Gewissensfrage Kunstschnee
Zum aktuellen tp-review Beschneiung stellen wir hier gerne den Link zur ORF Report-Sendung von gestern Abend zur Verfügung:
Gewissensfrage Kunstschnee setzt sich mit der Frage der Kosten und des Ressourcenverbrauchs der technischen Beschneiung und damit auch mit den Folgen auf das Klima auseinander.
Danke Ulrike Reisner für den Link zum ORF 2 Report und insbesondere für den tp-Review „Beschneiung“, der einmal mehr die Reichhaltigkeit und Differenziertheit der Beiträge und Kommentare im tp-Blog aufzeigt.
„Gewissensfrage Kunstschnee“ lautet der Titel des ORF Reports und er impliziert die Frage, bei wem denn der technisch erzeugte Schnee Gewissensbisse verursacht und bei wem nicht. Nun, zu den Vor- und Nachteilen der technischen Beschneiung wurde über die Jahrzehnte hinweg viel geforscht und diskutiert. Unbestritten ist die wirtschaftliche Bedeutung der technischen Schneeerzeugung. Auch sollte Konsens darüber bestehen, dass technisch erzeugter Schnee, korrekt produziert und gewartet, aus ökologischer Sicht bei weitem nicht so nachteilig ist, wie ihm immer wieder unterstellt wird.
Wenn allerdings das Joanneum Research Graz der technischen Beschneiung positive Klimaeffekte attestiert, dann ist bei jedem, der des logischen Denkens mächtig ist, Skepsis angesagt.
Das Innsbrucker Forscherteam um Georg Kaser, einem international renommierten Glaziologen und Klimaforscher, zeigt denn auch die Schwächen der Joanneum-Studie auf. Und Christian Baumgartner setzt in seinem Kommentar zum Beitrag von Markus Redl „There’s No Business Like Snow Business“ noch einen drauf indem er auf ein für alle verständliches Manko der Joanneum-Studie hinweist: Selbst wenn der positive Klimaeffekt durch die technische Beschneiung in einer nennenswerten Größe gegeben wäre, käme er nicht zum Tragen, sobald auf eine natürliche Schneedecke geschneit wird (was z.B. aktuell alpenweit der Fall ist). Gleiches gilt, wenn nach durchgeführter technischer Beschneiung Frau Holle das Land in eine weiße Decke hüllt, was in höheren Lagen, wo sich die größten technisch beschneiten Flächen befinden, eher die Regel als die Ausnahme ist.
Das ist aber nur ein kleiner und eher theoretischer Aspekt einer Diskussion, die viel umfassender geführt werden sollte. Meiner Einschätzung nach wären u.a. folgende Themen zu diskutieren bzw. die daraus resultierenden Fragen zu beantworten:
Wieviel technische Beschneiung brauchen wir denn überhaupt noch? Wie viele Seilbahnen und Skipisten sollen noch gebaut werden? Sind weitere Investitionen – und wenn ja in welchen Umfang – regionalwirtschaftlich überhaupt erforderlich? Haben wir nicht schon genügend Infrastrukturen?
Der Verdacht, dass dies der Fall sein könnte, drängt sich auf, ist doch landauf landab zu vernehmen, dass es zusätzliche Betten braucht, um die Infrastrukturen mit ausreichend Frequenz zu versorgen. Und da wird in der Regel mit Zahlen im vierstelligen Bereich jongliert. Wer soll diese Betten bauen? Viele heimische – aktuelle wir potenzielle – Unternehmer verfügen offenbar nicht über das erforderliche Kapital und nicht wenige versuchen daher den Weg über den Verkauf von Freizeitwohnsitzen oder über Investorenmodelle.
Und zu guter Letzt: Wo sollen die Mitarbeiter herkommen? Wir kennen alle die gebetsmühlenartig wiederkehrenden Klagen zum Personalmangel im Tourismus (aktuell fehlen allein in Tirol für die kommende Wintersaison 850 Köche).
Meines Erachtens harrt die Frage, wieviel Tourismus für das Funktionieren unserer ländlichen (Berg) Regionen notwendig ist, dringend einer Antwort. Wir können uns natürlich auch dafür entscheiden, die verlängerte Werkbank für andere EU-Länder und das EU-Ausland zu sein. Aber dann sollten wir das auch sagen und nicht immer mit dem regionalen Bedarf und der Sorge um den alpinen Lebensraum argumentieren.
„Alle Jahre wieder …“ zum Start der Winter-Skisaison gibt es die immer-gleiche Diskussion über Sinn oder Unsinn von „Kunst“-Schnee – mit Fragen, die als solche schon 1000x beantwortet wurden … was man eigentlich wissen müsste, würde man sich mit der Thematik wirklich seriös beschäftigen.
Aber diese Technologie wird von selbsternannten „Welt-Rettern“ und profilierungsneurotischen Öko-Schickis (zu denen sich auch viele „möchte-gern-kritische“ Journalisten zählen) gerne zum ökologischen „Stellvertreterkrieg“ in der Klima- Diskussion missbraucht – und dies im (Irr-) Glauben, dabei nicht auf naturwissenschaftliche Fakten oder volkswirtschaftliche Erfordernisse Rücksicht nehmen zu müssen.
Daher nur kurz:
• Es sind NICHT die Schneekanonen, welche den Klimawandel verursachen.
• Das für den „technischen“ Schnee (= Branchenbegriff, da die Produktion des Schnees zwar viel mit Physik, aber ganz sicher nichts mit „Kunst“ zu tun hat) eingesetzte Wasser wird NICHT „verbraucht“ – in dem Sinne, dass es dann „weg“ ist. Sondern es absolviert im Rahmen des natürlichen Wasserkreislaufes gewissermaßen einfach eine zusätzliche „Ehrenrunde“. Spätestens im Frühjahr kommt der auf den Pisten aufgebrachte Schnee dann in Form des ganz normalen Schmelzwassers wieder „herunter“.
• Auch die Unterstellung, hier würde wertvolles Trinkwasser „sinnlos verschossen“, ist eine an Unverschämtheit grenzende Unhaltbarkeit: Denn das Wasser, das auf die Pisten kommt, wird zum großen Teil extra in eigens angelegten Speicherteichen gesammelt – und ist als solches kein Trinkwasser (Es muss aber z. B. in Tirol mittels UV-Anlagen aufwendig auf Trinkwasser-Qualität „getrimmt“ werden – was für die konkrete Kristallisation des Wassers eher ein Nachteil ist!)
Demnach ist auch der Vergleich mit irgendwelchen Trinkwasser-Verbrauchsstatistiken völlig unzulässig – umso mehr, wenn mit irgendwelchen Giga-Zahlen operiert wird, die außerhalb eines kleinen Kreises von Branchen-Insidern der Wasserwirtschaft ohnehin niemand einordnen kann (wobei ein Großteil unseres „kostbaren“ Trinkwassers ohnehin nur eingesetzt wird, um Stoffwechsel-Endprodukte im Klo hinunterzuspülen – die „Sorge“ um unser Trinkwasser hat also viel Scheinheiligkeit an sich)
Im alpinen Raum wird seit rund mehr als einem Vierteljahrhundert technisch beschneit – man hat also durchaus bereits Langzeit-Erfahrungen: Und welche Auswirkungen hat die technische Beschneiung auf die Natur? Sie ist ihr schlicht und einfach WURSCHT!
Da die Natur „gelernt“ hat, mit viel, wenig … oder gar keinem Schnee zurechtzukommen, hat auch die technische Beschneiung keinen erkennbaren Effekt in irgendeine Richtung: Weder sind die Alpinböden „erstickt“ noch „ertrunken“; weder sind Gräser, Ameisen, Mäuse, Murmeltiere oder was auch immer verschwunden – im Gegenteil: Einer der führenden österreichischen Produzenten für Baum-Setzlinge setzt Schneekanonen zum Frostschutz seiner kostbaren Pflanzen ein.
Aber genauso alt wie der Einsatz der technischen Beschneiung ist die ewig-gleiche Leier der „Befürchtungen“ und „Horror-Prognosen“; die sich auch durch offensichtliche Fakten nicht „beirren“ lassen – welche z. B. jeder durch einfache (Sommer-)Spaziergänge auf den Pisten bestätigen könnte: So sind z. B. Schneewasserteiche längst bewährte Erweiterung der alpin-ökologischen Vielfalt – in einem Schneiteich am Katschberg in Österreich wurde auf 2.500 m Seehöhe das Vorkommen von Kaulquappen beobachtet – für Biologen „unerklärbar“!
Aber der nicht vorhandene Einfluss der technischen Beschneiung auf die Natur ergibt sich allein aus den Quantitäten: So beträgt z. B. im Wintersport-Paradeland Tirol der Anteil der Pistenflächen (von denen zudem erst 50% technisch beschneibar sind!) lediglich rund ½ % (!) der Gesamt-Landesfläche. Es hieße wohl sehr wenig Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Natur zu haben, wenn man glauben würde, dass dies irgendeine Auswirkung haben würde.
Es ist schon spannend welche Themen andiskutiert werden, wenn die „Gewissensfrage Kunstschnee“ gestellt wird. Keimt nämlich angesichts dieser Frage aus Sicht mancher Akteure nicht ausreichend schlechtes Gewissen auf, dann wird von der Anzahl der bestehenden Liftanlagen über die Anzahl der Betten bis hin zum Verkehr gleich weiterer Stoff für schlechtes Gewissen nachgelegt. Auch wenn diese weiteren Fragen zweifellos ernsthaft bedacht und beantwortet werden müssen, bedeutet das aber gerade nicht, dass man die eigentlich gestellte „Gewissensfrage“ nicht seriös beantworten muss. Eine zumindest erste Antwort hat das Joanneum gegeben.
Spannend finde ich weiters, dass dann die Mächtigkeit logischen Denkens zum Argument gegen das Ergebnis ins Treffen geführt wird, wenn Forscher an der Universität Innsbruck die Methodik der Studie aber nicht das Ergebnis an sich kritisieren. Hier der link:
https://www.uibk.ac.at/publicrelations/presse/archiv/2017/905/dokumente/dok_20171107105026_ef07f92717.pdf
Ich würde mir daher wünschen, dass wir den Betroffenen – im Konkreten hier der Wintertourismusbranche – zuerst einmal Tatsachen zur Verfügung stellen und dann diese kommentieren statt „Glaubenskriege“ zu führen. Gewissen kommt von ge (mit oder alle zusammen) und von wissen. Welches Wissen haben wir zum Kunstschnee? Falls es zu wenig scheint, müssen wir weiter forschen und nicht glauben oder behaupten. Nur so werden wir ein Wissen und Gewissen erzeugen können, dass die Basis für verantwortungsvolles Handeln sein kann.
Danke Michael Rothleitner für das Feedback zu meinem Kommentar, das mich anregt, Präzisierungen vorzunehmen bzw. allfällige Missverständnisse auszuräumen.
Es hat nichts mit zu wenig Stoff für ein schlechtes Gewissen zu tun, wenn ich in meiner Replik zur „Gewissensfrage Kunstschnee“ den Bogen etwas weiter spanne und die Frage der technischen Schneeerzeugung in einen größeren Rahmen einbette. Das ist schlicht und ergreifend darauf zurückzuführen, dass ich die Zusammenhänge im Tourismus kenne und die eine oder andere Gelegenheit gerne wahrnehme, um die Komplexität des touristischen Geschehens zumindest ein klein wenig anzutippen.
Was meine Aussage zum logischen Denken und der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung betrifft, sehe ich im Moment wenig Veranlassung, davon abzugehen. In der Tat wird in den Beiträgen der Vertreter der Universität Innsbruck der Klimaeffekt der technischen Beschneiung offengelassen: „Die Frage des Klimaeffekts der technischen Beschneiung ist nicht zu beantworten“. Geht man aber die von Wolfgang Gurgiser präzisierte Mängelliste zur Joanneum-Studie durch, drängt sich schon der Verdacht auf, dass ich mit meiner Einschätzung nicht allzu weit danebenliege.
Wie dem auch sei, die Universität Innsbruck hat ihre Bereitschaft zur tiefergehenden Erforschung der Klimaeffekte der technischen Beschneiung bekundet und wir können auf das Ergebnis gespannt sein. Da die Universitätsvertreter vehement auf wissenschaftliche Korrektheit pochen, gehe ich jetzt einmal davon aus, dass die Aussagen von Univ. Prof. Georg Kaser im ORF Report vom 21.11.2017 das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Hier seine Ausführungen im Wortlaut:
„Die Beschneiung ist nicht positiv und somit ist sie immer noch negativ, wenn ich alles dazurechne. Wenn ich nur die Hälfte dazurechne oder nur einen kleinen Teil, kann ich so lange rechnen, bis etwas Positives herauskommt.“ Damit äußert Prof. Kaser nicht nur Kritik an der vom Joanneum Research angewandten Methodik, sondern er trifft auch eine glasklare – zugegebenermaßen allgemeine – Aussage zur technischen Beschneiung.
Zu guter Letzt halte ich hier dezidiert fest, dass ich ich keinen „Glaubenskrieg“ führe, sondern mich als überzeugter Touristiker in die Diskussion einbringe. In meinem Kommentar habe ich die Bedeutung der technischen Beschneiung auch klar unterstrichen. Da ich mich aber seit langem mit dem Thema Bergbahnen befasse und in diesem Zusammenhang einige erfolgreiche Projekte mit auf den Weg bringen konnte, habe ich mir im Laufe der Jahre doch ein gewisses Maß an kritischer Distanz zum Tourismus im Allgemeinen sowie zu den Bergbahnen und Skigebieten im Besonderen angeeignet.
PS: Hier noch der Link zur Universität, da der von Michael Rothleitner angegebene offenbar nicht mehr intakt ist: https://www.uibk.ac.at/public-relations/presse/archiv/2017/905/
…und noch ein aktuelles Fundstück zum Thema:
Hier ein weiterer Beitrag zur technischen Schneerzeugung. Das Ö 1 Mittagsjournal brachte am 1.12.2017 unter dem Titel „Weltraumtechnik für die Skipiste“ einen Bericht zum modernen Snow-Management und zur Pistenpräparierung mittels GPS-Daten. Die bereits angewandten Techniken, die einen effizienten Einsatz der technischen Beschneiung bzw. des technischen erzeugten Schnees ermöglichen, werden laufend weiterentwickelt und verfeinert u.a. unter Einbindung von Universitätsinstituten aus Innsbruck und Wien.
Der Beitrag kann unter https://oe1.orf.at/player/20171202/496815 noch sieben Tage nachgehört werden.
Kommentieren