Die Kunst der Veränderung – Hotellerie im Wandel
So wie sich Veränderung bei Menschen in ihren Lebensläufen widerspiegelt, so zeigt sich Wandel in der Wirtschaft durch Lebenszyklen in Unternehmen, einzelnen Branchen und der Wirtschaft als Ganzes.
Die Kunst für Unternehmer:innen liegt nicht nur im Erzielen von kurzfristigen Profiten sondern vor allem darin, als Unternehmen langfristig im Geschäft zu bleiben. Das heißt, die täglichen Anforderungen meisterhaft zu bewältigen und gleichzeitig die Veränderungen in der Umwelt – Kunden, Arbeitsmarkt, Lieferanten, Mitbewerber, Trends, etc. – wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren.
Die großen Veränderungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen
Die Industrialisierung erzeugte boomende Märkte und eine Gesellschaft, in der Menschen als Einzelne in der Masse verschwanden. Ein Ende der Massenkultur – auch im Tourismus – ist erkennbar. Individualisierung statt Standardisierung, neue Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft sind Basis für moderne Dienstleistungen und Services im Hotel.
„Wir sind hier Gast. Verhalten wir uns auch so.“ lautet eine Initiative des ORF unter dem Titel „Mutter Erde“. Abgesehen von moralischen Erwartungen der Gäste wird ökologisch verantwortliches Handeln auch durch gesetzliche Bestimmungen ein wesentlicher Basisfaktor im Tourismus.
Lag in der Industriegesellschaft der Fokus vor allem auf der Erzeugung und dem Vertrieb von Produkten und Services so wird in der Wissensgesellschaft Wertschöpfung durch das Lösen von Problemen geschaffen. Die Fähigkeit, sich an ständige Veränderungen und Unvorhersehbarkeiten anzupassen sind die Erfolgsfaktoren von heute.
Vom Hotelbetreiber zum Systemdesigner
Viele österreichische Tourismusbetriebe haben seit Jahrzehnten die Balance zwischen operativen Alltag und regelmäßigen Anpassungen an geändertes Kundenverhalten meisterhaft geschafft. Durch permanente Umwelt-Veränderungen bei Kundenwünschen, Technologisierung, Arbeitsmarkt, gesetzlichen Rahmenbedingungen usw., steigt die Komplexität – diese muss bewusst bearbeitet werden.
Vom Dienstboten zum Life-Coach
Die Struktur der Industriegesellschaft, wo Mitarbeiter ein bißchen mit-arbeiten dürfen, sowie die „Dienerkultur“ im Tourismus. Beides sind Auslaufmodelle. Menschen wollen als wesentlicher Teil eines Netzwerks betrachtet werden um selbstbestimmt zu einem Ziel beizutragen und dafür Wertschätzung zu erfahren. Keine Branche bietet hierfür so viele Zukunftschancen wie der Tourismus.
Der Hotelier im Sinne von Systemdesigner nimmt dabei die Rolle eines wichtigen Mentors und Unterstützers ein. Gemeinsam mit Mitarbeiter:innen werden Zukünfte entwickelt:
Welche Teile der Arbeit können ausgelagert oder digitalisiert werden?
Bei welchen Tätigkeiten ist die physische Anwesenheit nicht erforderlich?
Welche Ausbildungen zu neuen Life-Coaching Services wollen Mitarbeiter machen?
Die Gäste berühren, nicht nur bedienen
Das Maschinenzeitalter und die Arbeitsteilung haben viel Wohlstand gebracht, gleichzeitig auch zu emotionaler Verarmung vieler Menschen geführt. Menschen kaufen vermehrt Dienstleistungen, welche ihre Bedürfnisse nach Individualität und persönlichem Wachstum erfüllen. Dieser Trend wird sich die nächsten Jahre verstärken.
Von der Transaktion zur Interaktion
Die Geschäftsmodelle von morgen basieren auf Interaktion. Für Unternehmen heißt das, die Anschlussmöglichkeiten zu erhöhen, analog wie digital. Der Hotelier als Systemdesigner analysiert genau, welche Interaktionen zwischen Menschen, Maschinen, Organisationen existieren und wo neue Chancen für erfolgversprechende Interaktionen liegen könnten.
Beispiel:
Arbeitswelten neu denken: Das Hotel als Forschungsinstitut.
Eine utopische Vorstellung aus Österreich
Die Suche nach weltweiten Best Practice Beispielen ließen mich fündig werden: In St. Jakob im Defereggen. Ein Treffpunkt zwischen digitaler und analoger Welt, zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Einheimischen und Gästen.
Ein alter Gasthof wurde renoviert und durch die Verbindung mit dem Verein N’Cyan eine völlig neue „Hotel – Kategorie“ geschaffen.
(…) Das Hotel „FoKus“ versteht sich als Ort der Begegnung. Nachhaltigkeit und Hightech, Regionales und Urbanes, Wurzeln und Flügel: hier wird es Ereignis! Gemeinsam und auf Augenhöhe führen wir Forscherinnen, Forscher und Gäste genauso zusammen wie Neugier und Genuss. So entfalten sich im FoKus ungekannte synergetische Potentiale, die dazu auffordern, genutzt zu werden (…)
Laut Gastgeberin Barbara Mellitzer, ist dieses Konzept auch bei der Mitarbeiter:innen Gewinnung sehr hilfreich. Ausweitung auf einen Ganzjahresbetrieb, Mitarbeit bei Workshop- und Konferenzgestaltung sowie kostenlose Teilnahme an Vorträgen sind nur einige Aspekte, welche die Jobs im „FoKus“ sehr attraktiv machen.
Es muss nicht jedes Hotel eine Forschungseinrichtung werden.
Sich mit Veränderungen der Umwelten zu beschäftigen, Chancen für neue Verbindungen & Verknüpfungen zu identifizieren, dafür sollten sich jedoch jeder Hotelier ausreichend Zeit nehmen.
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Dieser Beitrag wurde für den ÖHV Kongress 2022 „Lebensläufe – Arbeitswelten neu denken“ im Magazin „die lobby“ Winter 2021 veröffentlicht.
Was der Kunde will, was der Mitarbeiter will, was die Gesellschaft will, etc. – all dies sind nachgereihte Fragen. Wenn ich als Wirt und Gastgeber weiß was ich will, aus meiner Berufung heraus handle, bin ich authentisch in meiner Dienstleistung und vermeide Missverständnise zu meiner Mitwelt. Ohne Erfüllung der eigenen Berufung ist nachhaltiger Erfolg nicht erzielbar. Der eigene Kern als stabiles Element in einem sich verändernden Umfeld. Möge diese Übung gelingen, zum Wohle jedes einzelnen und der gesamten Gesellschaft.
Buchtip:
http://www.edition-a.at/buecher/wirtschaft/20/eine-neue-wirtschaft
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