Kinder in Waisenhäuser, die gegen ihren Willen den Bedürfnissen der Touristen unterworfen werden, wie etwa ein australisches Forscherteam 2017 nachweisen konnte. Zwei kritische Faktoren stechen hier besonders hervor. Zum einen sank infolge der Kommerzialisierung der Freiwilligenarbeit die Aufenthaltsdauer der Volunteers auf zumeist zwei Wochen. Für die betroffenen Kinder bedeutet dies enormen Stress, sich ständig auf neue Bezugspersonen einlassen zu müssen – ohne Selbstbestimmung!
Wer will und zahlt, darf alles
Zum anderen erlangen Volunteers ohne entsprechende Qualifikationen freien Zugang zu minderjährigen Kindern – ohne jede Kontrolle. Verschärft wird dieses Problem zumeist aufgrund fehlender Kenntnisse der lokalen Sprache, wodurch eine sachgemäße Einweisung der Volunteers oder die kritische Reflexion ihrer Tätigkeit unmöglich wird. Aus Sicht der finanziell unterversorgten Waisenhäuser halb so schlimm, weil Volunteers eine willkommene personelle Entlastung darstellen. In einem untersuchten kambodschanischen Heim etwa kam auf 81 Kinder ein Mitarbeiter. Dies öffnet sexuellem Missbrauch von Waisenkindern Tür und Tor!
Laut ECPAT International (2016), der führenden Organisation im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch, verbreite sich dieses Verbrechen im Tourismus besonders rasch. Von den Personen aus Holland und Großbritannien, die wegen Sexualstraftaten im Ausland verdächtigt wurden, hatte sich jede fünfte als Volunteer Zugang zu Kindern verschafft. Für den vergleichbaren deutschsprachigen Markt werden entsprechende Zahlen angenommen.
Die Informationsbroschüre „Aktiv zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung. Informationen für die Reisebranche“ von ECPAT Österreich
https://www.ecpat.at/fileadmin/download/Flyer___Broschueren/Info-Broschuere_Tourismus_AKTIV_ZUM_SCHUTZ_DER_KINDER.pdf
Armut und Mangel öffnet Türen und Möglichkeiten
Wer auf zielführende Maßnahmen in den betroffenen Ländern hofft, wird enttäuscht werden. Denn wo niedrigen Sozialstandards bei permanenter Mangelwirtschaft herrschen, ist eine „Open-Door-Policy“ verbreitet: Wer immer von der Straße kommt, erlangt unkontrolliert Zugang zu den Kindern, ja kann sie auch mitnehmen. Denn „was soll schon passieren“… Doch berichtete der Leiter eines südostasiatischen Waisenhauses, er sei offen nach der Bereitstellung von Kindern für Sex gefragt worden.
Freilich sind dies extreme Auswüchse, während zahlreiche engagierte und verantwortungsbewusste Waisenhausbetreiber sowie Freiwillige gute Arbeit mit besten Absichten leisten. Doch genau diese Fälle dienen laut UNICEF den Netzwerken für professionellen Kindesmissbrauch als Fassade, um Missbrauchsfälle zu vertuschen.
Eine Aufgabe für das Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus?
Prävention kann darum nur an der Nachfragequelle greifen – durch strenge Gesetze in den Ländern der Europäischen Union. Um Waisenkinder in ihrem Bedürfnis nach Wärme und Zuneigung effektiv vor sexuellem Missbrauch durch Volunteers zu schützen, müssten sich potenzielle Kunden zwingend persönlichen Bewerbungsgesprächen stellen und einen aktuellen Strafregisterauszug vorlegen. Dadurch könnten einschlägig vorbestrafte „Kunden“ gezielt abgewiesen werden. Die von Eva Karner 2017 untersuchten kommerziellen Voluntourismus-Anbieter verzichteten auf derartige Anforderungen an ihre zahlungswilligen Kunden. Und wirkungsvolle Gesetze fehlen bislang.
Fazit: Mehr interkulturelle Erlebnisse –doch ohne Waisen!
Voluntourismus zu Waisenhäuser darf nicht länger unkontrolliert verfügbar sein. Denn der „freie“ Markt regelt selbst nur eines: die Macht des Geldes als Türöffner zu jedem beliebigen „Erlebnis“. Die interkulturelle Bereicherung eines Volunteer-Aufenthalts ist unbestritten, doch lässt sich diese auch anderweitig – ohne Gefährdung von Kindern – erreichen. Österreichs hervorragend qualifizierte und verantwortungsvolle Reiseveranstalter eröffnen berührende Zugänge zu unproblematischen, dafür umso ehrlicheren Begegnungen, die neue Perspektiven und Freundschaften fürs Leben gedeihen lassen. Das Konzept des Volunteer Tourismus hingegen hat nur eine Zukunft, wenn primär die lokale Bevölkerung davon profitiert. Derzeit gewinnt primär die „weiße westliche“ Bevölkerung durch diese Tourismusform. Das ist definitiv kein touristischer Beitrag zu den UN Sustainable Development Goals…
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