Zum Sinn und Unsinn von Sportgroßveranstaltungen
Es ist ein Teufelskreis: Befürworter (über)betonen die Chancen, Gegner die Risiken von Sportgroßveranstaltungen — und schaukeln sich dabei in ihrer Argumentation gegenseitig auf. Den öffentlichen Diskurs zum Sinn und Unsinn einer Sportgroßveranstaltung nuanciert zu führen, ist auch nicht gerade einfach.
Beispielsweise sind bei Olympischen Winterspielen historische Referenzen im eigenen Land weitgehend überholt, verleiten höchstens zur Unterschätzung der Aufgabe. Die öffentliche Wahrnehmung wird ohnehin durch die Gigantomanie der jüngeren Vergangenheit bestimmt, wobei das Internationale Olympische Komitee (IOC) gerade selbst versucht, sein „Produkt“ zu vereinfachen. Wie sich „The New Norm“ (siehe auch hier und Grafik unten) konkret auf zukünftige Organisatoren auswirkt, ist klarerweise auch von Verhandlungen über die Vorschläge der Kandidatenstädte und somit u.a. vom Konkurrenzumfeld abhängig …
Dazu kommt, dass Chancen und Risiken, Kosten und Nutzen einer Sportgroßveranstaltung immer nur vor dem Hintergrund der angestrebten Entwicklung der gastgebenden Stadt bzw. Region – im Falle der Olympischen Winterspiele des gesamten Landes – bewertbar sind. Eine solches Zukunftsbild ist jedoch nicht immer klar oder gar unumstritten, wobei der Event ja gerade als „Mittel zum Zweck“ der (rascheren) Erreichung einer bestimmten Vision dienen sollte.
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Im Falle einer österreichischen Bewerbung für Olympische Winterspiele habe ich im ‚Der Standard‘ dafür plädiert, sich an einer positiven Entwicklung des Spitzensportes zu beteiligen (Olympia: Reinkeppeln gilt nicht). Auf das Wesentliche konzentrierte Olympische Winterspiele vorbildlich zu organisieren und dadurch auch international Verantwortung zu übernehmen, läge im Rahmen unserer Möglichkeiten (Olympia: „Es sind doch einfache Spiele“).
Im touristischen Zusammenhang greifen Aspekte wie die Profilierung der namensgebenden Host City, die Aufladung der Österreich zugeschriebenen Schneesportkompetenz oder die Erneuerung der Infrastruktur (von Sportstätten, über Hotels bis zu Verkehr und Telekommunikation) zu kurz, um über Sinn und Unsinn Olympischer Winterspiele zu befinden.
Die entscheidenderen Fragen sind vielmehr: Wie können wir vor, während und nach Olympischen Winterspielen außergewöhnliche Gastgeber für das alpine Bergerlebnis sein? Mit etablierten wie auch neuen Produkten — und zwar insbesondere für Gäste aus bisher weniger intensiv bearbeiteten Märkten.
Aus den Ausführungen von Markus Redl möchte ich die Aspekte Profilierung, Infrastruktur und Hotels herausgreifen. Dabei habe ich Innsbruck bzw. Tirol vor Augen, wo vor rund 50 bzw. 40 Jahren Olympische Winterspiele veranstaltet wurden. Außerdem hat in Tirol im Herbst des vergangenen Jahres eine Volksabstimmung stattgefunden, bei der sich die Bevölkerung mit klarer Mehrheit gegen die Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2026 ausgesprochen hat. Vor dem Hintergrund der bereits durchgeführten Spiele sowie der jüngsten Volksbefragung einige Gedanken zu den oben genannten Punkten.
Ich denke, dass die Profilierung als Host City in Innsbruck recht gut gelungen ist, zumal die Stadt zweimal Austragungsstätte für Olympische Winterspiele war. Zudem ist Innsbruck immer wieder Gastgeber für sportliche Großveranstaltungen mit weltweiter Medienpräsenz, die genutzt werden kann, um an die Funktion als Olympiastadt zu erinnern. Dazu kommt, dass den meisten Gästen der Blick auf die weitum sichtbare und attraktiv gestaltete Sprungschanze nicht verborgen bleibt, was zur optischen Präsenz von Olympia beiträgt.
Wirft man jedoch einen Blick auf jene Umlandgemeinden, die im Zuge der Olympischen Spiele 1964 gewissermaßen entdeckt worden sind und in denen die Winterspiele große touristische Hoffnungen geweckt haben, so ist dort von Olympia nichts mehr zu spüren – Seefeld als nordisches Zentrum und wiederkehrende Location für Weltcups und Weltmeisterschaften selbstverständlich ausgenommen.
Gleiches gilt für die touristische Nachfrage. Auch diese konzentriert sich auf die genannten Zentren, in den anderen ist der Tourismus kaum existent. Dafür gibt es mehrere Gründe, etwa die fehlende Kontinuität bei Investitionen in das touristische Angebot und damit auch in die Marktkommunikation oder die geänderten Ansprüche der Gäste an das Wintersportangebot.
Demgegenüber spielt sich die eigentliche Entwicklung des Wintertourismus in Tirol in Destinationen ab, von denen zwar einige mehr oder weniger regelmäßig im alpinen oder nordischen Weltcupkalender aufscheinen (z.B. Kitzbühel, Sölden, Pillerseetal), von denen aber außer St. Anton (Skiweltmeisterschaften) keine einzige irgendetwas mit Olympischen Winterspielen oder sonstigen sportlichen Großveranstaltungen von besonderer internationaler oder gar globaler Reichweite etwas am Hut hat.
Es liegt auf der Hand, dass Sportgroßveranstaltungen, seien es Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften, zum beschleunigten Ausbau von touristischer und allgemeiner Infrastruktur (insbesondere Verkehrsinfrastruktur) führen und dass manche Infrastrukturinvestition überhaupt erst durch ein solches Ereignis ermöglicht wird. Bei Sportstätten ist der Sinn aber erst dann gegeben, wenn eine befriedigende Nachnutzung erfolgt. Das kann eine kontinuierliche Inanspruchnahme durch den Leistungssport sein (Trainings- und Wettkampfstätte) und / oder die Bereitstellung der Anlagen für den Breitensport für Einheimische und Gäste.
So wie sich die Ansprüche der Gäste an das Wintersportangebot geändert haben, so haben sich auch die Rahmenbedingungen für die Hotellerie geändert. Trotz aller Nächtigungsrekorde sind die Zeiten für die Branche herausfordernd. Es gibt nicht wenige Orte mit durchaus klingenden Namen, in denen seit Jahren und Jahrzehnten kein neuer, aus der lokalen oder regionalen Bevölkerung heraus finanzierter Hotelbetrieb entstanden ist. Ganz im Gegenteil: Betriebe wurden aufgelassen, umgewidmet und / oder von ausländischen Investoren übernommen. Und daran dürften auch künftige Sportgroßveranstaltungen wenig bis gar nichts ändern. Vielmehr ist zu befürchten, dass Sportgroßveranstaltungen diesen Trend noch weiter verstärken und z.B. über Investorenmodelle – auch mit Geldern von weit außerhalb der Europäischen Union – Betten produziert werden, die wir im Hinblick auf die vielfach beschworene Nachhaltigkeit unseres Tourismus gar nicht benötigen.
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