Sanfter Massentourismus
Noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten (natürlich abgesehen von den gegenwärtigen Einschränkungen) so viele Menschen reisen und Urlaub machen, verfügen also über ausreichend Freizeit und Geld – zweifellos ein zivilisatorischer Fortschritt, wenn Erholung und Horizonterweiterung als Essenz des Tourismus gesehen werden. Eine zeitgemäße Art von Massentourismus, nämlich möglichst vielen Menschen ressourcenschonend Urlaub zu ermöglichen, sollte gerade für den alpinen Tourismus eine attraktive Zielvorstellung für die Zeit nach Pandemie und Krise sein. Gerade weil aber der Begriff des Massentourismus stark negativ konnotiert ist, lohnt es sich genauer hinzuschauen.
Begriffsentwirrung
Wo der Massentourismus beginnt und der oft als Antithese bemühte „sanfte Tourismus“ endet, liegt wohl einerseits im Auge des Betrachters, ist sicherlich vom gesellschaftlichen Kontext wie z.B. der Bevölkerungsdichte abhängig. Andererseits geht es ja gar nicht um die absolute Zahl von Gästen, Nächtigungen, Beförderungen, gewanderten Kilometern etc., sondern immer um die Relation zu den zur Verfügung stehenden Kapazitäten. Wahrscheinlich wird unter sanftem Tourismus auch gar nicht verstanden, dass Menschen ganz individuell und „in der Natur“ Urlaub machen – denn dieses Konzept wäre ja nicht skalierbar. Vielmehr wird wohl gemeint sein, dass alle Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökologische, ökonomische, soziale) bestmöglich gelebt werden.
In der Krise lernen
Beginnend mit Outdoor-Ausflugszielen ab 29. Mai des Vorjahres oder später auch bei Seilbahnen ab 24. Dezember ging es ganz stark um Besucherlenkung und Kapazitätsmanagement. Aus epidemiologischen Gründen musste die Gästeanzahl (genauer gesagt der maximale „Füllstand“ zu jedem Zeitpunkt) begrenzt werden. Gleichzeitig sollten die Freizeiteinrichtungen der Erholung möglichst vieler Menschen dienen, also wurden vielfach Betriebszeiten verlängert und Schichtbetrieb eingeführt. Kontingentierung und Online-Ticketing waren ein Mittel zum Zweck, um Gästeströme aus Gründen der COVID-19-Prävention zu entzerren, aber auch um die knapper werdenden Besuchsmöglichkeiten (repräsentiert durch entsprechende Tickets) bestmöglich auszulasten.
Zentrale Aufgabe der Zukunft
Ressourcen optimal zu nutzen ist die zentrale Aufgabe im sanften Massentourismus der Zukunft. Denn wir sind uns hoffentlich einig, dass Reisen demokratisiert bleiben und Urlaub machen nicht wieder das Privileg der Eliten sein soll. Wir sind in den Alpen prädestiniert dafür, Gastgeber für die Bevölkerung aus den europäischen Ballungszentren zu sein. Damit brauchen wir Lösungen für die Massen, was wiederum den Vorteil von „economies of scale“ in sich birgt. Beginnend bei der Verkehrsinfrastruktur, aber auch bei Beherbergung, Gastronomie und sonstigen Freizeiteinrichtungen (von der Seilbahn bis zum Klettersteig) geht es darum, diese optimal auszulasten: selbstverständlich auch im Sinne der Wirtschaftlichkeit, aber eben nicht ausschließlich gewinnmaximierend.
Beispielhafte Auswirkungen auf die Praxis
Um den viel zitierten „Overtourism“ in Zukunft zu vermeiden und aber auch Infra- und Suprastrukturen – somit möglichst alle relevanten Ressourcen – möglichst gut (sowohl vom Verbrauch als auch der angestrebten Wirkung her) zu nutzen, bedarf es einer Kooperation von konkurrierenden Marktteilnehmern; aus der Spieltheorie kommend wird gerne von „Co-opetition“ oder Kooperenz gesprochen. Auf Skigebiete mit hohem Tagesgastanteil bezogen müssen z.B. dem Gast Auslastungsinformationen bzw. Buchungsmöglichkeiten transparent aufgezeigt werden wie das in Niederösterreich über die Progressive Web App Winternavi praktiziert wird. Werden so zeitweise Überlastungen vermieden, erhöht dies (auch nach dem epidemiologischen Erfordernis) Sicherheit und Komfort und somit die Gästezufriedenheit im Gesamtsystem.
Echte Rückzugsorte zu erhalten, erfordert Besucherlenkung – so wie wir das von Wanderwegen schon lange gewohnt sind, es sich bei Mountainbike-Trails und zwischenzeitlich durchaus auch im Tourenskilauf bei organisierten Aufstiegsspuren bewährt hat. Aus Sicht der Grundeigentümer und aber auch des Natur- und Tierschutzes ist ein geregelter, kanalisierender Zugang besser als ungeordnete Verhältnisse. Ein gut organisiertes Angebot ist in Bezug auf den Ressourcenverbrauch sicherlich effizienter und damit nachhaltiger, wobei es auch an einer geschickten Inszenierung liegt, nicht zum Massenauflauf zu verkommen.
In einem Interview aus der #gehtweiter-Serie des „Einfach Leben Forum“ geht der Autor auf diese und andere aktuelle Themen ein.
Hallo Markus, dein Interview für die #gehtweiter-Serie im „Einfach Leben Forum“ finde ich sehr ansprechend und inhaltlich gut ausgewogen. Auch ist es bemerkenswert, wie du trotz deiner herausfordernden Tätigkeit für die Bergbahnen in Niederösterreich immer wieder Zeit findest, um deine praktischen Erfahrungen und grundsätzlichen Überlegungen in den TP Blog einzubringen.
Zu deinem Interview bei EL und deinem aktuellen Blog-Beitrag einige Anmerkungen.
Sanfter Massentourismus: Deinen Ansatz verstehe ich und ich kann ihm viel abgewinnen. Da jedoch in der Tourismusdiskussion – je nach Blickwinkel – die Begriffe „Sanfter Tourismus“ und „Massentourismus“ negativ besetzt sind, wäre es hilfreich, dafür einen Ausdruck zu kreieren, der positive Assoziationen weckt. In letzter Zeit taucht immer wieder das Wort „intelligent“ auf. Den Begriff „Intelligenter Tourismus“ haben wir in Innsbruck schon vor Jahren verwendet und inhaltlich – eigentlich ganz in deinem Sinne – befüllt.
Absolute Gästezahl und zur Verfügung stehende Kapazitäten: Gutes Management und leistungsfähige Infrastrukturen ermöglichen, dass hohe Besucherzahlen nicht als belastend wahrgenommen werden. In diesem Zusammenhang ist aber auch an die Bevölkerung in den Destinationen und an den Zufahrtstrecken zu denken, deren psychische und physische Belastbarkeit durchaus enden wollend ist.
Verlängerte Öffnungszeiten und Skibetrieb: Das bietet sich in Corona-Zeiten – vor allem bei euch im Osten des Bundessgebietes – als eines von mehreren Argumenten an, um überhaupt in Betrieb gehen zu können. In normalen Zeiten wird dies aber aus ökonomischen Gründen eher nicht der Fall sein können – von bestimmten Anlässen oder Stoßzeiten abgesehen, wie das auch vor Corona bereits der Fall war.
Monokultur Tourismus: Dieses Phänomen ist regional differenziert zu betrachten. Über Alternativen zum Tourismus in den peripheren Alpentälern haben sich bereits Generationen von Wissenschaftlern, Praktikern und Politikern den Kopf zerbrochen. Auch wenn sich die Verkehrswege als Voraussetzung für einen Wirtschaftsstandort seit Beginn dieser Diskussion entscheidend verbessert haben, ist mir ein grundlegender und regional flächendeckender Durchbruch von Alternativen zum Tourismus nicht bekannt. Ich stimme dir aber voll zu, dass wir jede Möglichkeit der ökonomischen Diversifizierung zur Reduktion der Abhängigkeit vom Tourismus nützen sollten.
Geregelter und kanalisierter Zugang zur Natur: Das unterschreibe ich voll und ganz. Dafür gibt es bereits zahlreiche gute Ansätze. Es muss aber noch viel mehr getan werden. Insbesondere gilt es, die notwendigen Informationen in adäquater Form an die entsprechenden Zielgruppen zu bringen sowie die bislang Unbelehrbaren zu überzeugen. Das zeigen mir aktuell wieder viele Beobachtungen von Outdoorfreaks in der tief verschneiten Gebirgslandschaft.
Euren Beiträgen kann man nur zustimmen. Es ist auch gut wenn wir schon jetzt über das Danach nachdenken, wenn „Massentourismus“ wieder des öfteren in der Berichterstattung auftaucht. „Overtourism“ ist oftmals eine Folge von „Undermanagement“. Markus Redl hat schon – Corona sei dank – gezeigt, wie das mit Voranmeldung funktionieren kann. Das wird wohl nicht überall klappen aber wir müssen uns vermehrt den Kopf über diese Dinge zerbrechnen.
Am Ende des Tages brauchen wir ja Lösungen, die den Urlaubern und den Einheimischen zugute kommen und wo die verschiedenen Nutzergruppen sich nicht ins Gehege kommen.
Tolle Zielrichtung, missverständliches Wording
Hallo Markus,
ich schliesse mich den positiven Rückmeldungen von Franz Hart und Peter Haimayer an. Danke sehr für deinen Beitrag.
Besucherlenkung und Kanalisierung (auch) durch verstärkte Kooperation wird hoffentlich eines der Learnings sein, die wir auch in wieder einfacheren Zeiten umsetzen – mit Benefits für die Wirtschaft, den Gast und die Natur. Und eine – wo möglich – ökonomische Diversifizierung ist wichtig: das werden die Regionen nicht alleine schaffen, hier sind steuerende und unterstützende politische Rahmenbedingungen notwendig. Mancherorts wird auch die Frage im Raum stehen, ob und wie Hotelraum in Wohnraum für die Einheimischen (nicht in Spekulationsobjekte oder Ferienwohnungen für Auswärtige) umgewandelt werden kann.
Zu dem meiner Meinung nach missverständlichen Wording: Sanften Massentourismus kann es nicht geben, genausowenig wie einen sanften Overtourism.
Das eine, Massentourismus, ist per Definition, die Überanspruchung der Natur durch zu viele Menschen. Wenn durch intelligente Lenkung, die Überanspruchung räumlich und/oder zeitlich wegfällt, ist es kein Massentourismus mehr.
Und Overtourismus, ist die gesellschaftliche Überlastung der Bevölkerung vor Ort. Durchaus subjektiv und nicht nur auf die Anzahl der Gäste bezogen. Um Overtourismus zu vermeiden braucht es neben den Lenkungsmassnahmen ebenso Instrumente der Partizipation, der Wertschöpfungsverteilung in der Region und ein gutes Image des Tourismus als Arbeitgeber, um die positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber dem Tourismus zu erhalten respektive wiederzugewinnen.
Es geht darum – wie Du ja selbst schreibst – alle Dimensionen der Nachhaltigkeit zu leben.
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