21. Juni 2024 | 06:00 | Kategorie:
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Zehn Thesen zur Zukunft der Infrastruktur für Sport und Freizeit

Noch hundert Tage bis zur Nationalratswahl und erfreulicherweise sind Sportstätten durchaus ein Thema. Ist die Errichtung eines Nationalstadions selbstredend ein Sonderprojekt, so bestimmen Infrastrukturen wie alpine Schutzhütten oder ganz normale Sporthallen bzw. -plätze und Schwimmbäder quer durch Österreich den Alltag. Deren Erhaltung wäre schon aufwändig genug, aber das wird – wie alpine Vereine und organisierter Sport unisono argumentieren – in Zukunft nicht reichen: Sie fordern von der nächsten Bundesregierung deutlich mehr finanzielle Unterstützung.

Grün, digital, multifunktional

Tatsächlich steigen nicht nur Bau- und Energiekosten, sondern generell die Anforderungen: Sportverhalten und -nachfrage haben sich verändert, besonders in der COVID-19-Pandemie. Die drohende Klimakatastrophe oder der Verlust an Biodiversität ist natürlich auch bei Sportentwicklung und Sportstättenplanung zu beachten, genauso der demografische Wandel oder die zunehmende Urbanisierung. Die Digitalisierung eröffnet ungeahnte Möglichkeiten bei der Besucherstromlenkung und hat den bald wohl zu olympischen Weihen gekommenen E-Sport überhaupt erst aufs Tapet gebracht.

In Zukunft ist es genauso angezeigt (a) Sportstätten einer umfassenden Klimawandelanpassung und Ökologisierung zu unterziehen wie (b) alle relevanten Prozesse rund um deren optimale Nutzung zu digitalisieren sowie (c) jegliche Infrastruktur für Sport und Freizeit möglichst vielfältig zu nutzen. Grün, digital, multifunktional – die Bundesregierung wird ein solches Mammutprojekt nicht allein angehen. In Deutschland haben Bund und Länder ab 2020 gemeinsam ein „Investitionspaket Sportstätten“ finanziert, um Städte und Gemeinden bei der Sanierung und Entwicklung von deren Sporteinrichtungen zu unterstützen.

Vor diesem Hintergrund skizzieren die folgenden zehn Thesen die Zukunft unserer Infrastruktur für Sport und Freizeit:

 

Leuchtturmprojekt Nationalstadion

 

(1) Wenn im Zusammenhang mit großen Fußballstadien von multifunktionaler Nutzung die Rede ist, dann sind damit meist Konzertveranstaltungen gemeint. Aber es gibt auch den Ansatz, das Stadion mit angrenzendem Areal städtebaulich zu öffnen, nicht nur für Sport und Freizeit, sondern auch Bildung, Wohnen, Arbeiten und Handel zu nutzen.

Im besten Fall steht ein Nationalstadion beispielhaft für ein ganzes Land und seine Zukunft, unterstreicht im Sinne des Standortmarketings besondere Stärken, wird selbst zur Marke. Das berühmte Vogelnest für das Nationalstadion in Peking wurde von den Architekten Herzog & de Meuron erdacht, die Bergiselschanze für Innsbruck von Zaha Hadid.

In Österreich könnte ein Nationalstadion räumlich und funktional mit einer Skihalle verbunden sein, am besten auch geeignet für Freestyle-Bewerbe und nordischen Skisport. Selbstverständlich müsste ein solcher Gebäudekomplex mehr Energie produzieren als verbrauchen, und dem Projekt ein innovatives Konzept für Errichtung (Holzarchitektur?) und Betrieb zugrunde liegen.

 

Klimawandelanpassung und Ökologisierung

 

(2) Infrastruktur für Sport und Freizeit ist in Zukunft regenerativ; sie nimmt beispielsweise nach Niederschlägen Wasser auf, sorgt für Schatten und relative Kühle oder leistet einen Beitrag zur Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren. Kurz gesagt: Sie erbringt „Ökosystemdienstleistungen“ und trägt dadurch direkt und indirekt zum Wohlbefinden der Menschen bei.

(3) Aus gesundheitlicher Sicht ist sonnenklar: Je mehr Menschen im Alltag zu Fuß gehen oder Radfahren, desto besser – viele Städte verbessern ihre diesbezügliche Infrastruktur. Das sind günstige Voraussetzungen für Spielplätze und ähnliche Orte im öffentlichen Raum, die Bewegung und soziale Begegnung scheinbar wie von selbst fördern.

(4) Angesichts der in Infrastruktur für Sport und Freizeit (aber auch anderen Bereichen) gebundenen „grauen Energie“, dem hohen Sanierungsaufwand, den großen Herausforderungen im laufenden Betrieb und veränderter Sportnachfrage bekommen Nachnutzungskonzepte höchste Bedeutung: Was kann mit geringem Aufwand aus dem Bestand herausgeholt werden?

 

Digitalisierung als Werkzeug und Sportgerät

 

(5) Durch die Digitalisierung stehen uns so viele Daten wie noch nie zur Verfügung: von hochauflösenden Satelliten- und Drohnenbildern bis zu (anonymisierten) Mobilfunkbewegungsdaten. Das sollte auch bundesweite Projekte zur Erfassung der vorhandenen Infrastruktur – vom Eislaufplatz bis zum Wanderweg – beflügeln.

(6) Die Digitalisierung ermöglicht uns, knappe Ressourcen (z.B. Sporthallen oder Lehrende) besser zu managen. Kostbare Infrastruktur für Sport und Freizeit sollte von früh bis spät optimal ausgelastet (keine Überlastung, aber auch kein Leerlauf) werden: Vom Padelplatz bis zu Schlägern und Ball – alles ist z.B. über Sportogo online bzw. per Automat verfügbar.

(7) Handys oder gar E-Sport – das gemeinsame und kompetitive Computer- und Konsolenspielen – pauschal zu verteufeln, bringt uns vermutlich nicht weiter. Durch geeignete Regulierungsmaßnahmen, kreative Zugänge beim Sportangebot (z.B. sogenannte Heatmaps) und eine positive (E-)Sportkultur könnten wir auch dieses Potenzial der Digitalisierung heben.

 

Sport und Bewegung als Querschnittsmaterie

 

(8) In einem partizipativen Verfahren aufgestellte Sportentwicklungspläne für größere Städte (wie für Innsbruck) oder Regionen haben den Vorteil, dass verschiedenste Anspruchsgruppen (und nicht nur der in Vereinen und Verbänden organisierte Sport) sowie Politik und Verwaltung (auch über die unmittelbare Sportzuständigkeit hinaus) mitwirken.

(9) Gemeinnützige Organisationen – die vielfach Infrastruktur betreuen und erhalten – sind stark gefordert, Nachwuchs für die ehrenamtliche Mitarbeit zu gewinnen. Eine „Verberuflichung“ kann abgesehen von höheren Kosten auch die Identifikation mit Einrichtungen wie Schutzhütten oder Klettersteigen schwächen. Neue Formen der Mitarbeit sind gefragt!

(10) Zu guter Letzt müssen wir unseren Blick weiten: Sportinfrastruktur in den Schulen, Bewegungsinfrastruktur in den Kindergärten, kommunale oder vereinseigene Sportanlagen sind alle gut und wichtig – genauso kommerzielle Anbieter vom Fitnesscenter bis zum Yogastudio. Aber öffentlich zugängliche Spiel- und Bewegungsflächen und sogenannte natürliche Sporträume können noch viel breitenwirksamer werden, inklusive spannender Organisationsformen.

23. Juni 2024, 13:09

Lieber Markus, man muss das Unmögliche denken, um manches möglich zu machen. Ein großartiges Konzept, dessen Umsetzung von der Realität allerdings so weit entfernt ist, wie Österreichs Fußballnationalmannschaft vom EM Titel. Eine Utopie, toll zu lesen, aber bar jeder Realität. Konkrete und kleinere Schritte täten der Sport- und Freizeitpolitik ev. eher gut.

25. Juni 2024, 10:43

Lieber Peter, vielen Dank für deinen Kommentar!

Ob etwas utopisch ist (also: nicht zu verwirklichen, durchzusetzen oder in der Realität nicht möglich) oder nicht, das lässt sich mit Bestimmtheit erst im Zeitverlauf feststellen. Im Falle des Titelgewinnes für den ÖFB bei der UEFA EURO 2024 schon recht bald , was die Sport- und Freizeitinfrastruktur anbelangt erst in Jahren.

Du stößt sich wahrscheinlich an der Vision eines Nationalstadions, das auch andere Funktionalitäten als Fußball (Rugby ist ja bei uns kein großes Thema) und Konzerte abdeckt — mein Vorschlag lautet: „In Österreich könnte ein Nationalstadion räumlich und funktional mit einer Skihalle verbunden sein, am besten auch geeignet für Freestyle-Bewerbe und nordischen Skisport. Selbstverständlich müsste ein solcher Gebäudekomplex mehr Energie produzieren als verbrauchen, und dem Projekt ein innovatives Konzept für Errichtung (Holzarchitektur?) und Betrieb zugrunde liegen.”

Dazu muss man wissen, dass ein großes Stadion (mit 50.000 oder mehr Sitzplätzen und verschließbarem Dach) in der Errichtung schnell hunderte Millionen Euro kostet, die gesundheits- oder breitensportliche Wirkung nur in Umwegen argumentiert werden kann: So etwas ist ein wirtschafts- und standortpolitisches Großprojekt, da darf schon auch einmal kreativ gedacht werden. Bei CopenHill wird ja auch auf dem Dach einer Müllverbrennungsanlage mittels Dryslope Ski gefahren und auf der Seite geklettert.

Die von dir eingemahnten „konkreteren und kleineren Schritte” sind übrigens aus meiner Sicht zu praktisch allen Thesen längst im Laufen; da gibt es vielerorts Fortschritte, zum Teil ja auch in meiner eigenen beruflichen Praxis.

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