Langmut
In diesen Tagen ist die Frage nach dem Befinden des Gegenüber keine Floskel. Gerade hatten wir über ein mögliches gemeinsames Projekt gesprochen, das in den nächsten Monaten für „die Zeit danach“ angegangen werden könnte. Der über 80-jährige, chronisch kranke Vater verstünde nicht, dass er nicht einfach Brot einkaufen gehen kann. Sein Essen über das Fensterbrett gereicht zu bekommen, verstöre ihn. Ansonsten werde den Kindern Haus und Garten helfen, die nächste Zeit zu überdauern. Man sei viel besser dran, als Familien Mitten in der Großstadt – so mein Gesprächspartner.
In klassischen wie sozialen Medien wird das Krisenmanagement in Tiroler Skigebieten kritisiert. Es sind nicht irgendwelche Orte, sondern die Ikonen unserer, meiner Branche. Dort, wo ich und viele andere ausgebildet worden sind. Sofort gehe ich innerlich in Verteidigungshaltung. Braucht es jetzt einen Sündenbock, braucht es jemanden, dem „die Schuld“ gegeben werden kann? Man habe kurzfristiges Profitstreben über die Gesundheit gestellt. Das ist doch längst nicht mehr der Tourismus, wie wir ihn verstehen, höchstens eine Karikatur seiner selbst!?
Noch nie haben soviele Menschen soviele Reisen unternehmen können wie heutzutage. Der Erfolg des modernen Tourismus widerspiegelt die politischen und wirtschaftlichen Fortschritte in der Welt. Auf der anderen Seite stranden auch in diesen Tagen Flüchtlinge an griechischen Ferieninseln. Ganze Landstriche verlieren ihren Wald an Borkenkäfer und Windbruch. Und dann stoppt eine Pandemie nicht nur den Tourismus, sondern gleich das Leben wie wir es seit Jahrzehnten gewohnt waren. Wie sowohl hochentwickelt und global vernetzt als auch verwundbar unsere Gesellschaften doch sind.
Manchmal ertappe ich mich dabei, mehr an das zu denken, was jetzt alles schief gehen könnte, als an das, was zu tun ist. Da fehlt mir noch die Langmut, die der Duden wie folgt definiert: durch ruhiges, beherrschtes, nachsichtiges Ertragen oder Abwarten von etwas gekennzeichnete Verhaltensweise; große Geduld. Wir werden viel Langmut benötigen, um (auch) die Tourismus- und Freizeitwirtschaft wieder aufzubauen. Es wird nicht von heute auf morgen gehen. Aber wir werden der Essenz des Reisens und Urlaubens, dem tieferen Sinn, dem Nutzen, den wir stiften, auf den Grund gehen. Und mit unserem Tun einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Resilienz leisten.
Ich fürchte, dass das richtig ist. Das Jahr 2020 wird sich in einer langfristigen Statistik in einigen Jahren als sichtbarer Ausreißer darstellen. Aber es geht nicht nur um Brüche in der Statistik, es geht darum wie wir möglichst rasch wieder einen funktionierenden Tourismus bewerkstelligen können. Diese Krise beeinträchtigt nicht in erster Linie die Wirtschaft und damit auch den Tourismus. Diese Krise macht alles obsolet, was den Tourismus ausmacht: Reisen, Menschen treffen, ferne Länder, Gesellschaften, Meetings – genau diese Bereiche stehen ganz oben auf der Verbotsliste. Da wird es wohl eine Zeit dauern bis wieder die gewohnte Normalität eingekehrt ist.
Sehe das auch so, daß sich durch die aktuellen Entwicklungen doch einiges verändern könnte, zumindest kurz- bis mittelfristig. Reisen wird vielleicht wieder etwas mehr zum Luxus- denn Allgemeingut – denn, mal ehrlich, wenn bei vielen Menschen Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Verunsicherung, finanzielle Verluste ins Haus stehen, dürfte Urlaub kurzfristig wohl eher zu den entbehrlichen Bedürfnissen gehören?
Die Normalität könnte „nach Corona“ doch auch nachhaltig anders ausschauen, da ja schon jetzt etliche „positive“ Umwelt- und Nachfrageeffekte festzustellen sind: die Luft wird in Smogzentren besser, Delphine kehren aufgrund des Stillstandes von Kreuzfahrtschiffen sogar bis ins Hafenbecken von Triest zurück, und die nächsten Tage werden wohl noch mehr solcher „Positivbotschaften“ bringen.
Kurzum – ich bin auch überzeugt davon, daß zumindest bei bestimmten Bevölkerungsgruppen ein nachhaltiges Umdenken stattfinden KANN, dies ist wohl eine der grössten Chancen der aktuellen, globalen und disruptiven Veränderung, die gerade ( wenn auch nicht freiwillig ) stattfindet.
Bevor es jedoch so weit ist, das Positive herauszuarbeiten, gilt es, durch wohl nicht nur für den Tourismus, sondern fast alle Wirtschafts- und Lebensbereiche schwierige oder zumindest veränderte Zeiten hindurch zu manövrieren. Einen sehr guten Artikel dazu hat Zukunftsforscher Matthias Horx verfasst, der dabei das REgnose-Modell anwendet. https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/
Dieser Artikel macht richtig Hoffnung auf das Leben „nach“ Corona – und dieser Tage kann wohl jeder den berühmten Strahl der Hoffnung am Horizont gut gebrauchen….
Die Corona-Krise ist wie ein riesiger Tsunami in eine perfekt verlaufende Wintersaison hereingebrochen und hat den Tourismus völlig zum Erliegen gebracht. Wie lange die Sache dauern wird, ist im Augenblick nicht abzusehen. Markus Redl und Franz Hartl haben zweifelsohne Recht, wenn sie mit Blick auf die touristische Zukunft darauf hinweisen, dass wohl einiger Langmut erforderlich sein wird.
Lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Beitrag von Matthias Horx „Die Welt nach Corona“, auf den Gernot Riedl in seinem Kommentar verlinkt. Dass große Krisen mit mehr oder weniger tiefgreifenden Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft verbunden sind, hat die Vergangenheit mehrfach gezeigt. Das gilt auch jetzt. Ob aber die Corona-Krise im Tourismus zu jenen grundsätzlichen Veränderungen führen wird, wie sie Matthias Horx in seiner Rückwärts-Prognose beschreibt, wage ich zu bezweifeln.
Manche werden aus der Krise und den dadurch erzwungenen Verhaltensregeln lernen und Anregungen für ihre weitere Lebensgestaltung mitnehmen. Das gilt jedenfalls für diejenigen, die für die von Horx angesprochenen möglichen Entwicklungen ein Sensorium besitzen und die deren Inhalte jetzt schon ein Stück weit leben.
In einem bin ich mir jedoch sicher: Jene Tourismushochburgen von Salzburg über Tirol bis Vorarlberg, die derzeit unter Quarantäne stehen, werden nach der Krise die gleichen sein wie vorher. Und ihre Gäste werden dort das suchen, was sie dort schon immer gesucht haben. Das wird, wenn mit Corona alles gut geht, schon nächsten Winter der Fall sein. Ganz in dem Sinne, wie es der Bürgermeister eines Quarantäne-Ortes nach dem abrupten Saisonende formuliert hat: „Nach der Wintersaison ist vor der Wintersaison“.
LANGMUT, dieses eine Wort bringt es auf den Punkt.
Was jedoch hinzuzufügen ist, ist:
GO ON.
Ab sofort. Den reStart vorbereiten, nicht nur „ertragen und abwarten“. Sondern mit unserem Tun einen wichtigen Beitrag auch zur gesellschaftlichen Resilienz zu leisten.
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