Alpines Wegenetz und touristische Wertschöpfung
Seit Jahren beobachten wir in den österreichischen Alpen eine positive Nachfrageentwicklung im Sommertourismus. Jetzt, in der Halbzeit der aktuellen Sommersaison, zeigt sich, dass sich der Trend fortsetzt. Dieser Erfolg hat viele Väter. Zu den Erfolgsfaktoren zählen zweifelsohne auch das alpine Wegenetz und die alpinen Schutzhütten, die eine wesentliche Voraussetzung für das Bergwandern und Bergsteigen bilden.
Alpine Wege sind unverzichtbare Sommer-Infrastruktur …
Vor etwa 150 Jahren hatten die alpinen Vereine begonnen, Schutzhütten zu errichten, diese untereinander mit Wegen zu verbinden und Berggipfel durch Steige leichter zugänglich zu machen. In seiner Grundstruktur besteht das Wegenetz oberhalb der Waldgrenze nunmehr seit gut hundert Jahren. Danach erfolgten permanent Optimierungen, zum einen als Anpassung an die geänderten Bedürfnisse der Nachfrage, zum anderen als Antwort auf die Herausforderungen im alpinen Raum wie Gletscherrückgang, Auftauen von Permafrost, Hangrutschungen oder Felsstürze.
Insgesamt unterhalten die alpinen Vereine in Österreich 70.000 Kilometer Bergwege. Pflege sowie Arrondierungen erfolgen in hohem Maße durch Freiwilligenarbeit (im österreichischen Alpenverein mit seinen 26.000 Kilometern Bergwegen sind das rund 100.000 Arbeitsstunden pro Jahr). Mehr und mehr bringen sich auch touristische Destinationen ein, wobei dort neben professionellen Wegbauern (z.B. Ötztal Tourismus) auch Freiwillige am Werk sind (z.B. Innsbruck Tourismus).
… und wertvolle Impulsgeber für die touristische Wertschöpfung
Bergwege und Schutzhütten tragen dazu bei, dass touristische Nachfrage geweckt und Wertschöpfung generiert werden kann. Dabei besteht ein enges Zusammenspiel zwischen den Strukturen im alpinen Gelände und in den vorgelagerten Orten im Tal. Sie ergänzen sich gegenseitig. Beide brauchen einander und beide profitieren von der Angebotsqualität und den Marketingaktivitäten der jeweils anderen Seite. Das gilt auch in technisch hoch erschlossenen Gebieten, da diese verkehrsmäßig gut zugänglich sind, über viele Gästebetten verfügen und Touristen, Bergwanderern und Bergsteigern die Möglichkeit bieten, mit den Bergbahnen rasch alpines Gelände zu erreichen.
Auch wenn keine konkreten Zahlen vorliegen – jedenfalls konnte ich keine nachvollziehbaren Daten finden – lassen sich zu der durch alpine Bergwege und Schutzhütten induzierten Wertschöpfung doch grundsätzliche Aussagen treffen. Direkte Wertschöpfung wird an zahlreichen Kontaktpunkten der Bergwanderer und Bergsteiger generiert: In Schutzhütten, in Berggasthäusern an den Zugangswegen, bei touristischen Infrastrukturen (z.B. Bergbahnen), in der Beherbergung und Gastronomie, bei Dienstleistern und Geschäften vor Ort, für die Anreise zum Zielort, bei Anbietern von Bergwanderungen und Bergtouren und natürlich für die passende Bekleidung und die notwendige Ausrüstung.
Da wir aufgrund diverser Untersuchungen davon ausgehen können, dass für die meisten Sommergäste in alpinen Destinationen das Wandern die Hauptbeschäftigung darstellt und viele Aktivitäten auf den Bereich oberhalb der Waldgrenze entfallen, liegt es auf der Hand, dass ein ansehnlicher Teil der Wertschöpfung im alpinen Sommertourismus dem Bergwegenetz und den Schutzhütten geschuldet ist.
Neue Nutzungsformen – Beispiel Trailrunning
Neben den klassischen Aktivitäten Bergwandern und Bergsteigen dient das alpine Wegenetz auch einer nun schon seit Jahren immer weiter verbreiteten Outdoor-Sportart als Grundlage, nämlich dem Berglauf bzw. dem Trailrunning. Alpine Destinationen, die etwas auf sich halten, führen einschlägige Wettbewerbe durch, wobei die Laufstrecken mitunter bis in die Gletscherregion hinaufreichen. Auch sie stützen sich in hohem Maße auf das Wegenetz der alpinen Vereine und generieren damit Wertschöpfung für die Destination. So buchen die Wettkampfteilnehmer und ihre Begleitpersonen z.B. zahlreiche Nächtigungen, sei es im Rahmen von Erkundungs- und Trainingsaufenthalten, sei es rund um die Wettkampftage oder sei es bei späteren Wiederholungsbesuchen.
Ein Beispiel dafür ist die Destination Pitztal in den Ötztaler Alpen, die sich aufgrund der Erfolge beim Pitz Alpine Glacier Trail (heuer 1.000 Starter) und der dabei gewonnenen Erfahrungen als Berglaufdestination positionieren und dazu das erforderliche Rundumangebot schaffen will.
Resümee
Das weitverzweigte Netz an alpinen Wegen und Schutzhütten war für den alpinen Sommertourismus ein Angebot der ersten Stunde, das nach mehr als einem Jahrhundert nichts von seiner Bedeutung verloren hat. Ganz im Gegenteil! Der immer stärker werdende Trend zu Freizeitaktivitäten in der Natur und das Wiedererstarken des Sommertourismus in alpinen Destinationen machen Bergwege und Schutzhütten mehr denn je zu einem unverzichtbaren Teil der touristischen Infrastruktur.
Wertschöpfungsanteile
Interessanterweise hatte ich am Rande einer Veranstaltung mit einem Vertreter einer Sektion des Österreichischen Alpenvereins genau dazu ein ausführliches Gespräch. Sehr beeindruckt haben mich die geschilderten Leistungen, die, wie Peter Haimayer völlig richtig schreibt/anerkennt, zu einem Gutteil von Freiwilligen erbracht werden und die für bestimmte Gästezielgruppen einen wichtigen Teil des nachgefragten touristischen Angebots darstellen.
Methodisch spannend wird es beim Thema der Wertschöpfung konsumierter Leistungsbündel (mit dem Paradebeispiel Tourismus): Wie können also die direkten Wertschöpfungseffekte eines Bergwanderers bzw. Bergsteigers den jeweils – entgeltlich und unentgeltlich – in Anspruch genommenen Leistungen zugerechnet werden? Derzeit erleben wir bei unseren Projekten immer wieder einmal, dass einzelne Wirtschaftszweige möglichst die komplette Wertschöpfung für sich zu vereinnahmen trachten. (In diesem Kontext könnte so eine Aussage beispielhaft lauten: „Ohne unser Angebot gäbe es keinen Wandergast. Daher reklamieren wir die gesamte oder zumindest einen Großteil seiner direkten Wertschöpfung für uns.“) Das wiederum führt dazu, dass ein Addieren der veröffentlichen Wertschöpfungssummen einen Betrag ergeben würde, der über der gesamten Wertschöpfung des betrachteten Sektors (oder auf nationaler Ebene dem BIP) zu liegen käme. Um das zu vermeiden, sind Verteilungsschlüssel von Nöten, die auf entsprechend belastbaren Datengrundlagen beruhen. Und vor dieser Herausforderung stehen wir gerade …
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