Mythen des DMO Marketings – und warum DMOs dennoch unersetzlich sind
Warum DMOs und Tourismusorganisationen schon lange keine Gäste mehr „holen“
Die St. Galler Professoren Christian Laesser und Pietro Beritelli haben einen lesenswerten Artikel zu obiger, provokant-polemischer Aussage über DMOs im Schweizer Tourismusjahrbuch verfasst, den ich hier etwas näher beleuchten und kommentieren möchte.
An dieser Stelle durfte ich zu einer ähnlichen Thematik auch schon schreiben- siehe https://www.tp-blog.at/destinationen/wird-die-dmo-2030-noch-gebraucht
Dabei werden von ihnen 11 ausgewählte Mythen aus der Praxis von DMOs „aufs Korn“ genommen, die auf den ersten Blick manchmal sehr polemisch erscheinen mögen, auf den zweiten Blick jedoch viel Stoff zur kritischen Selbstanalyse liefern und bieten.
Für all jene, die den Artikel noch nicht kennen, hier in weiterer Folge die 11 Mythen und die (Gegen)Argumente, lt.Peritelli/Lässer, dazu:
1. Annahme: Destination Branding durch DMOs bringt Gäste in die Destination.
Unser Gegenargument: Destinationen und Leistungsträger sind für Gäste Ressourcen, welche sie unterschiedlich nutzen. Aus diesen Unterschieden entstehen komplett unterschiedliche Wahrnehmungen und Positionen. Destinationsmarken von DMOs sind als Logo bestenfalls (Territorial)-Marker und im Sinn von Kommunikationskampagnen vage und austauschbar. Letzteres steht im Widerspruch zum realen Branding.
2. Annahme: Je mehr Kommunikation DMOs betreiben («Grundrauschen»), desto mehr Gäste werden kommen.
Unser Gegenargument: DMO-getriebene Kommunikation, um Gäste zu holen, kommt selten bei den (potenziellen) Gästen an, da ein solches kommunikatives Signal letztlich nur eines unter sehr vielen anderen ist.
3. Annahme: Je mehr die DMOs präsent sind («Präsenz zeigen»), desto mehr Gäste werden kommen.
Unser Gegenargument: Die DMOs sind dort präsent, wo ihre Geldgeber sind und wo andere DMOs präsent sind, da man ja nicht abwesend sein darf.
4. Annahme: Je mehr Marketing DMOs betreiben, desto mehr Gäste werden kommen.
Unser Gegenargument: Die allermeisten «Beweise» dazu sind leider entweder Scheinkorrelationen («spurious correlations») oder im schlimmsten Fall sogar inverse Kausalitäten (vgl. Huhn-Ei-Problematik).
5. Annahme: DMOs holen durch soziale Medien und mithilfe von Influencern neue Gäste.
Unser Gegenargument: Entscheidend ist der Sender der Botschaft, nicht der Kanal. Man sollte deshalb lieber Gäste inhaltlich und prozessual zur Kommunikation befähigen, statt selber zu kommunizieren.
6. Annahme: Je höher der Bekanntheitsgrad unserer Destination, desto eher werden Gäste kommen. Deshalb müssen DMOs den Bekanntheitsgrad der Destination erhöhen.
Unser Gegenargument: Wir kennen viele Orte auf der Welt meistens nicht aufgrund von Marketingmassnahmen von DMO, entscheiden uns aber für eine Destination nicht aufgrund ihres Bekanntheitsgrades.
7. Annahme: DMOs müssen schauen, dass man von «ihrer» Destination träumt. Die Phase «Inspiration» und «Träumen» sind wichtiger Bestandteil des Entscheidungszyklus von (potenziellen) Gästen.
Unser Gegenargument: Wir träumen von vielen Orten und werden nie dort hingehen. Entscheidungen über die Destination werden anders getroffen als für Konsumgüter. Eine Reise ist das Resultat vieler kleiner einzelner Entscheidungen. Man spricht auch von einer Portfolio-Entscheidung. Dafür gibt es nicht wirklich einen Beginn- und Endpunkt; Entscheidungen werden vielmehr fortwährend getroffen, Optionen werden revidiert oder gar annulliert.
8. Annahme: DMOs können mit eigenen digitalen Vertriebskanälen Gäste in die Destination holen.
Unser Gegenargument: DMOs verkaufen selber auf digitalen Kanälen weniger als man hofft. Falls ein Gast eine DMO-Webseite besucht, ist es meist nachdem er sich entschieden und teilweise zentrale Leistungselemente auch schon gebucht hat. Auch in Bezug auf das B2B-Geschäft sind die Möglichkeiten beschränkt, da sie bislang keine Durchgriffsmöglichkeiten auf Leistungen und Preise haben, ausser sie übernehmen selber als Incoming Operator unternehmerisches Risiko.
9. Annahme: DMOs holen über B2B Plattformen viele neue Gäste in die Destination
Unser Gegenargument: DMOs können gar nicht richtig Leistungen in B2B Kanäle vermitteln, da sie bislang keine Durchgriffsmöglichkeiten auf Leistungen und Preise haben
10. Annahme: Man kann die Wirkung von Marketingmassnahmen (Kommunikation) sowieso nicht wirklich messen oder beweisen. Irgendetwas bringt es aber immer.
Unser Gegenargument: Wie Gäste zu einem Destinationsentscheid gekommen sind (und auch andere Reiseentscheide), kann sehr wohl rekonstruiert werden. Man muss den Gästen nur die richtige Frage stellen: «Wie kam es dazu, dass …?»
11. Annahme: Neue Strukturen bei DMOs (Zusammenschlüsse, Fusionen etc.) bringen neue Gäste in die Destination.
Unser Gegenargument: Reorganisationen und Zusammenschlüsse unter DMOs schaffen bestenfalls betriebliche Kostensenkungen und die Finanzierung von (eigenen) Experten. Organisatorische Grösse kann ebenfalls Grundlage sein, qualifizierten Mitarbeitern berufliche Perspektiven bieten zu können.
Meine Sicht der Dinge….
…..starker Tobak, oder? Was hier aber plakativ, polemisch oder kritisch dargestellt wird, liefert wertvolle Ansatzpunkte, das eigene Tun (immer wieder) zu hinterfragen. Fakt ist sicherlich, und hierbei pflichte ich den Autoren absolut bei, daß sich das Aufgabenprofil von DMOs in den letzten Jahren MASSIV verändert hat. Fakt ist aber auch, daß etliche dieser Mythen, welche im öffentlichen Bild über Tourismusorganisationen nach wie vor verankert sind, noch immer gelebte Praxis darstellen.
…und dennoch sind DMOs gerade in Österreich wichtige Player eines erfolgreichen Tourismus!!
Die Rolle sowie das Tun von , vor allem lokalen/regionalenTourismusorganisationen hat aber, gerade in Österreich, einst wie jetzt, sicherlich einen wesentlichen Beitrag zur Gesamtattraktivität von „Urlaub in Österreich“ beigetragen. Es gilt daher „nur“, die Rollen und Aufgaben entsprechend weiterzuentwickeln.
Konzentration auf Kernkompetenzen, Fokussierung auf angebotsrelevante Bereiche, Aufgaben und Produkte, die vielleicht (anfänglich) marktwirtschaftlich nicht erbracht werden können und dennoch sinnstiftend sind, und Reduktion sowie Weglassen von (nutzlosen) Mythen und nachvollziehbare Nutzenstiftung für die Tourismuswirtschaft sind hier beispielsweise zentrale Herausforderungen.
Vor allem aber haben (lokale/regionale) Tourismusorganisationen eine zentrale, wirtschaftliche wie auch gesellschaftliche Aufgabe. Mit dem eigenen Tun nämlich die wirtschaftliche Entwicklung der Mitglieder sowie auch das regionale Verständnis über die positiven Aspekte des Tourismus in Österreich zu fördern und zu unterstützen!
Wir werden vielfach für unsere Tourismusstruktur beneidet, sind mit, vor allem in Westösterreich, guten Budgets ausgestattet. Aktuell verfügen wir sogar über ein eigenes Ministerium mit Willen zur Unterstützung und Weiterentwicklung.
Also nutzen wir die daraus resultierenden Stärken, vor allem im Bereich der Kooperation und nehmen Beritelli/Laesser als positiven Anstoß, uns gemeinsam und laufend sowie konstruktiv-selbstkritisch weiterzuentwickeln.
Super, dass sich Gernot Riedel als DMO Geschäftsführer die Zeit nimmt, wissenschaftlich orientierte Fachliteratur zu lesen, damit das eigene Tun zu hinterfragen und die gewonnenen Erkenntnisse über diverse Kanäle an die Kollegenschaft weiterzugeben. Chapeau!
Die elf Thesen von Thomas Bieger und Pietro Beritelli, die sich mit einer Ausnahme ausschließlich auf das Marketing von Destinationen beziehen, sind in Teilen gewiss provokant. Allerdings habe ich den Eindruck, dass nicht alle Thesen dem aktuellen Wissensstand zum Destinationsmarketing und Destinationsmanagement entsprechen, was ihnen ein Stück von ihrer Brisanz nimmt. Ein Beispiel dafür ist These 11, in der Dinge angesprochen werden, die bei uns in Österreich – in einem positiven Sinne – schon längst Fakt sind bzw. wo wir uns schon weit darüber hinaus entwickelt haben.
Im Abschnitt „Meine Sicht der Dinge …..“ bestätigt das auch Gernot Riedel. Zudem weist er klar und deutlich darauf hin, dass Destinationsarbeit nicht auf Marketing reduziert werden darf. Vielmehr stellt Destinationsmanagement eine ungemein komplexe und herausfordernde Aufgabe dar, deren Bewältigung ein gut eingespieltes Team von Expertinnen und Experten erfordert. Diese müssen nicht nur Fachkenntnisse zu ihrem Spezialgebiet mitbringen, sondern auch das Wissen darüber, wie eine Region tickt und wie die dort lebenden touristischen und(!) nichttouristischen Akteure für die gemeinsame Sache zu gewinnen sind.
Lieber Gernot Riedel,
interessanter Artikel. Schade, dass er keinen Querverweis enthält auf das, was der Plan T als übergeordnetes Ziel vorgibt: Österreich als nachhaltigste Tourismusdestination der Welt zu profilieren. Ist das überhaupt kein Thema für die DMOs? Nachhaltigkeit, Zukunftstauglichkeit, Enkeltauglichkeit?
Ich denke, es wäre durchaus lohnenswert, Ihren Artikel mit dem Plan T und dessen Ziel in Beziehung zu bringen. Mit dem Plan T ist doch eine neue Ära des österreichischen Tourismus angebrochen: Ab sofort müsste doch alles daran gemessen werden. An dem übergeordneten Ziel des Masterplanes, der vor eineinhalb Wochen präsentiert wurde.
Vielleicht unterhalten wir uns einmal persönlich darüber.
Herzlichst, Gerhard Frank
Lieber Herr Riedel,
schön, dass Sie das Thema hier ansprechen. Ich habe vielleicht noch einen anderen Blickwinkel, der zusätzlich zur reinen wirtschaftlichen Betrachtung von Interesse sein kann.
Jahrzentelang war es die definierte Aufgabe der „Fremdenverkehrsverbände“ sich einerseits um die Bewerbung und andererseits um die Bedürfnisse der Gäste vor Ort zu kümmern. Der Grundgedanke leuchtet ein. Dabei wurde aber eine weitere Seite komplett vernachlässigt: Die gesellschaftliche Stellung und Verantwortung der Verbände.
Diese haben nie nur Werbung nach außen betrieben oder Gästen den schönsten Wanderweg empfohlen. Die informelle Aufgabe, die sich aus der täglichen Arbeit im Verband ergibt ist eine zutiefst soziale Arbeit gegenüber den Mitgliedsbetrieben. Hier geht es ständig um Ausgleich der Interessen, um faire Zuteilung der Ressourcen, um menschliche Zuwendung/Aufmerksamkeit um Kommunikation nach innen und vor allem um Wertschätzung.
Aber genau dieser immens wichtigen Arbeit am Vermieter/Hotelier wird bis heute nicht der Stellenwert eingeräumt die sie haben müsste.
Oder, um es im BWLsprech zu formulieren:
Der Rahmen der budgetierten Kompetenzen ist nicht deckungsgleich mit den operativen Tätigkeiten.
Die schwelende Unzufriedenheit vieler Unternehmer mit ihren Verbänden und auch ein Stück weit die Tourismusverdrossenheit der Bevölkerung resultieren aus dieser schiefen Konstellation.
Ich stelle hier eine Frage in den Raum, die ich meinem damaligen Chef vor 20 Jahren schon gestellt habe:
Ist es nicht die wichtigste Aufgabe der Verbände Identität zu vermitteln? Nach außen und nach innen?
Sehr informativer Beitrag. Vielen Dank!
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