Kurienwahlrecht
In den Diskussionen um die Novelle des Tiroler Tourismusgesetzes stand und steht vor allem das Kurienwahlrecht im Mittelpunkt. Diese Diskussion ist auch für andere Bundesländer von Bedeutung.
Für das gleiche Gewicht der Stimmen spricht natürlich auf den ersten Blick die stärkere Einbindung „der Kleinen“ und damit der Aspekt der Tourismusgesinnung. „Die Großen“ sind gezwungen, sich mit „den Kleinen“ zu arrangieren. Allerdings muss man sich fragen – gerade rückblickend auf die großen Erfolge des Tiroler Tourismus – wer denn in einer Region tatsächlich etwas bewegen kann, wer der Impulsgeber – auch finanziell – in einer Region sein kann. Wer leistet einen Beitrag bei der Umsetzung der touristischen Strategien eines Tourismusverbandes? Bei Abstimmungen geht es ja letztlich auch immer um die Umsetzung. Unternehmerisch gedacht sollten daher jene, die viel Umsetzungskraft haben, auch stark bei Entscheidungen mitreden können. Wer Gewicht in einer Region hat, soll auch Gewicht (und Verantwortung) in der Meinungsbildung haben. Dies gilt gerade für Tirol, wo die investitionsintensiven Bergbahnen eine so große Bedeutung haben und die starke Einbindung der touristischen Unternehmer immer schon Vorbildwirkung hatte.
Was für Tirol passt, gilt jedoch nicht für alle Regionen. Denn es geht auch um die Relation Industrie zu Tourismus. Was in vielen Regionen nicht passieren darf: Große Industriebetriebe und damit große Zahler überstimmen die touristischen Unternehmen. Die Frage „Kurienwahlrecht – ja oder nein“ ist von Region zu Region verschieden zu beurteilen.
In tourismusintensiven Regionen mit wenig Industrie befürchte ich, dass eine Aufgabe des Kurienwahlrechtes eine bremsende Wirkung auf die touristische Entwicklung haben würde.
Hallo Herr Kohl!
Spätestens nach der dritten TVB-Vollversammlung hat jeder Unternehmer den wichtigsten Tiroler Satz begriffen: „Wer zahlt, schafft an.“
Meiner Meinung nach sollte es hier nicht um das verstaubte Wahlrecht gehen sondern um eine radikale Neudefinition der Tourismusorganisationen in den Gemeinden.
Auch wenn es den Entscheidern gelingen sollte ein für alle Seiten (was ich bezweifle) passendes Wahlrecht zu finden, dann leiden die TVBs immer noch unter den trägen Strukturen und dem vielerorts schlechten Image. Daran haben auch die Zwangszusammenlegungen in Tirol nichts geändert!
Die derzeitigen Strukturen produzieren meiner Meinung nach zu wenige Effiziente Lösungen. Immer spielen Machtblöcke, persönliche Befindlichkeiten, Eitelkeiten, etc. eine größere Rolle als die sachliche Diskussion.
Eine neue Lösung ist sicher nicht einfach, aber unsere Zeit erfordert andere Strukturen.
Das in Tirol geltende und auch in der Novellierung des Tiroler Tourismusgesetzes verankerte Kurienwahlrecht in Tourismusverbänden macht Sinn, und zwar genau aus den Gründen, die Manfred Kohl anspricht. Für die bestehende „Ungerechtigkeit“ in der Stimmgewichtung zwischen Unternehmen mit großen und Unternehmen mit kleinen Umsätzen wird in den Medien gerne ein Beispiel aus Osttirol zitiert, wo im Kurienwahlrecht die Stimme eines Seilbahnunternehmers so viel Gewicht hat wie 90 Stimmen von Kleinvermietern. Was wäre aber wohl die Konsequenz für viele Kleinvermieter (und nicht nur für diese), wenn es diesen Großen nicht gäbe, der in Osttirol an drei Standorten die Winterentwicklung professionell vorantreibt und mit seinen Incomingaktivitäten Gäste aus Herkunftsgebieten gewinnt, von denen die Region vorher nicht einmal träumen konnte.
Natürlich braucht es auch die Stimme und das Engagement der Kleineren. Das sogenannte „Ungleichgewicht“ in Tiroler Tourismusverbänden besteht lediglich in der Vollversammlung, während im Aufsichtsrat alle drei Stimmgruppen (große, mittlere und kleine Umsätze) mit jeweils gleich vielen Köpfen vertreten sind. Das gleiche Bild kann sich auch in dem aus dem Aufsichtsrat heraus gewählten Vorstand ergeben.
Die Gefahr, dass tourismusferne Industriebetriebe im Tourismusverband das Sagen haben, ist jedenfalls in Tirol eher zu vernachlässigen. Zum einen deshalb, weil die Einstufung für die touristischen Pflichtbeiträge mit zunehmender Tourismusferne der Branche niedriger wird und zum zweiten, weil nur jene Umsätze für die Berechnung der Tourismusabgabe herangezogen werden, die in der Region getätigt werden. Exportleistungen, die über die Grenzen Tirols hinausreichen, finden keine Berücksichtigung. Das führt etwa dazu, dass große, international tätige Industriebetriebe aufgrund fehlender touristischer und lediglich geringer innerregionaler Umsätze weit davon entfernt sind, maßgeblichen Einfluss auf das touristische Geschehen nehmen zu können – und das vermutlich auch gar nicht wollen.
Die grossen Erfolge der Vergangenheit haben auch Probleme erzeugt. Es sind eher die Kleinen, die regionale Interessen berücksichtigen, während die Großen die Geschäftsinteressen priorisieren (müssen). Das gilt es, gerade in Tirol, wo Standort und Tourismus gemeinsam vermarktet werden, zu berücksichtigen.
Tourismus ist nicht nur eine Wirtschaft, Tourismus ist auch Erhalt eines Lebensraums.
Zum Tourismusgesetz – Kurienwahlrecht
Als Kitzbüheler Touristiker mit unmittelbarem Bezug zu den Unpässlichkeiten des „alten“ (2006) Tiroler Tourismusgesetzes sei es mir erlaubt die Sache kritisch und analytisch zu beurteilen. Allen Kitzbühelern (und sicher auch allen Osttirolern)ist es spätestens seit der letzten Tourismus-Neuwahl im Jahr 2012 klar, dass das Vollmachtensystem in seiner momentanen Form das Prinzip einer unbeeinflussten und unabhängigen Wahlentscheidung zumindest nicht begünstigt. Die Entscheidung die Vollmachten abzuschaffen ist daher wichtig und richtig.
Doch orte ich in der Novelle ganz deutlich einen Fall von Anlassgesetzgebung. Die Problematik der Vollmachten hat alle anderen Aspekte, welche bei der Betrachtung eines solchen Gesetzes elementar wären, gleich einem Leuchtfeuer überstrahlt.
Viel interessanter als die so trivial einsträngige Frage der Machtzuweisung an die Organe, wäre doch die simple Fragestellung gewesen: „Was soll ein neues Tiroler Tourismusgesetz können – welches Ziel möchten wir mit dem Gesetz erreichen?“
Die Antwort liegt auf der Hand. Ein zukunftsweisendes Tiroler Tourismusgesetz muss eine effiziente, und vor allem strategische Arbeit in den Destinationen gewährleisten, der wirtschaftliche Erfolg der Destination als Gesamtheit muss das Oberziel des Gesetzes sein.
Ich behaupte an dieser Stelle, dass mittelfristig der touristische Erfolg aller alpinen Destinationen eine ganz stark positive Korrelation mit dem Wert einer Destination als Lebensraum aufweisen wird.
Erfolgreiche Destinationen der Zukunft werden es schaffen das vorhandene Spannungsfeld „Tourismus Disneyland“ vs. „Lebensraum Heimat“ aufzubrechen, sie werden die positiven Inputs von Nicht-Touristikern (auch KONSUMENTEN genannt) hören, die wertvollen Wechselbeziehungen zwischen Tourismus und Lebensraum strategisch nutzen. Erfolgreiche Destinationen der Zukunft werden Kommunikation säen und eine positive Tourismuswahrnehmung, Akzeptanz und Arbeitskraft der Bevölkerung ernten.
„KOMMUNIKATION SÄEN“ genau das tut unser Kurienwahlrecht allerdings nicht. Das Kurienwahlrecht als Elfenbeintempel für Tourismuskaiser und zuverlässige Anti-Kommunikations Pille verhindert das Säen von Kommunikations-Samen.
Eine mutige zukunftsweisende Gesetzesnovellierung mit einer Gleichgewichtung aller Wirtschaftstreibenden einer Destination, und neuen breiteren Gremien das ist es was dem Tourismuspionier TIROL gut zu Gesicht stünde.
Denn eines muss uns im Geiste unserer Zeit klar sein, Input und Ideen diskutiert man nur unter gleichberechtigten Partnern. Künstliche Hierarchieebenen die mit dem Selbstverständnis moderner Mittel-, Klein- und Kleinstunternehmer nicht mehr vereinbar sind, schaffen Hürden für einen breiten Diskurs. Eine breite Diskussion holt alle Touristiker, Handel, Gewerbe, Industrie und Bevölkerung mit ins gemeinsame Boot und schafft die notwendige Tourismus-Akzeptanz auf allen Ebenen.
Der These pro Kurienwahlrecht, dass den finanzkräftigen Strategieumsetzern mehr Entscheidungskraft zukommen soll, hat wohl die Entwicklung selbst schon eine Antithese geliefert, denn Tourismusakzeptanz und eine Verankerung der Branche in der Lebenswelt der Tiroler Bevölkerung kann man schon lange nicht mehr mit Finanzkraft erkaufen.
Ich glaube, dass wir alle, in die feinen samtenen Aufsichtsrats und Vorstandsstühle dieses Tourismuslandes ewig verliebt, uns selbst fragen müssen, ob gute Ideen nicht immer gleich viel wert sind, egal ob aus Stimmgruppe eins, zwei oder drei.
Sebastian Witzmann
Touristiker
und Gastgeber im „Seebichl-alpine Freiheit“ Kitzbühel
Ja, Herr Witzmann, das ist in der Tat das Dilemma der Tourismusgesetze: Einerseits das Lebensraumkonzept (für Einwohner und Gäste)mit dem Wunsch einer im Bewusstsein (Bauchgefühl) verankerten Tourismusgesinnung – andererseits die Notwendigkeit unternehmerischer Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsfindungen. Sie weisen mit Recht auf die Notwendigkeit „Kommunikation säen“ hin und das dies das Kurienwahlrecht nicht gesetzlich vorsieht. Mit verantwortungsvollen Führungskräften im TVB müsste es aber gelingen, auf eine breite Kommunikation zu setzen und dann unternehmerisch zu entscheiden. Letztlich ist das ja auch die Art und Weise wie kluge Führungskräfte und Unternehmer in ihren Betrieben agieren.
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