Der Aufstand der Bereisten
In der Zeit der Finanzkrise und des wirtschaftlichen Abschwunges wurde jeder und noch so kleine Zuwachs an Gästen beklatscht und gefeiert. Seit aber Nordafrikas Küsten für viele der Reisenden tabu sind und man auch die Türkei mit seinem unberechenbaren Autokraten besser meidet, konzentriert sich die Reisetätigkeit auf sogenannte sichere Reiseziele, die dann an die Grenzen der Belastung kommen.
Wenn die Einheimischen aus Frust die Reifen von Reisebussen zerstechen oder an die Hauswände malen, dass Touristen keineswegs mehr willkommen sind und sich zugleich die Erkenntnis durchsetzt, dass der touristische Geldsegen ungleich verteilt ist und damit Frustration verursacht – dann spätestens ist es Zeit auch einmal unsere eigenen Grenzen des Wachstums zu diskutieren. Wenn wir auch noch nicht an der Tourismuslawine angekommen sind, die Venedig oder Dubrovnik plagen auch die Salzburger Getreidegasse oder die Maria-Theresien-Straße in Innsbruck wird mittlerweile von Einheimischen gemieden, weil sie sich nicht dem Gedränge und den Menschenmassen aussetzen wollen.
Bisher ist es noch zu wenig gelungen, die Touristenströme zu entzerren, weder in geographischer noch in zeitlicher Hinsicht und viele Hotspots des heimischen Tourismus sind durch die wuchtige und oft dem jeweiligen Zeitgeist angepasste alpine Hotelarchitektur nicht unbedingt hübscher geworden.
Es ist daher wohl auf Orts- oder Destinationsebene eine Diskussion über Ausbaugrenzen zu führen und auch Strategien zu entwickeln, die eine Entzerrung der Reiseströme erlauben. Auch die Kommunikation nach innen ist zu führen, um die nicht unmittelbar vom Tourismus profitierenden Bewohner davon zu überzeugen, dass der in vernünftigen Ausbaugrenzen sich gesund entwickelnde Tourismus einen wesentlichen Beitrag für das Gemeinwohl leisten kann.
Ich möchte diesem sehr guten Artikel noch einen Aspekt, der allerdings de facto nie angesprochen wird, hinzufügen: Längst bleibt der Großteil der Erlöse in der Wertschöpfungskette aus (Urlaubs-)Reisen bei den Ländern, aus denen die Touristen kommen. Der Gast aus Deutschland, GB, NL u. ä. bucht seine Reise über ein Unternehmen s e i n e s Heimatlandes, dieses betreibt im Zielland häufig entweder selbst das Hotel/Resort oder quetscht den einheimischen Behrbergungsbetrieb preislich aus wie eine Zitrone, Lebensmittel und Getränke müssen aus dem Herkunftsland des Gastes importiert werden, dass er/sie das Gewohntes serviert bekommt usw. Was den Einheimischen bleibt, ist, ständig zu investieren um im mittlerweile globalen Konkurrenzkampf bestehen zu können (womit sie sich häufig hoffnungslos verschulden) und sich im täglichen Kampf um (gute) MitarbeiterInnen aufzureiben. Diese MitarbeiterInnen verkörpern aber längst nicht mehr – schon aus sprachlichen Gründen – die „österreichische Gastlichkeit“, sondern könnten mit ihrem Migrationshintergrund überall auf der Welt arbeiten. Auch dieses Angestelltengehälter-Geld geht großteils ins Ausland. Fazit: Der landschaftsfressende Massentourismus mit seinen „Destinations-Moden“, der die Menschenströme aus Konzerninteressen mal dahin, mal dorthin lenkt, wird immer mehr zum volkswirtschaftlichen Nullsummenspiel. Verlierer sind „die Bereisten“.
Franz Hartl greift in nachdenklichster Weise Medienartikel der letzten Tage und Wochen auf, und es ist in der Tat Handeln angesagt. Ich fand mich 30 bis 40 Jahre zurückversetzt, als ich in meinem Tourismusstudium mich mit dem Schweizer Tourismusforscher und streitbaren Visionär Jost Krippendorf (1938-2003) auseinanderzusetzen hatte. Der Ausdruck „Aufstand der Bereisten“ stammt – glaube ich – von ihm. Ein empfehlenswertes Sachbuch von Krippendorf: Die Ferienmenschen: Für ein Verständnis von Freizeit und Reisen. Und natürliche einige Lektüre bzw. Wegweiser mehr für einen zukunftsfähigen Tourismus.
Noch ein Aspekt: Die „Bereisten“ reisen ja selber zumeist mehr als häufig. Die Diskussion muss wohl bei den Preisen ansetzen, die mit Angeboten wie € 79,00 (noch dazu vom Staat gestützt – siehe Air Berlin) dazu führen, dass Reisen oft bis zu 6 x im Jahr gemacht werden. Die dritte Piste für Wien wird den „Billigtourismus“ auch noch anheizen. Und waren wir nich alle dafür???? (Ich nicht wirklich, siehe oben)
Wo gibt es zu diesem Thema eine Diskussionsrunde?
Zurzeit scheint der Kochtopf in einigen touristischen Hotspots überzugehen:
http://salzburg.orf.at/news/stories/2861138/
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