27. Juni 2011 | 11:00 | Kategorie:
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Was ist ein Bergsteigerdorf?

Bei der Frage „Was ist ein Bergsteigerdorf?“ denken wir wohl unwillkürlich an Orte wie Chamonix, Zermatt, Sulden, Ramsau bei Berchtesgaden, St. Leonhard im Pitztal oder an Kals am Großglockner, von wo aus 80 % aller Besteigungen der höchsten Bergspitze Österreichs erfolgen. Das sind alles alpine Orte mit klassischen Gipfeln und attraktiven Aufstiegsrouten in ihrem unmittelbaren Umfeld. Demgegenüber tauchen beim Begriff Bergsteigerdorf Orte wie Lunz am See, Steinbach am Attersee, Außervillgraten oder das Große Walsertal nicht wirklich vor unserem geistigen Auge auf.

Die Initiative „Bergsteigerdörfer“ des Österreichischen Alpenvereins umfasst ein buntes Gemisch aus 18 Orten und Kleinregionen zwischen Niederösterreich und Vorarlberg, die zwar durchwegs einen Bezug zum Berg aufweisen, von denen aber bei weitem nicht alle über jene Voraussetzungen verfügen, die von einem Bergsteigerdorf im eigentlichen Sinne des Wortes erwartet werden.

Mit der Initiative „Bergsteigerdörfer“ verfolgt der ÖAV zweifellos ein wertvolles Ziel: Die Zusammenführung von kleinen und weitgehend naturbelassenen Orten unter einem gemeinsamen Marketingdach sowie die Weiterentwicklung eines Tourismus mit kleinen Strukturen und ohne größere technische Erschließungen im Umfeld von Schutzgebieten. Die beteiligten Orte, welche die vom ÖAV formulierten Kriterien erfüllen, erfreuen sich einer Betreuung durch den ÖAV sowie einer kostengünstigen – weil geförderten – Bewerbung ihres Angebots.

Orte ab einer gewissen Größe und einer prosperierenden, technisch hinterlegten touristischen Entwicklung kommen für die Gruppe der ÖAV-definierten „Bergsteigerdörfer“ nicht in Frage, auch wenn sie in exzellenter Qualität über Rahmenbedingungen und Einrichtungen verfügen, die man Bergsteigerorten üblicherweise zuschreibt (alpine Kompetenz dank historischer Entwicklung und aktueller Leistungsfähigkeit, professionelles Bergführerwesen, etc.). Und zu diesen Einrichtungen gehören durchaus auch Aufstiegsanlagen, die der Genusswanderer ebenso gerne in Anspruch nimmt wie der leistungsbetonte Tourengeher und Bergsteiger.

Mit mehreren Orten, die unter dem Dach „Bergsteigerdörfer“ vereint sind, zielt der ÖAV wohl ein Stück weit an dem vorbei, was der Begriff Bergsteigerdorf erwarten lässt, oder mit anderen Worten: Produktversprechen und tatsächliche Inhalte klaffen auseinander. Vielleicht lässt sich für diese Initiative auch ein anderer Dachbegriff finden, und damit eine Verpackung, welche die Inhalte so kommuniziert, dass bei den Zielgruppen die richtigen Erwartungen geweckt und auch erfüllt werden. Die Initiative zielt nämlich in erster Linie auf einen naturnahen, sanften Tourismus in Schutzgebieten ab.

Vor diesem Hintergrund sowie im Hinblick auf aktuelle Diskussionen ist auf jeden Fall wichtig festzuhalten, dass der Begriff „Bergsteigerdorf“ als solcher nicht geschützt ist und auch nicht geschützt werden kann und dass ihn damit auch jene Orte für sich in Anspruch nehmen und in der Marktkommunikation einsetzen können, die den vom ÖAV definierten Kriterien zwar nicht entsprechen, die in der allgemeinen Wahrnehmung aber als Bergsteigerdörfer im eigentlichen Sinne gelten.

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