Tourismusforschung in Österreich
Kürzlich habe ich einen Artikel in einem der renommiertesten wissenschaftlichen Journale im Tourismus (Annals of Tourism Research) gelesen, der den Einfluss wissenschaftlicher Disziplinien auf Doktorarbeiten im Tourismus untersucht. Die Autoren die knapp 1,900 Doktorarbeiten mit Tourismusbezug gelesen haben (welche Leistung!), berichten, dass psychologische, umweltwissenschaftliche und anthropologische Studien den überwiegenden Anteil von Doktorarbeiten im Tourismus bestimmt haben. Wohl noch interessanter ist, dass die Autoren über eine exponentielle Entwicklung der Anzahl der Dissertationen mit Tourismusbezug berichten. In 230 Unversitäten in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland wurden zwischen 1951 und 1990 nicht mehr als 20 Dissertationen mit Tourismusthemen pro Jahr publiziert; im Jahr 2000 waren es bereits 60 Arbeiten, im Jahr 2010 mehr als 150 (!) Dissertationen pro Jahr.Die Studie sagt leider nichts über die Entwicklung in Europa oder in Österreich. Eines ist aber klar: Während in den letzten Jahren international die Anzahl der Dissertationen und wissenschaftlichen Publikationen im Tourismus gewaltig gestiegen ist, fanden in Österreich massive Einsparungen auf Kosten der Tourismusforschung statt. Etablierte Lehrstühle im Tourismus wurden geschlossen, die Tourismuslehre findet zunehmend an Fachhochschulen oder anderen Einrichtungen ohne ausreichende Ressourcen für (international wahrnehmbare) Tourismusforschung statt.
Auch wenn man der Ansicht sein kann, dass der Tourismus keine Wissenschaft, sondern ein Gegenstand der Forschung vieler Disziplinen ist, so wirft er doch viele Fragen für die Gesellschaft und insbesondere die Wirtschaft auf. Während weltweit, insbesondere in Asien, die Tourismusforschung in akademischen und gesellschaftlichen Bereichen zunehmend an Stellenwert gewinnt, ist die Tourismuswissenschaft in der österreichischen Forschungslandschaft deutlich unterrepräsentiert. Dies ist umso verwunderlicher, wenn man die Bedeutung des Tourismus für Österreich betrachtet und der häufig gestellten Forderung nach Innovation im Tourismus einen Funken Chance geben möchte.
Zum Nachlesen: Weiler, Betty, Moyle, Brent, McLennan, Char-lee (2012) Disciplines that influence tourism doctoral research. Annals of Tourism Research, 39 (3), pp. 1425-1445.
Touristische Dissertationen mit psychologischen, anthropologischen und umweltwissenschaftlichen Themenschwerpunkten lassen vermuten, dass viele dieser Arbeiten aus Instituten stammen, in deren Lehrstuhl- oder Institutsbezeichnung der Name Tourismus nicht vorkommt. Das dürfte auch in Europa und in Österreich so sein, denn Sozialwissenschaft, Ethnologie, Raumwissenschaft, etc. befassen sich ebenfalls und mit hoher Kompetenz mit Fragen des Tourismus.
Absolut richtig ist die Aussage von Karl Wöber, dass in den vergangenen Jahren an Österreichs Universitäten Einsparungen bei Tourismusinstituten – und damit logischerweise auch in der Tourismusforschung – vorgenommen wurden. Es stellt sich jedoch die Frage, warum diese Entwicklung so gelaufen ist.
International ist zu beobachten, dass im Zuge der Universitätsreformen viele Institute zusammenlegt wurden bzw. ihre fachlichen Kompetenzen erweitert haben, u.a. durch eine gezielte Berufungspolitik.
Ein sehr gutes und geradezu klassisches Beispiel dafür ist die Universität St. Gallen, wo sich die entsprechende Einrichtung im Laufe der Jahre vom „Institut für Tourismus und Verkehrswirtschaft“ hin zum „Institut für Systemisches Management und Public Governance“ entwickelt hat. Obwohl der Begriff Tourismus in der Institutsbezeichnung nicht mehr vorkommt, wird dort – neben anderen wichtigen Bereichen – nach wie vor qualitativ hochwertige wissenschaftliche Arbeit zum Tourismus geleistet und eine exzellente, praxisorientierte Tourismusforschung betrieben.
Die Entwicklung an Österreichs Universitäten habe ich lange Zeit beobachtet und ich war selbst über eine Reihe von Jahren Teil dieses Systems. Ohne auf Details einzugehen möchte ich daher die Frage stellen, ob der Verlust an touristischer Lehr- und Forschungskapazität nicht auch Ursachen hat, die innerhalb der Institute und Universitäten anzusiedeln sind und somit zu einem guten Teil selbst verschuldet sind. Und diese Frage stellt sich nicht nur für ein Institut und nicht nur für eine Universität.
Dass in Österreich – wie auch andernorts – die Fachhochschulen in die Bresche gesprungen sind, hat nicht zuletzt mit ihrer ausgeprägten Praxisorientierung und der hohen Kompetenz der dort Lehrenden zu tun, von denen übrigens nicht wenige ihre beruflichen Wurzeln in Universitäten haben.
Und wenn in Österreich keine „international wahrnehmbare“ Tourismusforschung stattfindet, dann hat das u.a. mit zwei Dingen zu tun: Zum Ersten haben die Fachhochschulen, die mit ihrem Angebot an Tourismusstudiengängen heute eindeutig im Vordergrund stehen, einen anderen Auftrag als die Universitäten, und zum Zweiten hat universitäre Forschung einen anderen Anspruch zu erfüllen als Forschung an einer Fachhochschule. Und da werden die Lücken, die in österreichischen Universitäten entstanden sind, doch schmerzlich spürbar.
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