Der schiefe Turm von Pisa
Mit der fortschreitenden Akademisierung unserer Gesellschaft verlieren klassische (touristische) Berufe bedauerlicherweise an Wertschätzung und Attraktivität. Master oder Servant – Fragen wie z.B. wer kocht, serviert oder bedient ganz generell eine immer anspruchsvollere und immer internationalisierte Klientel werden zunehmend drängender und bedürfen rascher und nachhaltiger Antworten.
Pisa mal anders betrachtet: einer sich stetig akademisierenden Gesellschaft gehen langsam aber sicher die „dienstleistenden“ Mitarbeiter auf den unteren und mittleren Hierarchieebenen aus. Wer etwas „sein“ und „werden“ will, glaubt einen Bachelor oder – besser noch – einen Master zu brauchen. Ein problematischer Trend, der durch geburtenschwache Jahrgänge noch weiter verschärft wird.
Österreich produziert auch mit Blickrichtung Internationalisierung zahlreiche Brainworker, die von Shanghai bis Acapulco hoch gelobt und gefragt sind. Nur: wer hat bald noch im heimischen Tourismus seine „hands on“? Wer serviciert zukünftig die internationale Gästeschar, die bei uns ihren Urlaub verbringt? Verbleiben in Österreich nur mehr jene (angelernten) System-Küchenhilfen und Kellnerinnen, die Wein fachmännisch zwischen „rot“ und „weiß“ unterscheiden- und das mit indischem Akzent? Welch eine Diskrepanz der Bedürfnisse, angesichts einer Klientel, die dank zahlreicher Kochsendungen im TV und privaten Kochkursen bei Michelin und Hauben gekrönten Haute Cuisine Gurus oft mehr von Wein und Küche verstehen als die sie betreuenden Mitarbeiter im Tourismus!
Ein Paradigmenwechsel zur Bedeutung und Wert touristischer Dienstleistung steht an. Es braucht ein „neues“ Bekenntnis zu fachlicher Top Praktiker Ausbildung mit hohem gesellschaftlichen Ansehen, aber nicht „Akademisierung“ um jeden Preis. Zur „Elite“ zählt, wer in seinem Bereich exzellent ist, und nicht, wer an einer fadenscheinigen Quicky-University einen MBA abstaubt. Es geht um eine neue – gesellschaftliche – Wertschätzung von Handwerk und „Hände Arbeit“. Gleichzeitig bedarf es einer neuen „kritischen“ Sicht auf den – oft spärlichen oder überhaupt schädlichen – Wertbeitrag sogenannter „Manager“ als selbsternannte Führungskräfte.
Tourismus und Gesellschaft müssen erkennen, dass auch eine Dienstleistungsgesellschaft bzw. eine Dienstleistungsbranche wie der Tourismus zunächst mal „produzieren“ muss, ehe sie verkaufen kann. Dieses spezifische „Produkt“ besteht aber NICHT nur aus „Erwartungen, Nutzen und Sehnsüchten“, sondern ganz konkret auch aus Sach-Leistungen, die hervorragend sein und vor allem ERBRACHT und PRODUZIERT werden müssen. Dafür braucht es wertgeschätzte, sehr gut bezahlte und begeisterte „ArbeiterInnen“ im besten Sinne des Wortes. Das wird in den letzten Jahren, in denen alle nur mehr vom „Zusatznutzen“ in der Dienstleistung sprechen und jeder den davor liegenden „Grundnutzen“ als selbstverständlich voraussetzt zunehmend unterschätzt.
Wir steuern in eine gefährliche Entwicklung von „Zusatznutzen mit erodierendem Grundnutzen“ – das ist wie ein Dachbodenausbau ohne Haus darunter!
Der Fachkräftemangel wird nun schon seit Jahrzehnten auf allen Ebenen – von den Betriebsinhabern bis hinauf zu den Gastro-Lobbyisten beklagt. In der abgelaufenen „Krise“, die so in der Branche nicht wirklich, wirklich stattgefunden hat – eine zwischenzeitliche Einbuße ist ja nicht gleich eine echte Krise (Beispiel Wien: mehr Nächtigungen denn je im Nov. 2010 mit + 15 % – wie denn plötzlich sowas?) -, hatte so manche Branchenstimme gemeint, es wäre mit der Personalsuche nicht mehr so eng, wie noch ein paar Jahre zuvor, denn die Leute müssten ja nun froh um einen Job in dieser Branche sein, da andernorts in den Werkshallen und Fabriken abgebaut wird. Hand auf’s Herz: Mit Ausnahme von einigen Leuchttürmen ist der von Ihnen ersehnte Paradigmenwechsel (noch) in weiter Ferne. Bei der von Ihnen beklagten Akademisierung möchte ich Ihren Blick in die Tourismus-Schulen lenken: Dort drücken ja die Söhne und Töchter der Branche die elitären Schulbänke und schließen immer häufiger mit einem genauso elitären touristisch-betriebswirtschaftlichen Studium nahtlos an. Wenn eine höhere Bildung für den eigenen Nachwuchs recht und teuer ist, dürfen auch andere nach dieser Bildungskarriere trachten. Ob sich eine akademische Ausbildung in Vorbereitung auf die Tourismusbranche überall lohnt, darf freilich bezweifelt werden. Auch weil es genügend Berührungsängste gibt, Akademiker einzustellen. Diese Leute würden sicher auch „Hand anlegen“ und nicht nur im Büro herumsitzen, zB als Assistent der Geschäftsführung, Personalchef, Wirtschaftsdirektor, Abteilungsleiter, Marketingspezialist, Vertriebsspezialist, Rezeptionschef, etc. Schauen Sie in die Fachhochschulen: Wer sind den die Träger? Mitunter eben auch die Wirtschaftskammern – schließlich Interessensvertretungen der Hoteliers und Gastronomen. Also wurde die Akademisierung doch von den eigenen Leuten vorangetrieben! Die eigene Branche produziert also scheinbar seit Jahren am eigenen Bedarf vorbei! Wer stellt diesen Zustand ab (wenn es denn ein Zustand ist)?
Danke vor allem an Austro-Touristiker! Er bringt es auf den Punkt. Auch ich bin eine studierte Touristikerin und hatte es zusammen mit einigen Studienkollegen, die nicht mit einem familieneigenen Hotel oder Restaurant gesegnet waren, sehr schwer in dieser „unserer“ Branche beruflich Fuß zu fassen. Heute bin ich selbst für Personalauswahl in unserer Branche tätig und stelle lieber Absolventen von Höheren Tourismusschulen ein als Bachelor oder Master. Dieses tourismusspezifische Fachhochschulstudium wurde wirklich am „Markt“ vorbeiproduziert!
Interessant… laut Ihrer Biografie sind Sie selbst Lektor an zahlreichen Universitäten und Fachhochschulen im In- und Ausland, also direkter Profiteur der Akademisierung, die Sie nun selbst beklagen…
Danke für diese spannende Diskussion. Das Fehlen von dienstleistungsbereiten Mitarbeitern ist traurige Realität und hat viele gesellschaftspolitische Hintergründe. Ganz aus der Pflicht kann ich aber das Management vieler touristischer Unternehmungen nicht entlassen. Die hohe Fluktuation, die geringe Bedeutung strategischer Personalentwicklung oder ein fehlendes Personalmanagement sind Kernaufgaben in der Dienstleistung und werden oft sträflich vernachlässigt.
Ich denke, dass das Wissen in diesem Bereich noch Verbesserungspotential hat. Gerade deswegen verwundert mich – bzw. ist es symptomatisch, dass die Akademisierung beklagt wird. Unsere Vorzeigebetriebe nutzen das Potential akademisch gebildeter Nachwuchskräfte. Der Österreichische Tourismus braucht dienstleistungsbereite Mitarbeiter und die wird er bekommen wenn er umfassend gebildete Führungskräfte hat.
Frohe Weihnacht!
Ganz aktuell: Einkommensbericht 2010: Die mit Abstand niedrigsten Einkommen werden in der Beherbergung und Gastronomie erzielt… Aber das spielt ja sicherlich bei den (scheinbar ja nicht mehr dienstleistungsbereiten!) Arbeitnehmern keine Rolle… und wahrscheinlich sind die Zahlen des RH sowieso nicht valide, weil nicht saisonsbereinigt und weil andere Faktoren nicht eingerechnet wurde,… haha 😉 [http://www.orf.at/stories/2032631/2032616]
Diese ewige Debatte um die niedrigen Einkünfte kann man schon nicht mehr hören, wenn eine Hilfskraft mit 1200.- Euro, bei freier Unterkunft und Verpflegung heimgeht und eine Fachkraft bei den selben Bedingungen und 40 Stundenwoche zwischen 1600.- und 2500.- bekommt (NETTO) frag ich mich manchmal wieviel man in anderen Branchen verdient. Ein grosser Anteil liegt in der gesellschaftspolitschen Entwicklung – DIENSTLEISTUNG ist für viele ein nicht gern gehörter Begriff. Die Akademisierung ist gut und schön aber man sollte nicht vergessen, daß man in der MEHRZAHL der österr. Betriebe keine Akademiker braucht sondern Dienstleister die am Gast arbeiten, denn das sind kleine Familienbetriebe und keine Konzernhotels mit Fachabteilungen. Die Personalentwicklung sollte an den Schulen beginnen, indem man dem Nachwuchs klar macht, daß auch der Handwerker (Koch,Kellner) einen sehr hohen Stellenwert hat, denn von den Bachelors und Masters kann ein Betrieb kleinerer Dimension nicht leben.
ANMERKUNG #1: Beim Staatspreis „Familienfreundlichster Betrieb“ wurde aus dem Bereich Tourismus/Hotellerie/Gastronomie auf Bundesebene kein Betrieb nominiert und ausgezeichnet (siehe: http://www.familieundberuf.at/Staatspreis_Familienfreundlichster.232.0.html). Ich schätze einmal stark, daß dies auf eine geringe Beteiligung von Betrieben aus den Bereichen Tourismus/Hotellerie/Gastronomie in den Bundesländern zurückzuführen sein müsste. ANMERKUNG #2: Es gibt so gut wie keine Betriebe aus der Hotellerie/Gastronomie, die von „Familie & Beruf“ auditiert wurden (siehe Liste: http://www.familieundberuf.at/UEbersicht_Unternehmen.54.0.html). Meiner Einschätzung nach konnte das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Gastronomie/in der Hotellerie bezüglich der Organisations- und Personalentwicklung wohl noch nicht auf breiter Basis nachhaltig verankert werden. Warum gerade in dieser Branche, die doch von jeher an Fachkräftemangel, hoher Fluktuation und einer hohen Quote an Ausbildungsabbrechern leidet, nicht auf passgenaue familienfreundliche Lösungen zurückgegriffen wird, müsste diskutiert werden. Ich bin überzeugt, dass es sehr vielen Arbeitnehmer/innen fällt es schwer, den Spagat zwischen Beruf und Familie zu meistern. Gerade im Gastgewerbe, wo Schichtarbeit, Rufbereitschaft, Mehrarbeit und Arbeitseinsätze an den Wochenenden Normalität sind, müssen Mitarbeiter/innen viel organisatorisches Geschick besitzen, um für die Angehörigen Zuhause eine gute Betreuung zu gewährleisten. FAZIT: Den Mangel an dienstleistungsbereiten Arbeitnehmern aufgrund von „gesellschaftspolitischen Hintergründen“ zu betrauern, ist der falsche Ansatz. Schaffen Sie möglichst familienfreundliche Arbeitsplätze und bestmögliche Unterstützung für berufstätige Mütter und Väter in Ihren Betrieben und Sie werden mit einem neuen Arbeitskräfteangebot belohnt werden…
Beim Staatspreis „Familienfreundlichster Betrieb“ wurde aus dem Bereich Tourismus/Hotellerie/Gastronomie kein einziger Betrieb nominiert und ausgezeichnet: [http://www.familieundberuf.at/Staatspreis_Familienfreundlichster.232.0.html] Es gibt so gut wie keine Betriebe aus der Hotellerie/Gastronomie, die bislang von dieser Organisation in Hinblick auf deren Familienfeundlichkeit auditiert wurden: [http://www.familieundberuf.at/UEbersicht_Unternehmen.54.0.html] Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Gastronomie/in der Hotellerie ist scheinbar noch immer nicht auf breiter Basis nachhaltig verankert worden. Warum gerade in dieser Branche, die doch von jeher immer wieder an Fachkräftemangel, hoher Fluktuation und einer hohen Quote an Ausbildungsabbrechern leidet, nicht auf passgenaue familienfreundliche Lösungen zurückgegriffen wird, müsste im Zusammenhang mit der hier geführten Diskussion thematisiert werden. Es ist bekannt, dass es sehr vielen ArbeitnehmerInnen schwer fällt, den Spagat zwischen Beruf und Familie zu meistern. Gerade im Gastgewerbe, wo Schichtarbeit, Rufbereitschaft, Mehrarbeit und Arbeitseinsätze an den Wochenenden Normalität sind, müssen MitarbeiterInnen viel organisatorisches Geschick besitzen, um für die Angehörigen Zuhause eine gute Betreuung zu gewährleisten. Schaffen Sie möglichst familienfreundliche Bedingungen bzw. zumdindest Kompromisse (zB hinsichtlich abwechselnder Dienstpläne) und eine bestmögliche Unterstützung von berufstätigen (Allein-)ErzieherInnen in den Betrieben (zB Kindergarten, Lernbetreuung) und Sie werden mit einem neuen Arbeitskräfteangebot belohnt.
Die Problematik im Gastgewerbe ist ja hinlänglich bekannt, aber wahrscheinlich werden auch Sie – falls Sie das Angebot der Gastronomie wahrnehmen – ausserhalb Ihrer Arbeitszeiten – die vielleicht als normal angesehen werden können – sich in ein Restaurant begeben und dann erwarten, daß Sie bestens bedient werden.Und diese Zeiten sind wieder für unser Personal dann alles andere als familienfreundlich – aber das interessiert in diesem Moment natürlich niemand. Ich führe selbst einen FAMILIENBETRIEB, aber gerade deshalb kann ich behaupten, daß ich mir einen familienfreundlichen Arbeitsplatz manchmal wünschen würde – aber dafür werde ich meine Gäste nicht vor die Tür setzen
In einem unserer Projektgebiete, einer peripher gelegenen Tourismusregion, hatten wir im Zuge der Formulierung von Entwickungszielen eine spannende Diskussion zum Thema Ausbildung und Arbeitplätze. Zu den aufgezeigten Problemfeldern zählte u.a. die Tatsache, dass jene jungen Menschen, die eine Ausbildung auf Fachhochschul- bzw. Universitätsebene absolvieren, letztendlich abwandern und der Gemeinde als Einwohner, Arbeitsräfte, Unternehmer, Ehrenamtliche, etc. verloren gehen. Aus diesem Grunde soll in Zukunft seitens der Gemeinde, der Meinungsbildner, der Eltern sowie der betroffenen Jugend wieder vermehrt auf Ausbildungen Wert gelegt werden, die sich am aktuellen sowie am künftig zu erwartenden Arbeitsplatzangebot in der Region orientieren. Diese Ausgebildeten entsprechen dann weitestgehend den von Martin Schuhmacher angesprochenen „ArbeiterInnen“ – und zwar sowohl im Kernbereich des Tourismus als auch seinen vor- und nachgelagerten Bereichen.
Die Politik diskutiert derzeit wieder über die Abschaffung der Wehrpflicht. Die zukünftigen Jobs als Wehr- bzw. als Sozialdienstleister wären dann eine ganz normale Alternative für junge Menschen am Jobmarkt. Schon gibt es Ängste, dass sich bei einer Freiwilligkeit zu wenige Menschen für diese Jobs entschließen könnten. Kritiker warnen: Es würde dann nichts anderes übrig bleiben, als höhere Gehälter zu zahlen bzw. die Attraktivität dieser Jobs auf anderem Weg zu verbessern. Was lernen wir daraus? Wenn ein Zeitsoldat bei geregelter Arbeitszeit und Ganzjahresjob vom Start weg mindestens netto € 1.400,– sowie Verpflegung und Unterkunft erhalten wird, wäre das jetzt schon ein Mitbewerb für den Tourismus (ohne die eben genannten notwendig werdenden Erhöhungen). Es sagt uns aber auch noch etwas anderes: Wenn WIR den Zulauf an (guten!) jungen Mitarbeitern in unsere Branche erhöhen wollen, um endlich alle unsere offenen Stellen zu besetzen, müssen wohl AUCH WIR höhere Gehälter zahlen und die Attraktivität über andere Komponenten steigern. Wenn wir das nicht tun, dann hilft es auch nicht, wenn in der Peripherie (wie im vorherigen Kommentar beschrieben) versucht wird, meinungsbildend einzuwirken („Schau Bub, bleib‘ doch hier in der Gemeinde, Du könntest ja im Gasthaus gegenüber als Koch arbeiten. Du musst ja nicht unbedingt zum Bundesheer…“).
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