6. März 2016 | 12:55 | Kategorie:
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Nichts Neues unter der Sonne?

Bei der Reflexion eines Workshops warf kürzlich eine junge, engagierte Kollegin die kritische Bemerkung in die Runde, dass immer wieder dieselben Fragen diskutiert werden und am Ende des Tages bereits Bekanntes auf den Flipcharts steht. Außerdem würde viel zu wenig umgesetzt. Diese Feststellung hat zweifellos etwas an sich, sie erfordert jedoch eine differenziertere Betrachtung.

Eine Frage des Blickwinkels
Bevor wir uns auf die Suche nach möglichen Ursachen machen, sei vorausgeschickt, dass mitgebrachte Erwartungshaltungen Bewertungen beeinflussen. Auch der Betrachtungszeitraum, in den Themen und Ergebnisse eingeordnet werden, hat einen Einfluss. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass bei weitem nicht alle Vorschläge und Konzepte in der berühmten Schublade landen, sondern dass vieles umgesetzt wird, wenn auch nicht immer im gewünschten Zeitrahmen.

Entwicklungsbremsen
Dennoch ist es angebracht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Wertung einige Faktoren zu identifizieren, welche die Umsetzung erschweren oder verhindern. Und die sind vielfältig. Da sind einmal die mentalen Barrieren wie das persönliche Erfahrungsgefängnis, das Verharren in der eigenen Komfortzone oder das fehlende Verständnis für Veränderung und Weiterentwicklung. Hemmnisse können auch wirtschaftlicher Natur sein, wie fehlender Leidensdruck, unzureichende finanzielle Mittel oder divergierende ökonomische Interessen der relevanten Unternehmer und Grundbesitzer. Nicht selten scheitert die Umsetzung deshalb, weil die Vorschläge nicht dem Zeitgeist entsprechen oder zum falschen Zeitpunkt eingebracht werden. Gravierende Bremsen sind schließlich fehlender politischer Wille, langatmige politische Entscheidungsprozesse, ungeklärte Zuständigkeiten sowie unzureichende oder nicht vorhandene gesetzliche Grundlagen.

Begünstigende Faktoren
Dem stehen die Treiber für Veränderung und Entwicklung gegenüber, die denselben Kategorien – mentale, ökonomische, zeitliche, politisch-rechtliche – zuzuordnen sind, jedoch mit geänderten Vorzeichen. Auf ein, zwei Punkte sei dennoch hingewiesen. Es gilt Ideen, deren Zeit gekommen ist, in die Hand zu nehmen und günstige Zeitfenster zu nützen. Mitunter ist es dabei notwendig, zögerliche Akteure zu ihrem Glück zu zwingen. Realisierungen sind abhängig vom Mut, von der Entscheidungsfreude und der Durchsetzungskraft der Verantwortlichen auf den jeweiligen Ebenen (Gemeinde, Region, Land). Mit erfolgsentscheidend ist der politische Wille, der seinen Niederschlag findet in der Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen und finanziellen Anreizen, z.B. in Form von Förderungen.

Kurzes Zwischenresümee
Lässt man den Blick über die österreichische Tourismuslandschaft schweifen und fasst einen längeren Zeitraum ins Auge, wird ersichtlich, dass immer wieder gleiche oder verwandte Themen auf der Agenda stehen und so manches Konzept in der Schublade verschwindet. Es wird aber auch klar, dass vieles umgesetzt wird, und das mit zunehmender Intensität in den letzten zehn bis zwanzig Jahren. Grund dafür dürfte nicht nur der zunehmende Wettbewerbsdruck sein, sondern, auf der regionalen Ebene, auch die neuen Strukturen in den Destinationen sowie die deutlich höhere Professionalität bei Funktionären und Mitarbeitenden in den Destinationsorganisationen.

Beispiel Tiroler Weg
Als ein Beispiel möchte ich die mit „Tiroler Weg“ überschriebenen Tourismuskonzepte des Landes Tirol herausgreifen. Sie bieten sich für die Frage nach den bearbeiteten Themen und erfolgten bzw. nicht erfolgten Umsetzungen u.a. deshalb an, weil sie das MCI Tourismus in Innsbruck einer kritischen Würdigung unterzogen hat. Die Ergebnisse sind im Sammelband Entrepreneurship und Tourismus enthalten, der neulich als Buchtipp im TP Blog vorgestellt wurde.

Evaluiert wurden sieben Konzeptgenerationen. Jene von 1972 und 1982 haben unter dem Titel „Tiroler Fremdenverkehrskonzept“ firmiert, alle weiteren unter „Tiroler Weg“. Während die erstgenannten Konzepte stärker operativ ausgerichtet waren (z.B. Tipps für Betriebe), stand bei letzteren die strategische Ausrichtung im Vordergrund. Die Ergebnisse der Evaluierung zeigen, dass wesentliche Inhalte der Konzepte zur Umsetzung gelangt sind und die jeweils jüngeren Konzepte konsequent auf den in der vorangegangenen Phase erzielten Resultaten aufbauen.

Alle Konzepte haben zum einen auf die Herausforderungen ihrer Zeit reagiert und zum anderen den Rahmen für die jeweils künftigen touristischen Entwicklungen formuliert. Sie dienten der Politik als Entscheidungsgrundlagen und den touristischen Betrieben und Organisationen als Richtschnur für ihr Handeln. Damit waren und sind sie wichtige Begleiter einer zielorientierten Tourismusentwicklung in Tirol.

Beim Studium der Konzepte wird deutlich, dass stets wiederkehrende Themen, wenn auch z.T. unter anderen Begrifflichkeiten, als rote Fäden die touristische Zeitgeschichte durchziehen: Arbeitskräfte, Aus- und Weiterbildung, Professionalisierung, Gastfreundschaft, Qualität, Wertschöpfung, Ganzjahrestourismus, Internationalisierung, Erlebnisorientierung, Lebensraum, Nachhaltigkeit, Raum- und Umweltverträglichkeit. In allen Bereichen sind Umsetzungen erfolgt, auch wenn diese von den sich ändernden Rahmenbedingungen mitunter rasch eingeholt wurden.

Zu den spektakulärsten und nachhaltigsten Umsetzungen zählt wohl die Organisationsreform der Tiroler Tourismusverbände, bei der durch die Zusammenführung zu größeren Einheiten die Zahl der Verbände von ursprünglich ca. 250 auf heute 34 reduziert wurde. Hierher gehört auch der Anspruch, professionelle Destinationen und starke Destinationsmarken entstehen zu lassen, was auf weite Strecken geglückt ist. Ein weiteres Vorhaben ist die Standortstrategie zur Nutzung der Synergiepotenziale von Tourismus und Wirtschaft, wo nach ersten Erfolgen nun weitere konkrete Schritte, u.a. für die gemeinsame Markenführung, gesetzt werden.

Unterstützt wurden viele Entwicklungsschritte durch Förderungen und gesetzliche Rahmenbedingungen, insbesondere aber durch das konsequente Handeln des Landes und der Tirol Werbung sowie durch initiative Destinationen, die Pionierarbeit geleistet und Vorbildfunktion übernommen haben. Als Bilanz kann festgehalten werden, dass die Konzepte ihren Zweck auf weite Strecken erfüllt haben und sie durch ihre Problemdarstellungen (Tourismuskonzepte) und strategischen Wegweisungen (Tiroler Wege) viel zur Realisierung von Projekten und zur erfolgreichen Weiterentwicklung des Tiroler Tourismus beigetragen haben.

Doch Neues unter der Sonne
Um den Kreis zur eingangs geschilderten Begebenheit zu schließen: Die Wahrnehmung ist grundsätzlich richtig, dass immer wieder dieselben Themen auftauchen und am Ende des Tages bereits Bekanntes auf den Flipcharts steht. Auch ist der Eindruck nachvollziehbar, dass nichts oder zu wenig umgesetzt wird. Eine genauere Betrachtung der Tourismuslandschaft zeigt jedoch, dass bereits diskutierte Themen, wenn sie wieder aufgegriffen werden, vielfach unter neuen Aspekten betrachtet werden und Weiterentwicklungen auf einer höheren fachlichen Ebene stattfinden. Dabei entsteht durchaus Neues, das umgesetzt wird, auch wenn sich, insbesondere bei größerer zeitlicher Distanz, dem Betrachter der Zusammenhang zwischen Konzept und Umsetzung entziehen mag. So ist denn die Eingangsfrage mit einem klaren Ja zu beantworten: Auch wenn manches nicht so läuft wie wir es gerne hätten, es gibt immer wieder Neues unter der Sonne.

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