Katastrophen-Reisen
Ein sehenswerter Beitrag gestern in „Quarks & Co.“ beschäftigte sich mit dem Wetterphänomen Tornado und dem wachsenden Interesse an diesen durchaus lebensbedrohlichen Naturschauspielen. Rund 2.000 € pro Woche zahlen Adrenalin-süchtige Touristen, um sich möglichst nahe in das Sturmzentrum bringen zu lassen. So paradox dieses Beispiel auch sein mag – im Kern geht es doch darum, dass Naturgewalten Faszination auslösen. Im 18. und 19. Jahrhundert reiste man in die Alpen, um diesen Naturgewalten möglichst nahe zu kommen. Heute steht der Tourismus vor der Herausforderung, Natur immer neu inszenieren zu müssen, um das Interesse der Touristen an den Alpendestinationen hoch zu halten. Auch wenn wir keine Katastrophen-Reisen wollen – die Alpen haben gewiss beeindruckende Naturschauspiele zu bieten.
Keine Frage, Katastrophentourismus ist in den Alpen nicht gewollt. Wenn aber Naturereignisse mit großem Sachschaden und vielen Toten auftreten, ist er nicht zu verhindern. Hier einige Beispiele aus eigener Erfahrung.
Da ist einmal das gewaltige Hochwasser, das im Jahre 1987 das gesamte Ötztal heimgesucht, immense Verwüstungen angerichtet und zahlreiche Todesopfer gefordert hat. Und davon waren rund die Hälfte Schaulustige, die sich aus Neugier und wider besseres Wissen in die Gefahrenzone begeben haben.
In Galtür hat die Lawinenkatastrophe vom Februar 1999 mit vielen zerstörten Häusern und 31 Toten einen regelrechten Katastrophentourismus ausgelöst – u.a. mit organisierten Busfahrten. Nach dem ersten großen Ansturm ist es dann gelungen, die bis in die Intimsphäre der Betroffenen reichende Sensationsgier in Schach zu halten, die Besucherströme zu lenken und in einer angemessenen Form zu informieren. Jenen Gastronomiebetrieben, die vom Unglück nicht betroffen und daher intakt waren, hat der Besichtigungstourismus durchaus auch ein Geschäft gebracht. In den Jahren danach haben die Galtürer das tragische Ereignis in jeder Hinsicht vorbildlich aufgearbeitet. Dazu gehören u.a. Ausstellungen und Veranstaltungen im Alpinarium, die viel zur Verbreitung des Wissens über die Alpen als herausfordernder Lebens- und Wirtschaftsraum beitragen. Das Alpinarium, integriert in die neue und mächtige Lawinenschutzmauer, gilt inzwischen als fester Bestandteil des Besichtigungsprogramms für Durchreisende sowie für Gäste, die im Paznaun ihren Urlaub verbringen.
In einer Zeit, in der es im Großen Walsertal noch kaum Tourismus gab, nämlich 1954, donnerten riesige Lawinen auf die Talgemeinden herab und forderten 80 Todesopfer. Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, wird dort „Der Atem des Himmels“, der Erstlingsroman von Reinhold Bilgeri verfilmt, der vor dem Hintergrund der damaligen Ereignisse spielt. Damit wird nicht nur ein Stück Geschichte und Schicksal des Tales aufgearbeitet, sondern es werden auch viele Besucher angelockt, die dem Tal einen willkommenen wirtschaftlichen Nutzen bringen. Und jetzt wartet die Bevölkerung gespannt auf die Filmpremiere, die am 24. August 2010 auf der Seebühne in Bregenz stattfindet und die es erlaubt, die Geschehnisse noch einmal unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Sicher wollen wir in den Alpen keinen Katastrophentourismus. Wenn aber solche Ereignisse eintreten und der Strom der Sensationsgierigen, aber auch der ehrlich Interessierten nicht aufzuhalten ist, gilt es die Besucher zu lenken und zu informieren. Wenn damit auch ein wirtschaftlicher Nutzen einhergeht, kann man das den betroffenen Orten nicht verübeln.
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