15. April 2020 | 16:45 | Kategorie:
8

Wird die Corona-Krise den Kongresstourismus nachhaltig verändern?

Experten wie der Tourismusökonom Egon Smeral oder der Unternehmensberater und Hotellerie-Spezialist Martin Schafferer sprechen aufgrund der Covid-19 Pandemie in unserem Land von einem besonders starken Rückgang der Nächtigungen im Tourismus von 30 bis 50 Prozent im heurigen Jahr, im Städtetourismus wegen der Internationalität sogar um 45 bis 55 Prozent.

Vor Juli wird voraussichtlich die Tourismussaison nicht in vollem Umfang beginnen. Das Kongressgeschäft dürfte nach Ansicht vieler Betroffener nicht vor Herbst möglich sein, zudem ist von geringeren Teilnehmerzahlen auszugehen.

Wie schaut es dabei im Tagungstourismus aus?

Die Kongresshochsaison ist bekanntlich im Frühjahr und Herbst. Das Frühjahr war mit dem „Great Lockdown“ per 15. März schon gleich Geschichte. Kongresse im Herbst sind noch mit einem großen Fragezeichen versehen, und werden davon abhängen, ob größere Menschenansammlungen stattfinden dürfen und die Reisewarnungen vieler Länder aufgehoben werden. Jedenfalls rechnet der Austrian Airlines CEO, Alexis von Hoensbroech, mit einem drastischen Rückgang des Flugaufkommens nicht nur für heuer, sondern auch für die nächsten Jahre.

Neben Wien haben sich zahlreiche Destinationen in den Bundesländern dem Tagungs- und Seminartourismus verschrieben und haben dafür eine hervorragende Infrastruktur sowie gute Angebote geschafften. Während Wien sehr stark international positioniert ist (Mit einem Anteil von lediglich 21 Prozent am gesamten Wiener Tagungsaufkommen repräsentiert das Segment der internationalen Kongresse 56 Prozent aller TeilnehmerInnen, 77 Prozent des Nächtigungsaufkommens, 82 Prozent der generierten Wertschöpfung und 82 Prozent der induzierten Steuereinnahmen für die Stadt Wien. Aus: Vienna Meetings Industry Report 2018), werden die Bundesländer-Tagungsdestinationen stärker im nationalen und deutschsprachigen Raum (DACH-Region, Deutschland, Austria, Schweiz) gebucht, was ein bisschen in der Auslastung abfedern mag.

Was für Auswirkungen hat dies für Angebot und Nachfrage, sprich Kunden?

Angebotsseitig sind dies in erster Linie die vielen state-of-the-art Kongress- und Veranstaltungszentren, Seminarhotels, aber auch die Kette der Zulieferer wie Kongress-, Event- und Kommunikationsagenturen, Catering- und Technik-Unternehmen, Standbau-Firmen und viele andere mehr.
Als Kunden definieren wir den großen Bereich der Associations (Verbände, Vereinigungen, Interessensvertretungen), die einen Großteil des Kongressgeschäftes darstellen und sich regelmäßig in periodischen Rhythmen treffen. Den zweiten Bereich bildet das Corporate Business, jenes Segment der Firmen und Konzerne.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass Firmen kurz- bis mittelfristig wegen des schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes andere Prioritäten setzen werden als Firmen- und Kundenevents zu organisieren. Wir erleben jetzt in beiden Bereichen, dass „face-to-face“ Meetings durch digitale Technologie, also Videokonferenzen, Livestreaming etc. substituiert werden. Sowohl geschäftlich als auch privat funktioniert das Elektronische schon gut. Es zeichnet sich jetzt schon eine gewisse Verhaltensänderung ab. Es werden noch ausgeklügeltere digitale Systeme kommen, die die Kommunikation, Diskussion und Wissensanreicherung besser meistern können. Selbst die Europäische Union und ihre Räte kommen mit den Online-Konferenzen zu guten Ergebnissen.

Unter Kongressfachleuten wird die Zukunft in Hybrid-Meetings, also beides online und offline, gesehen. Der persönliche Kontakt wird immer einen großen und wichtigen Stellenwert haben. Die Bereitschaft zu reisen wird jedoch abnehmen, dies wird Auswirkungen auf die Luftfahrt und vielleicht auch Bahn haben. Zu den Gewinnern zählen zweifelsohne bestimmte Bereiche der Software-Industrie und der einschlägigen technischen Hardware.

Ist eine Änderung des Geschäftsmodelles „Kongresse / Meetings“ angesagt oder ist Resilienz die Strategie?

Die Associations werden ihre Mitglieder mit Jahreskongressen und sonstigen Nutzen an der Stange halten müssen. Auszugehen ist aber davon, dass die Teilnehmeranzahl von Kongressen aus vielschichtigen Gründen eher kleiner wird, und das Digitale ob in Form von Videokonferenzen, Webinaren, Livestreamings und sonstigen kreativen Angeboten für eine Mitgliedschaft in Verbänden überhaupt entscheidender wird. Firmen realisieren, dass sich Meetings genauso gut online organisieren lassen und vielleicht nur mehr jedes vierte Meeting analog stattzufinden hat. Man sichert Zeit, reduziert Gefahren, trägt zum Klimawandel positiv bei, der Co2 Fußabdruck wird geringer und andere Argumente mehr gibt es genug.

Der größte PCO (Professional Congress Organizer) weltweit, die MCI Group, vertritt die Meinung, dass es in Zukunft mehr Meetings geben wird. Die Komplexität der Themen lässt diese Prognose zu, doch glaube ich, dass sich vieles in die virtuelle Welt verlagern wird.
Was bedeutet dies für die Anbieter? Agenturen werden ihre Geschäftsmodelle adaptieren und zum Teil ganz verändern müssen, denn allzu lange werden sie derart geschäftliche Einbußen nicht überstehen. Die Zulieferer werden ihre Chancen ergreifen. Bei Technik-Firmen liegt vieles auf der Hand.

Große Kongress- und Veranstaltungszentren, die ohnedies meist als multifunktionelle Zentren agieren, stehen sicher vor einer großen Herausforderung. Konzert- und Kulturveranstaltungen werden für manche, aber nicht für alle ein Ausweg sein. Der Tagungs- und Kongressbereich wird meines Erachtens die größte Transformation erfahren. Tagungsmanager sind gefordert, schon kurzfristig neue Konzepte für Nutzungen auszumachen, es gibt deren einige, denn Leerstände sind nur befristet leistbar.

Insgesamt dürfte jedoch die als steter Wachstumsmarkt angesehene Tagungs- und Kongressbranche heuer und wahrscheinlich auch in den Folgejahren einer von der Corona-Krise und ihrer Verhaltensänderung einer der am stärksten betroffenen Bereiche der Dienstleistungswirtschaft und ihrer Innovationen sein. In jeder Herausforderung liegen jedoch viele Chancen, Krisen befeuern den Erfindergeist.

16. April 2020, 9:19

Danke, Renate, für diesen Beitrag, eine hervorragende fachliche Analyse. Ich bin überzeugt, dass die technologischen Möglichkeiten einer virtuellen Konferenz zwar überbrückend und ergänzend genutzt werden (müssen), doch wir werden auch in Zukunft von Angesicht zu Angesicht verhandeln und kommunizieren wollen. Dafür gilt es auch zu kämpfen und Lösungen zu finden!

16. April 2020, 10:54

Danke liebe Frau Danler, es ist eine sehr gute Zusammenfassung der jetzige Lage mit Ausblick auf die Zukunft. Ich stimme zu, mehr Hybrid und unorthodoxe Lösungen sind in diesem Bereich gefragt. Sehe ich noch mehr Chance im Incentive Beriech, wo Regionalität und Autentizität besser geschätzt wird und deren Wertschätzung in der Poscoronazeit größer wird…

16. April 2020, 15:16

Renate, danke für den guten Bericht und die aus vielen Blickwinkeln betrachtete Situation. Ich bin der Meinung – und wir machen seit über 5 Jahren weltweit Hybride-Events – dass sich viele Veranstaltungen, speziell im Corporate Bereich, in Zukunft in kleinerem Rahmen und mit weitaus ausgewählteren Publikum abspielen werden. Agenturen müssen sich in Zukunft den Kopf darüber zerbrechen, diese Veranstaltungen bereits so zu konzipieren, dass diese als „Contentlieferant“ für die große Verbreitung über elektronische Medien als Multiplikator dienen können. Der Fokus dabei liegt auf Veranstaltungsqualität und einem handverlesenem Publikum.

16. April 2020, 16:54

Hallo Renate
Wieder eine gut recherchierte Zusammenfassung der momentanen Situation und der damit verbundenen Chancen auch in diesem Segment.
Andrea

16. April 2020, 20:31

Die Krise hat es möglich gemacht: Seit zwei Wochen bin ich regelmäßiger Teilnehmer von Online-Veranstaltungen, die jetzt anstelle von Präsenzveranstaltungen stattfinden und stelle fest: Das hat schon was. Kein Zeitverlust für An- und Abreise, kein Hotelaufenthalt. Ich sitze eine Stunde vor dem Laptop und kann mit Menschen in anderen Erdteilen kommunizieren und deren Meinungen erfahren. Also wenn es um den reinen Wissenstransfer geht und die Zeit knapp ist – perfekt.

In der letzten Konferenz waren sich die Experten darüber einig, dass der Normalbetrieb in der Kongress- und Tagungswirtschaft und im Fernreisetourismus erst dann zu erwarten ist, wenn es brauchbare Impfungen oder Medikamente gibt. Damit ist dieses Segment wahrscheinlich im heurigen Jahr noch in großen Schwierigkeiten, da Impfstoffe frühestens für Anfang 2021 erwartet werden.

16. April 2020, 21:02

Liebe Renate, ich denke es wird entscheidend sein, wie schnell die Branche mit konkreten Vorschlägen auf die Politik zugeht um vor allem in jenen Bereichen Verbesserungen zu verankern, die uns als Besucher schon vor der Krise nicht angenehm waren. Damit würde man nicht nur das Gesundheitsrisiko senken, sondern auch das subjektiv empfundene Wohlbefinden der Kunden drastisch steigern.
Niemand sitzt gerne in einem Veranstaltungsraum, dessen Luftqualität durch ein zu geringes Raumvolumen und eine nicht adäquate Lüftungsanlage schlecht ist. Hier könnte man analog zu Fluchtwegbestimmungen ein bestimmtes Raumvolumen pro Teilnehmer und entsprechende Filter in den Lüftungsanlagen mit dem Veranstaltungsstättengesetz vorschreiben.
Auch wäre es sinnvoll die maximale Verweildauer im Einlassbereich zu begrenzen, zumal durch intelligente Tickets hier schon viel erreicht wurde. Der Ticketverkauf an einer Vor-Ort-Kassa für einen Großteil der Besucher ist heutzutage nicht mehr zeitgemäß.
Die Schlacht ums Buffet würde vermutlich auch niemand vermissen und ließe sich durch Begrenzung der Portionen pro Stunde und Ausgabestation leicht vermeiden lassen.
Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, soll aber zeigen, dass großes Potential für Verbesserungen besteht, die niemand als Einschränkung wahrnehmen wird.
Mit dem Wiener Veranstaltungsstättengesetz war man international hoch geschätzter Pionier, um die Gefahr für Leib und Leben bei Zusammenkünften aller Art auf ein Minimum zu reduzieren. Es wäre eine große Chance für Österreich diese Pionierrolle weiterhin zu beanspruchen.

19. April 2020, 18:58

Sehr geehrte, liebe Kommentatoren,
vielen herzlichen Dank für die wertvollen und konstruktiven Inputs. Den einen oder anderen Gedanken werde ich sicher weiter verfolgen, denn die Branche wird jetzt länger im Fokus der Aufmerksamkeit und der Veränderung von ganzen Geschäftsmodellen stehen.
Alles Gute und bleibt gesund!

20. April 2020, 9:31

Liebe Renate,
ja, der Trend wird rückläufig sein, viel wird in Zukunft per Video ablaufen, aber Kongresse per se sind für das Business weiterhin wichtig, neue Geschäftspartner treffen, vor ort Ideen austauschen- das kann die digitale Welt nicht ersetzen.

Kommentieren

 
Ihre Daten werden im Rahmen der Kommentarfunktion gespeichert, darüberhinaus aber für keine weiteren Zwecke verwendet. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Kommentar zurücksetzen