11. Januar 2025 | 23:45 | Kategorie:
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Schnee statt Schmäh

Die Wintersaison ist gut angelaufen, der Schneesport in Österreich ein Milliardengeschäft. Wir müssen trotzdem (ernsthaft) reden. Derzeit führen wir zu oft Scheindebatten, was der volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung des Skilaufs nicht gerecht wird. Wir müssen auch als Tourismusbranche mehr Tacheles reden; beispielsweise gehört unsere momentan riesige Schneeabhängigkeit sachkundig diskutiert.

In Vorträgen setzt Ihr Autor gerne seine Arbeit für mittelgroße Skigebiete in Niederösterreich mit a canary in a coal mine gleich. Relativ niedere Lagen und hoher Tagesgastanteil zeitigen Herausforderungen bei der Klimawandelanpassung sowie im Kundenbeziehungs- und Auslastungsmanagement, die zeitversetzt auch andere in höheren Lagen und mit ungleich mehr Nächtigungsgästen treffen können. Reinhard Klier wird beispielsweise im Beitrag Skigebiete: Wintersportler stürmen Pisten – tirol.ORF.at wie folgt zitiert: „Die Menschen verfolgen genau das Wetter und die Schneeverhältnisse und buchen dann zeitnah oft kürzere Urlaube.“

Niederösterreich hat speziell mit der Wexl Arena St. Corona am Wechsel ein international vielbeachtetes Beispiel für gelingende Transformation vom Skigebiet zum ganzjährigen Anbieter von Bergerlebnissen geschaffen. Der Marktanteil von Ostösterreich ist jedoch sehr klein, die eigentliche Herausforderung liegt in hunderten Skigebieten im gesamten Bundesgebiet.

In diesem siebenundachtzigsten und letzten inhaltlichen Beitrag Ihres Autors hier auf dem TP-Blog sollen drei salonfähige Meinungen im Skitourismus kritisch hinterfragt werden: Mangelnde Schneesicherheit trete fast ausschließlich in niederen Lagen auf, nur günstige Liftkarten würden die Nachfrage sichern und hinsichtlich der Ökologisierung reiche Strom aus erneuerbarer Energie und HVO-Kraftstoff für Pistengeräte.

1. Schneesicherheit ist auch in Gunstlagen Thema

Tourismus sagt leise Servus zum Schnee“ – so betitelte die Austria Presse Agentur ein von Birgit Kremser mit Martin Stanits von der Österreichischen Hoteliervereinigung geführtes Gespräch, das von den heimischen Medien breit übernommen worden ist. Es ist sehr erfreulich, wenn sich der Vertreter einer anerkannten Tourismusinstitution differenziert mit dem Thema Schneeabhängigkeit auseinandersetzt:

Investitionen in Skilifte im Osten Österreichs „würde ich jetzt nicht tätigen – die große Zeit der Skilifte steht nicht bevor, diplomatisch formuliert“, meinte der Sprecher der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV). „Im Westen funktioniert’s, weil die Berge dort höher sind.“

Dieser Abschnitt wird an anderer Stelle relativiert, ist aber trotzdem zu hinterfragen. Denn zu meinen, dass Seehöhe und/oder technische Beschneiung ohnehin auf absehbare Zeit schützen, ist leider eine Scheinsicherheit.

Zuerst einmal gibt es in Österreich drastische regionale Unterschiede, was jene Seehöhe anbelangt, auf der 90 Prozent des Winterniederschlags (Dezember, Jänner, Februar) als Schnee fällt: Herbert Formayer et. al. hatten dazu bereits 2009 publiziert. Allerdings reicht auch dieser Parameter nicht aus. Günther Aigner wird in der Tiroler Krone („Experte im Interview – Öko-Debatte: Reden wir uns das Skifahren kaputt? | krone.at“) wie folgt zitiert:

Ein Beispiel: Die Österreichischen Klimaszenarien ÖKS gehen bis 2050 im schlimmsten Fall von einer Erwärmung von 1,4 Grad Celsius aus. Das würde einen Anstieg der Schneegrenze bzw. der Nullgradgrenze von etwa 200 Höhenmetern bedeuten. Für die allermeisten Tiroler Skigebiete wäre das relativ leicht verkraftbar.

Das ist zu kurz gegriffen, weil die Mikrolage (Strömungsverhältnisse, Wasserverfügbarkeit, Geologie etc.) eine große Rolle dabei spielt, ob und wie Schnee produziert werden kann und was bei allfälligem Starkregen und/oder Föhnsturm passiert. In der Praxis bemerken wir in den letzten Jahren eine Häufung solch ungewöhnlicher Wetterereignisse und aber auch, dass bisher typische Wetterlagen weniger zuverlässig eintreten.

Monatliche Durchschnittstemperaturen aus der Klimatologie sind nur bedingt aussagekräftig: Für die Grundbeschneiung brauchen wir sogenannte Schneifenster im Vorwinter, sollten einige kalte Tage bzw. Nächte mit geringer Luftfeuchtigkeit ausreichen – ein Schneeerzeuger läuft nur rund 200 Stunden pro Jahr. Umgekehrt reichen einige Tage Starkregen und/oder Föhnsturm, um die Grundbeschneiung stark zu dezimieren.

Wir sind im modernen Skibetrieb grundsätzlich von technischer Beschneiung hoch abhängig; der Maschinenschnee ist durch seine höhere Dichte recht widerstandsfähig, was Regen und Wärme anbelangt – genau das hat uns österreichweit die Wintersaison 2023/2024 gerettet; aber natürlich gibt es da auch Grenzen. Und eine erneute (Grund-)Beschneiung ist zu einem späteren Zeitpunkt einer laufenden Wintersaison aus den verschiedensten Gründen nicht immer ratsam bzw. überhaupt rechtlich, technisch oder wirtschaftlich möglich.

Deshalb brauchen wir neue Überlegungen und Anpassungsstrategien: Hier Wissenschaftliche Grundlagen zum Klimawandel & Wintertourismus von Seilbahnen Schweiz und der Beitrag Land der Berge, zukunftsreich! (Teil 2 von 3) – TP-Blog Ihres Autors.

2. Nachfrage schafft und sichert das exzellente Produkt

Das allherbstliche Crescendo an Kritik und Empörung ob steigender Liftkartenpreise wird wohl erst verstummen, wenn dynamic pricing auch bei uns gang und gäbe ist. Und attraktive Ganzjahres- und Saisonkarten wie das Freizeitticket Tirol oder der NÖ Bergerlebnispass speziell für „Einheimische“ endgültig zum neuen Standard werden. Regelmäßig wird die Preispolitik der Seilbahnen mit der Aussicht auf Zukunft und Nachwuchs (oder eben das Gegenteil davon) gleichgesetzt. Ganz nachvollziehbar ist diese mediale Fixation auf Liftkartenpreise – noch dazu oft genug der Erwachsenen-Tageskarte – nicht. Und zwar aus mehreren Gründen:

Zuallererst macht gemäß Primärerhebung Ausgaben durch Seilbahnnutzer 2022/23 („Wie viel gibt ein erwachsener Seilbahnnutzer oder eine Seilbahnnutzerin pro Ersteintritt in Österreich brutto aus?“) und Berechnung durch MANOVA die Liftkarte gerade einmal rund 17 Prozent der Ausgaben an einem durchschnittlichen Skitag aus, nämlich 44,00 von 263,80 Euro. Das entspricht ziemlich genau dem aus gesamtösterreichischer Sicht dominanten Nächtigungsgast mit 16 Prozent (44,90 von 280,00 Euro), der Tagesgast liegt mit 23 Prozent (48,60 von 212,00 Euro) darüber, der Saisongast mit 13 Prozent (28,20 von 219,00 Euro) etwas darunter.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es ein großer Segen für Österreich, dass mehr als 50 Millionen Skier Days weit über die Seilbahnwirtschaft hinaus für Wertschöpfung und Beschäftigung sorgen. Auch wenn der Schneesport meist keine alltägliche Aktivität ist, sondern in aller Regel nur sporadisch ausgeübt wird: Für die Gäste ist er mit erheblichem finanziellen Einsatz verbunden. Diese individuellen Kaufentscheidungen werden nach wie vor millionenfach getroffen, weil das „Produkt“ in Österreich mit seiner Qualität überzeugt, das Preis-/Leistungsverhältnis passt; gemeint ist jeweils der Skiurlaub oder der Skitag in seiner Gesamtheit.

Was uns in Europa und speziell in Österreich zu denken geben sollte, sind die im internationalen Vergleich (vor allem Nordamerika: 6 Mountains Where You Can Ski for $100 or Less – The New York Times) relativ geringen Liftkartenpreise selbst absoluter Topdestinationen. Das setzt auch alle anderen Anbieter gehörig unter Druck; gerade auch solche, die zwar über weniger Pistenkilometer und Aufstiegshilfen verfügen, aber genauso von gestiegenen Energie- und Personalkosten betroffen sind.

Was wir in der Seilbahnwirtschaft viel mehr brauchen, sind Diskussionen darüber, wie unser Produkt noch besser werden kann. Was haben wir beispielsweise älteren Menschen (potenziellen Aussteigern) anzubieten, was das ganze Jahr über Gästen, die keinen Schneesport betreiben? Sind unsere Einrichtungen für Kinder und Einsteiger wirklich State of the Art? Hier einige Vorschläge Ihres Autors: Zukunft Winter: eine Frage der Kultur – TP-Blog.

3. Ökologisierung setzt bei der Gästemobilität an

Die Ökologisierung der Seilbahnwirtschaft auf Strom aus erneuerbarer Energie (für Aufstiegshilfen und Beschneiung) und HVO-Kraftstoff für Pistengeräte zu reduzieren, ist zu wenig: Weil wohlbekannt ist, dass die Mobilität der Gäste den Löwenanteil der Treibhausgasemissionen in ihrer Sphäre ausmacht. Flugreisen fallen da besonders ins Gewicht, aber auch die tägliche PKW-Anreise bei hohem Tagesgastanteil wirkt sich negativ aus.

Die Eisenbahn ist für unsere Nahmärkte die logische Alternative, aber trotz der Entstehungsgeschichte vieler Bergresorts bzw. Skigebiete entlang der Bahnlinien nicht in alle Destinationen verfügbar oder rasch skalierbar. Wir werden (wieder) stärker auf Busse setzen müssen, insbesondere solche mit elektrischem Antrieb. Aus ökologischer Sicht brauchen wir eine Renaissance des Bustourismus.

Auch eine möglichst intensive Nutzung bestehender Infrastruktur spielt eine Rolle, dazu dient die Besucherstromlenkung. Aber selbst bei umgesetzten Parkraummanagement und sehr hohem Onlineanteil – wie bei unseren Standorten in Niederösterreich – dominiert die individuelle Anreise: tendenziell immer weniger Personen pro immer voluminöserem PKW. Am Hochkar waren früher an den stärksten Tagen mehr als 50 Reisebusse, die sieht man heute nur noch selten – dafür kommen Wohnmobile und Campervans in Scharen.

So manche NGO hat für (notwendigerweise globalen) Klimaschutz mit dem Argument gekämpft, dass es bei den entsprechend positiven Szenarien auch noch in Jahrzehnten viel eher Schneesport in den europäischen Alpen geben kann. Was ehrlicherweise auch dazu gesagt werden sollte: Bei den Szenarien ohne Klimaschutz haben wir leider ganz andere Probleme. Hier noch ein Beitrag Ihres Autors zum Thema: Land der Berge, zukunftsreich! – TP-Blog.

 

P.S. In einigen Tagen werde ich in einem letzten Beitrag auf beinahe neun Jahre Autorenschaft beim TP-Blog zurückblicken, Feedback in Vorbereitung darauf gerne hier.

12. Januar 2025, 14:14

Hallo Markus, in deinem (leider) letzten Beitrag im TP-Blog sprichst du wieder einmal drei wichtige Themen zum Wintertourismus an: Schneesicherheit, Skikartenpreise und Ökologisierung. Dazu einige Bemerkungen:

Schneesicherheit: Du zeigst die Komplexität der Thematik auf und weist darauf hin, dass sich auch die Gunstlagen des Skilaufs mit der Frage der Schneesicherheit und der Schaffung ergänzender (Ganzjahresangebote) befassen müssen. Das tun sie ohne Zweifel, auch wenn solche Transformationsprozesse in alpinen Regionen mit anderen Herausforderungen (Relief, Sonnenscheindauer, ausgedehnte Schattenlagen im Winter und in den Übergangsjahreszeiten etc.) verbunden sind als in niedrigeren Höhenlagen mit sanfteren Reliefformen wie im östlichen Österreich.

Liftkartenpreise: Zurecht merkst du an, dass die Liftkarten nur einen Teil der Tagesausgaben der Wintersportgäste ausmachen. Dennoch fällt ein Tageskartenpreis von 50 und z.T. weit mehr Euro schon ins Gewicht. Saison- oder Jahreskarten, schaffen hier Abhilfe und sie tragen dazu bei, dass deren Besitzer mehr Skitage absolvieren. Zudem enthalten solche Angebote mitunter weitere Freizeiteinrichtungen, die auch zu anderen Jahreszeiten benützt werden können.

Ökologisierung: Es besteht Konsens darüber, dass die Anreise den Löwenanteil der Treibhausgasemissionen ausmacht, die dem Wintersport zuzurechnen sind. Dem entgegenzuwirken ist eine Sisyphos-Arbeit. Innerhalb von Destinationen gelingt dies mit Skibussen und Seilbahnverbindungen recht gut. Auch für den Weg in stadtnahe Skigebiete werden öffentliche Verkehrsmittel gerne angenommen, wie dies etwa im Raum Innsbruck der Fall ist. Für die An- und Abreise in Wintersportorte sowie für Tagesfahrten in Skigebiete, die an kein geeignetes öffentliches Verkehrsmetz angebunden sind bzw. angebunden werden können, sieht die Sache jedoch anders aus. Aber ich denke auch hier hat das altbekannte Sprichwort „Jeder Tropfen höhlt den Stein“ seine Gültigkeit.

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