Andermatt – eine Zwischenbilanz
Das Projekt Andermatt diskutiere ich seit Jahren im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen zu Tourismuspolitik und Regionalentwicklung am MCI mit meinen Studenten. Dieses Schulbeispiel einer Tourismusentwicklung „vom Reissbrett“, das in Österreich oder Südtirol in dieser Form nicht denkbar, geschweige denn realisierbar wäre, weckt stets das Interesse der jungen Generation: Kann das funktionieren? Wo sind die Grenzen zwischen beinhart kalkuliertem Immobilienprojekt und nachhaltiger Tourismusentwicklung? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich für den Ort, für die Region? Und rechnet sich so etwas? Wir müssen es beobachten, um es beurteilen zu können, ist meistens mein Schlusswort, wenn ich die Diskussionen (leider) abbrechen muss, um zu weiteren Beispielen überzugehen. Eine solche Beobachtung, eine Zwischenbilanz, erschien gestern in der NZZ, 20min.ch oder dem Tagesanzeiger. Wir werden es also weiter beobachten und diskutieren…
Touristische Projekte im Rahmen von Lehrveranstaltungen zu diskutieren ist spannend und erkenntnisreich. Dies gilt umso mehr, wenn es, wie von Ulrike Reisner betrieben, über Jahre hinweg, quasi im Sinne eines Monitorings erfolgt. Es wäre interessant zu erfahren, wie die Ergebnisse dieser Diskussionen mit den Studierenden ausschauen. Im Falle des Sawiris-Projekts im schweizerischen Andermatt sind sie vermutlich ebenso heterogen wie jene der rund 170 Kommentare zu den beiden Artikeln im Tagesanzeiger und in 20min.ch.
Diese bewegen sich, sofern sie die Sache selbst betreffen, in einem Kontinuum, das von strikter Ablehnung bis zu glühender Befürwortung reicht. Angesprochen werden Themen wie Stimmigkeit zwischen der Dimension und dem Anspruch der Investition einerseits sowie der Qualität des Standorts andererseits, die Herausforderung, angesichts der hohen Nächtigungspreise die adäquaten Zielgruppen in ausreichendem Umfang anzusprechen oder die Tatsache, dass nach zehn Jahren Laufzeit erst ein Bruchteil des Gesamtprojekts realisiert ist und die versprochenen Effekte auf sich warten lassen.
Wenn Ulrike Reisner schreibt, dass Projekte wie jenes in Andermatt in Österreich nicht denkbar, geschweige denn realisierbar wären, so möchte ich diese Feststellung in der Form ergänzen, dass wir darüber sehr froh sein können und alles unternehmen sollten, dass das auch in Zukunft so bleibt.
Zum einen stellt sich nämlich – so wie beim Projekt in Andermatt – die Frage nach den quantitativen Grenzen des touristischen Ausbaus. Zum anderen ist festzuhalten, dass wir in Österreich exzellente Familienunternehmen haben, die in der Lage sind, auch an wirtschaftlich benachteiligten Standorten große Leistungen zu erbringen und entscheidende Impulse für die Entwicklung des Tourismus im Berggebiet zu setzen.
Da einige Parameter wie Höhenlage, Einwohnerzahl, periphere Lage, Möglichkeit des Zusammenschlusses von Skigebieten, ursprünglich fehlende wirtschaftliche Perspektiven, Zeitspanne seit dem Start der Investitionen etc. zusammenpassen, möchte ich hier das Beispiel Kals am Großglockner erwähnen. Dort hat vor rund zehn Jahren ein Tiroler Familienunternehmen aus dem Zillertal die Bergbahnen übernommen, den Skigebietszusammenschluss mit Matrei in Osttirol bewerkstelligt und 450 Hotel- und Chalet-Betten sowie qualitativ hochwertige Mitarbeiterwohnungen gebaut. Das Kalser Projekt ist damit wesentlich kleiner dimensioniert als jenes von Andermatt, aber es passt zum Ort, ist voll in Funktion und mit dem Ort, seinen Menschen und seinen Betrieben eng vernetzt. Zudem liegen Kennzahlen, die in den Presseartikeln angeführt werden, deutlich über jenen von Andermatt (z.B. Entwicklung des Steueraufkommens).
Das ist nur ein Beispiel, stellvertretend für österreichische Familienunternehmen, die bereit und in der Lage sind, quantitativ und qualitativ zu wachsen. Sie gleichen damit auch einen nicht unbeträchtlichen Teil jener touristischen Angebote aus, die dort, wo man sie bräuchte, aus welchen Gründen auch immer, aus dem Markt herausfallen.
Doch zurück zu den Lehrenden und Studierenden: Es wäre ungemein wertvoll, wenn solche über Jahre und mehrere Generationen von Studierenden hinweg erarbeiteten und gesammelten Erkenntnisse in einer adäquaten Form (z.B. Publikation) der touristischen Praxis zur Verfügung gestellt werden könnten. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass daraus viele sehr viel lernen könnten.
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