Genius Loci (Geist des Ortes) in Destinationen
Robert Rogner jun. hat beim Alpe Adria Forum in Zagreb jetzt im Februar ein bemerkenswertes, weil ungewöhnliches Statement abgebeben. Ich versuche, seine wichtigsten Botschaften zu formulieren.
Immer mehr Menschen sind auf der Suche nach Authentizität – in Menschen, in der Landschaft, in der Kultur und in den Produkten. Die Tourismusindustrie versucht mit großem finanziellen Aufwand diese Authentizität künstlich zu reproduzieren. Um wirklich authentisch zu sein, müssen sich Orte und Regionen auf die Suche nach ihrem Kern begeben. Erst wenn wir diesen Genius Loci, den Geist des Ortes gefunden haben, können wir seine Mission formulieren und die touristische Produktentwicklung anschließen, die echte Nachhaltigkeit garantiert.
Den Genius Loci eines Ortes oder einer Region zu suchen, bedeutet die Wiederentdeckung der ursprünglichen Information des Ortes, seine fundamentalen Charakteristiken, seine Werte, seine eigene Persönlichkeit. Die Faktoren, die diese Persönlichkeit des Ortes ausmachen – seine Energie – sind verschiedener Natur: physische und geographische, aber auch historische und kulturelle. Das ist der Kern des Ortes. Seine Seele. Da fühlen wir uns wohl.
Also keine neuen Elemente von außen einführen und dem Ort aufsetzen, sondern den Kern des Ortes suchen. Dann kann man die Aufgabe des Ortes verstehen und einen Prozess aktivieren, der eine authentische touristische Nutzung ermöglicht.
Bin gespannt, ob es dazu Kommentare gibt.
Müsste die jeweilige Destination nicht viel mehr eine NEUE, weiterentwickelte Persönlichkeit zeigen, die es in dieser Ursprünglichkeit so nicht gab, aber den HEUTIGEN Anforderungen und Werten der Gesellschaft Rechnung trägt? Die Menschen verändern sich, ja sie müssen sich verändern, da vieles nicht mehr so ist, wie es früher einmal war. Und die veränderten Alltags- und Lebensbedingungen verändern zwangläufig irgendwann auch die Ansprüche und Bedürfnisse im Urlaub. Bin skeptisch, ob traditionelle Elemente einer Destination, die früher gut funktioniert haben, die allerdings keine emotionale/mentale Antwort auf die Herausforderungen der Jetzt-Zeit sind, (alleine) ausreichen. Keinerlei neuen Elemente einzuführen halte ich für eine gewagte These.
Leben wir die Marke „Urlaub in Österreich“! Unter deren „Kernwerte“ steht wofür Gastgeber und Gastgeberinnen idealerweise stehen sollen, unter anderem:
– Für die Verbundenheit als ein Gefühl des Miteinanders:
mit Menschen in intakter Natur, kulturelles Erbe erhalten, für das Bewahren von Traditionen, das Schätzen der Regionalität und die behutsame Weiterentwicklung … und
– Für die kreative Fähigkeit Bestehendes positiv zu verändern und etwas Neues zu schaffen,
bedeutet Ideenreichtum in der Gastlichkeit und in der Fortführung des kulturellen Erbes zu haben. Ebenso „Einheimisches und internationales zu kreativen grenzüberschreitenden Schöpfungen“ zusammenzufügen (vgl. Marke ÖW, Marke Urlaub in Österreich)
Ja, genau schauen worauf wir aufbauen und behutsam und kreativ weiterentwickeln, dann ist es authentisch.
Die Suche nach Authenzität, deren Bedeutung immer wieder so hervorgehoben wird, ist in Wirklichkeit ein Minderheitenprogramm, den meisten Menschen genügt eine gut gemachte Kulisse. Wieviele Europäer sind interssiert, in einem authentischen türkischen Hotel Urlaub zu machen? Wirklich erfolgreich sind die weltweit im Grunde gleichen Resorts bzw. Kettenhotels mit regionalem „Anstrich“.
Es haben auch nicht alle – um nicht zu sagen: die wenigsten – Orte einen Genius Loci oder gar eine Seele, jedenfalls keine touristisch vermarktbare. Wo sie doch vorhanden und für Kurzzeit – Bewohner spürbar oder gar attrakriv ist, sollte man das natürlich entsprechend nutzen. Insgesamt ist das aber wohl nur ein zwar wertvolles, aber nur relativ kleines Segment des touristischen Marktes und kein Erfolgsrezept für die Entwicklung von Orten oder Regionen.
Günther Greul
Journalist
@Günther Greul: Wenn Minderheitenprogramm, dann wohl eines für eine einkommensstarke Zielgruppe (Leitmilieus). Ich halte das im Alpenraum für ein sinnvolles Konzept, um Tourismusdestinationen (endlich) wieder in „Lebensräume“ zu transferieren.
Aber: Das Zukunftsinstitut hat sich in einem eigenen Kapitel des 2016er-Immobilienreports mit dem „Genius Loci“ auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom „nachverdichten“, was ich einen guten Ansatz finde. Auch wenn bei diesen Ausführungen der „Geist des Ortes“ eher über Design, Architektur und Baukultur interpretiert wird, kann ich das Kapitel als Lesetipp sehr empfehlen – hier ein kurzer Auszug.
„Innerhalb einer entwickelten Region kann „nachverdichtet“ werden, d.h. ein bisher unbekannter Ort innerhalb des bekannten Umfeldes wird in den Vordergrund gestellt und seine Schönheit und Stärken hervorgehoben. Neue Aspekte im Genius Loci werden zelebriert und dessen „Entdeckung“ gefeiert. Der Begriff der Authentizität beginnt sich in diesem Bereich bereits abzunutzen – der „Educated Customer“ erwartet wahrhaftige lokale Erlebnisse, die maßstäblich meist kleiner gedacht werden müssen. Statt kopierbarer Inszenierungen, die das Authentische simulieren, erwartet der Kunde eine nachvollziehbare und glaubwürdige Botschaft.“ (https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/wohnen/genius-loci)
Ein schönes Beispiel ist m.E. auch die Geschichte von Blaibach in Bayern. Wie ein sterbendes Dorf mit überdurchschnittlich viel Leerstand durch ein Architektur- und Kunstkonzept nun wieder in neuem Glanz erstrahlt: http://konzert-haus.de/das-konzerthaus
Ich danke Herrn Kohl für diesen wunderbaren Beitrag! Aber anstatt sich diesem spannenden Thema „genius loci“ vermehrt zu widmen, versuchen heimische Touristiker oft fast krampfhaft, Einrichtungen anderer Orte und Regionen zu kopieren (Wörthersee-Seilbahn etc.). Auch das ständige sich flüchten in (oft völlig unpassende) Anglizismen ist so eine Modeerscheinung die der, von unseren Gästen erwarteten alpenländischen Authentizität nicht grad dienlich ist (slow-trails etc. etc.).
Ich denke, es geht hier nicht nur um das oben erwähnte Hotel mit „regionalem Anstrich“ sondern um das gepflegte Ortsbild, den gut ausgeschilderten Erlebnisraum mit speziellen regionalen Besonderheiten und Ausflugszielen und ja, auch unsere lokalen Veranstaltungen, unsere Bräuche und unsere heimischen kulinarischen Schmankerln, die uns ausmachen.
Der heutige Gast ist viel sensibler und interessiert an regionalen Spezialitäten aller Art als viele glauben!
Genius locis und ein „erfolgreicher Tourismus“ = viele Nächtigungen, ist nach meinen Erfahrungen ein Widerspruch an sich. Ich hatte noch das Vergnügen mit Herrn Rogner sen. bei der Erschließung des Schigebietes Naßfeld in Kontakt zu kommen. Dekorative Maiskolben an Almhütten in ca. 1500m Seehöhe, erschienen mir ebenso wenig „genius“, wie heute z.B. Golfplätze, und riesige Pools in ariden Räumen.
Authentizität sollte wohl eine der obersten Prämissen, vor allem im alpinen, Tourismus sein. Dabei ist jedoch die Erwartungshaltung von Gast und Bereitschaft von Anbieter nicht unbedingt ident, denn was für den einen authentisch sein mag, ist für den anderen reiner Kitsch und Prostitution vor dem Gast. Wahre Autenthizität liegt – und da bin voll der Meinung von Manfred Kohl – sicher im genetischen Code einer Region, aber: oftmals ist von diesem genetischen Code nicht mehr viel übrig, alte Bausubstanz die Geschichte (mit)geschrieben hat, nicht mehr wirklich vorhanden, und aufgrund uneinheitlicher Bauvorschriften und -verordnungen kein „echtes“ Bild des Ortes/der Landschaft mehr vorhanden…
Und auch die Bereitschaft, den Geist eines Ortes zu bewahren, bedarf auch mutiger Entscheidungen, manches NICHT zuzulassen, denn was einmal weg ist, ist meist unwiederbringlich verloren….ich denke hier mit Wehmut an viele der alten Wörthersee-Villen oder Gasteiner Prachtbauten, die absolut den Geist dieser Region widerspiegelten und inzwischen leider viel zu oft Baggern, Immobilienspekulationen und gesichtslosen Neubauten weichen mussten. Dies entspricht dann aber wohl eher dem Genius Pecunia, dem Geist des Geldes….
Großartige Kommentare!
Vielen Dank.
Wir haben einfach gute Denker in unseren Reihen.
Schön, dass dieser Impuls von Manfred Kohl aufgenommen wurde und diese Resonanz ausgelöst hat.
Ergänzend möchten wir einbringen, dass der Kern (die Qualität) eines Ortes natürlich auch einer Entwicklung unterworfen ist. Das ist nicht etwas statisches – ewig gestriges – sondern etwas lebendiges.
Vergleichbar mit einem Menschen, kann ein Ort überfordert werden, wenn er mit zu vielen und ihm unbekannten Einflüssen überfrachtet wird. Dann verliert er Potential, Kraft und das spüren dann auch die Menschen die dort interagieren. Ein anderer Zugang ist es einen Ort in seinem Kern zu unterstützen und die damit frei werdende Kraft und das Potential zu nutzen. Dieser Ansatz lässt sich historisch übrigens wunderbar belegen.
( http://www.academia.edu/31374517/Der_Kern_als_Schlüssel_zur_erfolgreichen_Entwicklung )
Masse versus Individuum
Show versus Authentizität
Quantität versus Qualität
Das ist ein Spannungsfeld in dem sich nicht nur der Tourismus bewegt.
Anmerkung zu Robert Rogner jun.: Nicht er alleine ist der Autor des von mir beschriebenen Textes, sondern Roberta Rio, seine Partnerin, ist Co-Autorin.
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