Digitalisierung im Tourismus – Zusammenspiel von Tourismusorganisationen und Betrieben
Darf es auch Themen abseits von Corona geben? Wir sind überzeugt, JA, die muss es sogar geben. Florian Bauhuber (Tourismuszukunft) und Reinhard Lanner (ÖW) im Interview mit Sandra Macher (FH JOANNEUM).
Der digitale Wandel und digitale Geschäftsprozesse haben unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser tägliches Leben in vielerlei Hinsicht beeinflusst. Noch bevor die Digitalisierung in anderen Branchen zum Thema wurde, konnten im Tourismus schon Unterkünfte per Meta-Webportal gebucht, auf Plattformen bewertet und Fotos vom Urlaub auf Facebook und Blogs geteilt werden. Heute hat sich die Tourismusindustrie als eine der weltweit größten Wirtschaftszweige etabliert. Aber nicht nur weltweit wachsen touristische Umsätze immer weiter, auch die Ankünfte und Nächtigungen in der Steiermark eilten vor der COVID-19-Pandemie von Rekord zu Rekord. Heimische Touristiker*innen stehen vor neuen Herausforderungen: Neben veränderten Erfolgsparametern auf Social-Media Plattformen, gepushten Hypes, Bewertungsplattformen müssen sie sich um neue digitale Technologien in den Betrieben umsehen. COVID-19 zwingt Touristiker*innen zu innovativen Lösungen und Technologien, um die Gesundheit der Mitarbeiter*innen und Gäste zu wahren. Es braucht somit Antworten auf Fragen, die sich aktuell stetig weiterentwickeln und aufgrund der unklaren Langzeitfolgen der Pandemie noch nicht zur Gänze absehbar sind. Das Projekt „Digi-T“ – Digital Literacy im steirischen Tourismus – beschäftigt sich genau mit dem Aufzeigen dieser Herausforderungen und der Erarbeitung von Lösungsansätzen für touristische Unternehmen und deren Führungskräfte.
Tourismus und Digitalisierung haben sich gefunden
Um die verschiedensten Herausforderungen und zu erwartenden Veränderungen aufzuzeigen, wurden neun Expert*innen aus den Bereichen Tourismus, Bildungswissenschaften, digitaler Kommunikation und Informatik befragt. Aus der Tourismusbranche konnten Florian Bauhuber, Geschäftsführer des Netzwerks „Tourismuszukunft“, und Reinhard Lanner, Chief Digital Officer der Österreich Werbung, für ein Interview gewonnen werden.
„Der Tourismus ist wahrscheinlich die Branche, die als Erstes und am intensivsten von der Digitalisierung betroffen war. […] Aus meiner Wahrnehmung sind der Tourismus und die Digitalisierung zwei, die sich gefunden haben.“ – Florian Bauhuber
Für Florian Bauhuber ist die Digitalisierung vom Tourismus nicht mehr wegzudenken. Bei der Implementierung neuer digitaler Prozesse und Technologien stellt der Tourismus-Experte jedoch fest, dass Innovationen in der Branche aufgrund ihrer Kleinteiligkeit nur langsam sickern und so deutlich verspätet Anklang finden. Aber nicht jedes Unternehmen muss sich technologisch am Puls der Zeit befinden, dies sei laut Bauhuber jedoch stark zielgruppenabhängig.
Daten, Daten, Daten
Die Experten sehen für die Unternehmen und Destinationen neben dem Datenmanagement auch eine Herausforderung in der Datenaufbereitung, ganz konkret, Kund*innendaten zu erheben und zu verwalten. Reinhard Lanner und Florian Bauhuber kritisieren, dass Daten oft in Datensilos und unstrukturierten Datenbanken landen. Lanner zufolge sollte unter anderem die Datenerhebung und -aufbereitung besser zwischen den einzelnen Destinationen und Betrieben abgestimmt werden. Er ist der Meinung, dass es viele Möglichkeiten gibt, mittels Kund*innendaten bessere touristische Angebote zu entwickeln, allerdings werden diese bisher erst wenig genutzt. Als Beispiel nennt Lanner die Tracking-Plattform und -App “Strava” für Lauf- und Radfahraktivitäten. Auch Daten von Wassertemperaturen von Badeseen könnten beispielsweise von Destinationen und Unternehmen besser genutzt werden. Reinhard Lanner sieht auch im Fehlen einer österreich- bzw. europaweiten Bilddatenbank eine Problematik. Dadurch ergeben sich für touristische Betriebe Schwierigkeiten beim Prozess der Bildverwaltung, Verschlagwortung und bei rechtlichen Aspekten:
„So gesehen ist auch immer wieder die Frage durchaus berechtigt: ‚Wozu beschäftigt ihr euch mit VR und AR, wenn ihr nicht einmal eine Bilddatenbank habt?‘.“ – Reinhard Lanner
Dies ist laut Reinhard Lanner mitunter auf die föderalistische Struktur Österreichs zurückzuführen. Die Digitalisierung weltweit hebe im Tourismus laut dem Chief Digital Officer der Österreich Werbung bestehende Kategorien auf:
„Wir denken immer nur in Gast und Gastgeber. Airbnb und Uber haben uns aber gezeigt, dass das falsches Denken ist. Wir können beides sein. Wir können einmal Gast sein, einmal Gastgeber, Passagier oder Taxifahrer. Ich glaube das sind die Dinge, die wir lernen müssen. Bestehende Abläufe und Muster zu hinterfragen.“ – Reinhard Lanner
Dabei schlägt er vor, neue Standards zu setzen. Er sieht die Aufgabe dabei jedoch nicht nur in den Betrieben: Speziell nationale Tourismusorganisationen haben die Möglichkeit, die Tourismuspolitik bei zukünftigen Gesetzen und Instrumenten zu unterstützen. Insgesamt würden Destinationen und Betriebe einen ganzheitlichen Überblick benötigen, die Verantwortung liege laut Bauhuber und Lanner jedoch bei den übergeordneten Dachorganisationen. Als Beispiele werden von Reinhard Lanner ein digitales Meldewesen, Standards zum Datenaustausch und der österreichweite Breitbandausbau genannt.
Digital Literacy im Forschungsfokus
Wie die Tourismusindustrie mit der fortschreitenden Digitalisierung weiter umgehen wird, wird sich in den nächsten Jahren zeigen, das Projekt “Digi-T” erforscht das Phänomen speziell im steirischen Tourismus noch bis Ende 2021. Die Ergebnisse der Interviews waren als erster Projektschritt essenziell zur Disziplinen übergreifenden Exploration des Forschungsfeldes. Das Projektteam leitet aus den Interviewergebnissen somit komplexe Anforderungen und Herausforderungen an heimische Führungskräfte und Mitarbeiter*innen im Tourismus und im weiteren Sinne auch an Gäste ab. Die Digitalisierung bietet für Touristiker*innen einige Chancen und Potenziale für die Konzipierung gesteigerter Urlaubserlebnisse, Kosteneinsparungen und Prozessoptimierungen. Auf der anderen Seite wird der menschliche und physische Kontakt mit den Gästen wichtig bleiben. Wie sich dies jedoch mit und nach der COVID-19 Pandemie vereinbaren lässt, wird sich zeigen. Die Experten sprachen von der Beleuchtung der Digitalisierung auf der ganzen Customer Journey. So sollten sich Touristiker*innen nicht nur auf alle Bereiche der Inspirations-, Informations-, Buchungs- und Reisenachbereitungsphase konzentrieren, sondern auch auf die Zeit während des Aufenthalts, in denen Tourismusbetriebe bis jetzt noch wenig Digitalisierungsmöglichkeiten nutzen. Auf Basis dieser Interviews wurden Angebote touristischer Aus- und Weiterbildungseinrichtungen, die steirische Tourismusbranche und eine Social-Media-Analyse durchgeführt. Als nächste Projektschritte sind weitere qualitative Befragungen mit Verantwortlichen der Tourismusbranche und Aus- und Weiterbildungseinrichtungen und Gästen geplant. Teil dieser Forschung sind auch User Testings, eine quantitative Erhebung und eine Prozessanalyse touristischer Betriebe.
Das Projekt “Digi-T“ – Digital Literacy im steirischen Tourismus” ist eine Projektkooperation, gefördert vom Zukunftsfonds Steiermark, des Instituts für Gesundheits- und Tourismusmanagement, dem Institut für Journalismus und Public Relations (PR) (beide FH JOANNEUM) und dem Institut für Bildungs- und Erziehungswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz.
Text: Sandra Macher (FH JOANNEUM)
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