Wie viel Tourismus ist genug?
Ein paar spannende Beiträge zu den Wachstumsgerenzen im Tourismus hatten wir erst kürzlich hier im Blog. Auf Mallorca protestierten erneut die Einheimischen gegen die Auswüchse des Massentourismus, wie die Zeit gestern berichtete. Am Beginn der Wintersaison lade ich alle TP-Leser ein, dieses Forum zu nutzen für die Diskussion der Frage:
Wie viel Tourismus ist genug?
Auf den Straßen, auf den Pisten, in den Fußgängerzonen, bei den Sehenswürdigkeiten….?
Auch wenn das Thema immer wieder einmal virulent ist, so scheinen die Beiträge in nationalen und internationalen Medien wie z.B. „Der Zeit“ der konkrete Anlass für die formulierte Frage zu sein. Von den Touristenmassen beengt fühlen sich Bewohner in mehreren europäischen Städten wie Venedig, Barcelona, Florenz oder Amsterdam. In Österreich kennen wir vergleichbare Meldungen aus Salzburg, Hallstatt oder etwa aus Dürnstein, wo es japanischen Touristen schon gelungen sein soll, bis in die Toilette einer Privatwohnung vorzudringen.
Insgesamt ist die Situation bei uns aber doch eine andere, da die Gäste wesentlich breiter über das Land verteilt sind und sich ein großer Teil des Tourismus genau dort abspielt, wo sich ohne Tourismus wirtschaftlich nicht viel abspielen würde. Dennoch macht es Sinn, die Frage nach dem Genug an Tourismus auch für unser Land zu stellen, zumal es in der mehr als hundertjährigen Geschichte des österreichischen und speziell des alpinen Tourismus nicht das erste Mal der Fall ist, dass über quantitative Grenzen des Tourismus diskutiert wird.
Die Antwort ist allerdings nicht einfach, sie ist komplex und verlangt eine differenzierte Betrachtungsweise (was ausreichend Stoff für ein ganzes Buch geben würde). Drei Zugänge bieten sich dafür an: der Blick auf die Wirtschaft, der Blick auf die Gesellschaft und der Blick auf die Umwelt. Je nach Sichtweise und Art der Betroffenheit können die Meinungen in allen drei Bereichen recht unterschiedlich ausfallen.
Um nicht zu lange zu werden, möchte ich – wohl wissend um deren Bedeutung – die Umwelt außen vor lassen und sozial-ökonomische Aspekte herausgreifen.
Meines Erachtens haben bei uns sehr vielen Menschen gelernt, mit dem Tourismus umzugehen und sie wissen, welche Bedeutung der Tourismus für unsere ländlichen Räume (una auch die Städte) hat und welche Multiplikatoreffekte von ihm ausgehen. Auch ist eigentlich klar, dass es in der Saison Stress gibt und sich daneben ruhigere Zeiten auftun.
Allerdings geben manche Entwicklungen schon Anlass zum Nachdenken und sie deuten möglicherweise darauf hin, dass wir uns im Sinne von „genug“ nahe einer Wachstumsgrenze befinden oder diese da und dort schon überschritten haben. Indizien dafür sind z.B. Nachfolgeprobleme in Tourismusbetrieben (und als Konsequenz daraus nicht selten der Verkauf von Betrieben an Ausländer), eklatanter Personalmangel (und damit verbunden die Forderung nach Rekrutierungen in Nicht-EU-Ländern), stagnierende oder gar rückläufige Bevölkerungszahlen in Gemeinden mit intensivem Tourismus (wo eigentlich genügend Erwerbsmöglichkeiten vorhanden sein sollten).
Auch die Tatsache, dass Investitionen zur Adaptierung und Ausweitung von Beherbergungskapazitäten in zunehmendem Maße über den Verkauf von Freizeitwohnsitzen oder über Investorenmodelle finanziert werden, spielt hier herein. Wenn Betriebe nicht in der Lage sind, aus dem eigenen Unternehmen heraus die notwendigen Investitionen zu erwirtschaften, kann es dafür mehrere Gründe geben. Einer könnte sein, dass wir uns in Bezug auf die Gesamtkapazität des Angebots an einer Obergrenze bewegen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts spricht gegen externes Kapital, ohne dieses wäre viel touristische Substanz nicht entstanden. Aber es ist eine Frage des Maßes, und das scheint mir da und dort doch verloren gegangen zu sein.
Eine zentrale gesellschaftspolitische Zielsetzung für Österreich insgesamt sowie für die einzelnen Bundesländer betrifft die Erhaltung der Siedlungsdichte und damit die Sicherung des Lebensraums und der Lebensqualität der Menschen im ländlichen Raum, auch in den Bergregionen. Die oben angeführten Indizien lassen meines Einschätzung nach darauf schließen, dass diese Ziele in den touristischen Intensivräumen des alpinen Österreich auf weite Strecken erreicht sind, jedenfalls dort, wo von der Landschaft und der Höhenlage her eine zukunftsfähige touristische Erschließung möglich ist. Die eine oder andere Ausnahme mag die Regel bestätigen.
Aus diesem Grunde braucht es – von einigen Situationen abgesehen – eigentlich keinen weiteren quantitativen Ausbau mehr. Qualitative Weiterentwicklungen und Wachstum nach innen sind davon selbstverständlich ausgenommen.
Die spannende Frage „Wie viel Tourismus ist genug?“ führt früher oder später zu der noch spannenderen Frage „Was ist eine Destination, eine touristischer Betrieb erfolgreich?“. Ich beschäftige mich mit dem Thema nun seit einem Jahr intensiver und obwohl ich den Dialog dazu der schriftlichen, einseitigen Kommunikation per Blogbeitrag vorziehe (vor allem um dazuzulernen), hier ein paar Gedanken dazu:
Das Wohl seiner Mitglieder muss für jeden Verein, und somit auch den Tourismusverband, im Mittelpunkt stehen. Als Mitglieder verstehe ich nicht nur die Unternehmen als solche, sondern v.a. die Menschen die in diesen Unternehmen wirken. Wir am Wilden Kaiser nennen dieses menschliche Wohl „Lebensqualität“. Die Lebensqualität eines Individuums sowie einer Gemeinschaft setzt sich aus sozialen, ökologischen und ökonomischen Komponenten zusammen. Diese Komponenten auszubalancieren, entsprechend der aktuellen und künftigen Rahmenbedingungen (manche sagen auch „Lebenszyklusphase der Destination“), ist die große Herausforderung für Gemeinden ebenso wie für starke Tourismusverbände.
Derzeit wird, auch in florierenden Destinationen, die Bedeutung der „Ökonomie“ meist über die anderen beiden Komponenten gestellt, Nächtigungs- und Wertschöpfungswachstum sind die vorrangigen Ziele. Das bisherige Hauptargument, die Schaffung von Arbeitsplätzen, hat in Zeiten von Personalmangel jedoch seine Gültigkeit verloren. Auch Bevölkerungswachstum durch Zuzug durch wirtschaftlichen Aufschwung ist angesichts der knappen Ressource Grund und Boden kein Ziel der Destination. Insofern sollte für florierende touristische Unternehmen und Destinationen statt „Mehr Gewinn durch mehr Ressourceneinsatz“ eher „Gleicher Gewinn durch weniger Ressourceneinsatz (=mehr Lebensqualität)“ im Fokus stehen. Ressourcen sind neben Kapital auch Grund und Boden sowie Arbeitszeit und Arbeitsintensität – womit die direkte Verbindung in die beiden anderen Komponenten Ökologie und Soziales hergestellt ist, die meines Erachtens an Bedeutung gewinnen werden.
Mit anderen Worten: Entlang der knappen Ressourcen Grund & Boden, Personal und Lebenszeit der Mitglieder gilt es den Tourismus in einer Destination so zu gestalten, dass möglichste viele Mitglieder der Gesellschaft ökonomisch davon profitieren und gleichzeitig deren sozialen und ökologischen Lebensaspekte durch den Tourismus zumindest nicht negativ beeinflusst werden (im Optimum sogar auch verbessert werden). Dazu zählt auch die Aspekte absolute Gästeanzahl, Verhältnis Gäste/ Einheimische, saisonale und räumliche Gästeverteilung und der „Gäste-Fit“ – wie gut passen Gäste und Einheimische zusammen, werden (bestimmte) Gäste bereichernder oder belastender als andere empfunden.
Eine solche Änderung der Ziele braucht viel Zeit und Fingerspitzengefühl, aber auch den Mut manchmal Entscheidungen gegen Wachstum und für Lebensqualität zu treffen.
Danke Lukas Krösslhuber für deine klaren Worte. Selbstverständlich ist der persönliche Dialog spannender und spontan lehrreicher, es ist aber auch hilfreich, den einen oder anderen Gedanken schriftlich zu dokumentieren, weil dadurch der Kreis der Nutznießer ein wesentlich größerer wird.
Das gilt insbesondere dann, wenn, wie in deinem Fall, der Manager einer bedeutenden und erfolgreich agierenden Tourismusdestination auf die Frage eingeht, wie viel Tourismus denn genug ist. Nicht wenige Kollegen sind sich nämlich der Problematik des ständigen quantitativen Wachstums mit der Jagd nach Nächtigungsrekorden und Frequenzsteigerungen bei Infrastrukturen bewusst. Sie äußern diese Gedanken aber bestenfalls im kleinen Kreis und hinter verschlossenen Türen.
Das Projekt „Lebensqualität am Wilden Kaiser“ beobachte ich mit Interesse und es geht genau in die Richtung, die dein Beitrag widerspiegelt. Die Aussagen auf dem Projekt-Video machen deutlich, dass die Menschen in der Region natürlich den wirtschaftlichen Wohlstand schätzen, sie zeigen aber auch, dass für sie auch andere Werte einen hohen Stellenwert besitzen.
Die Destination Wilder Kaiser ist mit dem Projekt Lebensqualität auf einem guten Weg, um quantitative Wachstumsgrenzen zu erkennen und zu akzeptieren und innerhalb davon qualitative Entwicklungen optimal zu gestalten. Es ist zu wünschen, dass die Erfolge, die aus der ganzheitliche Betrachtung des Lebens- und Wirtschaftsraums Wilder Kaiser resultieren, in der Folge über die Destination hinaus ausstrahlen und andere animieren, einen vergleichbaren Weg einzuschlagen.
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