„Tourismus: Deutsche kehren uns den Rücken“ (???)
…das war der Aufmacher eines KURIER-Beitrages über ein Interview mit Petra Stolba vor einem Jahr. Kommen wirklich weniger Deutsche – und wenn ja, WO und WARUM?
Genauere Analysen lassen folgende These zu, die zu diskutieren ist: „Je internationaler die Gästestruktur in einem Hotel oder einer Destination ist, desto schwieriger ist es, den deutschen Herkunftsmarkt zu halten“. Wenn das so stimmt – und die Beobachtungen geben uns recht, dann sind folgende „Sub-Thesen“ denkbar:
1. „Wir haben den deutschen Gast vernachlässigt“
2. „Deutsche mögen keinen Nationen-Mix“
3. „Das Reiseverhalten der Deutschen hat sich geändert“
4. „Unser ursprünglicher Preisvorteil ist verloren gegangen“
Wenn diese Thesen stimmen, dann ist klar, dass der deutsche Markt nicht mit noch mehr Werbemittel belebt werden kann – sondern dass Lösungen im Mittelpunkt stehen müssen, die vor Ort ansetzen.
Bevor ich mir die Sub-Thesen von Manfred Kohl überlege, scheinen mir einige Fragen bzw. Überlegungen zur Haupt-These wichtig:
1. Wenn ein Hotel seine Gästestruktur „internationalisiert“, gehe ich von einem professionellen, sehr gut ausgelasteten Betrieb aus. In diesem Fall agiert der Hotelier professionell, indem er sozusagen „diversifiziert“ und das Risiko (auf mehrere) Märkte verteilt. Bei hoher/voller Auslastung wird die Zahl und der Anteil der D-Gäste logischer weise niedriger.
2. Wenn ein Betrieb verstärkt „internationalisiert“, wird er auch seine Marketingmittel auf mehrere Märkte verteilen (müssen). Der D-Markt ist (mindestens) genau so umkämpft wie andere Herkunftsmärkte. Weniger Budget bedeutet auch in D weniger Gäste.
3. Also interessant erscheinen mir die Sub-Thesen, wenn diese Häuser bei gleich bleibendem D-Marketing und freien Kapazitäten Gäste aus D verlieren. Ich würde nämlich den Deutschen – gleich wie den Österreichern und mir persönlich – grundsätzlich unterstellen, dass ein guter Nationen-Mix positiv empfunden wird. Schwieriger wird es sicher, wenn ein zahlenmässiges Übergewicht der D-Gäste durch eine „Übermacht“ eines anderen Herkunftslandes ersetzt wird.
4. Generelle Frage zur Haupt-These: wenn ein Hotel/eine Destination voll auf den D-Markt setzt, ist es dann – bei gleich bleibendem Marketing-Einsatz – einfacher, die D-Gäste zu halten?
In unserem Bereich (Urlaub am Bauernhof mit 60% Nächtigungsanteil aus D und 50% Anteil Stammgästen) stellen wir fest, dass die emotionale Komponente Gast-Gastgeber eine entscheidende Rolle spielt. Und im Marketing sehe ich, wenn wir uns nicht bewusst zur Konzentration auf ganz wenige Hauptmärkte zwingen würden, würden die begrenzten Mittel mit großer Begeisterung auf 15 „interessante“ Märkte verteilt. Deutschland? Diese Gäste kommen doch von selbst, oder?
Schön, wenn im TP-BLOG Thesen vorgestellt werden, die zum Nachdenken anregen und zu denen – ohne Zwang auf Vollständigkeit – einige Aspekte in die Diskussion eingebracht werden können.
Konsequenz der Internationalisierung
In der Hauptthese von Manfred Kohl „Je internationaler die Gästestruktur in einem Hotel oder einer Destination ist, desto schwieriger ist es, den deutschen Herkunftsmarkt zu halten“ irritiert der Begriff „schwieriger“. Diese Formulierung legt nämlich die Interpretation nahe, dass sich Deutsche Gäste im Kreis eines internationalen Publikums nicht wohlfühlen und daher ausbleiben. Das ist wohl nicht der Fall, jedenfalls nicht bei jenen Gästen aus unserem Nachbarland, die sich für die gehobene Hotellerie entscheiden, die einen guten Mix aus Gästen aus verschiedenen Herkunftsländern aufweist. Vielmehr ist es die logische Konsequenz einer erfolgreichen Internationalisierung, dass der prozentuale Anteil der deutschen Gäste kleiner wird. Ein Beispiel dafür ist etwa die Wintersaison, wo dank der z.T. anders gelagerten Ferienzeiten in Ländern Zentraleuropas bisher schwächer ausgelastete Zeiten besser genutzt werden können, was zwangsläufig zu Verschiebungen in den prozentualen Anteilen der angestammten Herkunftsmärkte führt.
Multiplikator Gästezufriedenheit
Die von Hans Embacher gestellte Frage „Wenn ein Hotel / eine Destination voll auf den deutschen Markt setzt, ist es dann – bei gleich bleibendem Marketing-Einsatz – einfacher, die deutschen Gäste zu halten?“ kann wohl folgendermaßen beantwortet werden: Wenn Produkt und Servicequalität stimmen, sind die Chancen, den deutschen Gast zu halten absolut gegeben, da zum einen mit Wiederholungsbesuchen zu rechnen ist und zum anderen über persönliche Weiterempfehlungen und gute, authentische Bewertungen auf Online-Plattformen ein Multiplikatoreffekt eintritt. Dennoch ist die Frage zu stellen, ob es Sinn macht, allein auf den deutschen Gast zu setzen. Das sollte nicht einmal im Westen Österreich in unmittelbarer Nähe zu den großen städtischen Agglomerationen Süd- und Mitteldeutschlands der Fall sein, kann es sich ein Haus bzw. eine Destination dort doch nicht entgehen lassen, zumindest auch den Schweizer Gast für sich zu gewinnen.
Daraus leitet sich automatisch eine Aussage zu einem weiteren Punkt von Hans Embacher ab: Wenn Betriebe bei gleich bleibendem Marketingeinsatz am deutschen Markt und bei freien Kapazitäten im Haus Gäste aus Deutschland verlieren, dann haben sie wohl zwei wichtige Aufgaben nicht erledigt: Zum Ersten haben sie es verabsäumt, ihr Angebot den modernen Gästebedürfnissen anzupassen und zum Zweiten haben sie sich nicht bemüht, neue Gästezielgruppen in der Bundesrepublik Deutschland anzusprechen.
Produktentwicklung plus Marktbearbeitung
Damit sind wir beim Fazit von Manfred Kohl angelangt: Es besagt, dass für den Fall, dass seine Thesen stimmen, der deutsche Markt nicht mit noch mehr Werbemitteln belebt werden kann, sondern dass Lösungen im Mittelpunkt stehen müssen, die vor Ort ansetzen. Keine Frage: Lösungen vor Ort, die von der Landschaftsqualität über die Freizeitinfrastruktur und die Angebotsgestaltung bis hin zur Dienstleistungsqualität reichen, sind das Um und Auf des touristischen Erfolgs und sie bilden die unverzichtbare Grundlage für ein nachhaltig wirksames Marketing.
Diese Leistungen kommen jedoch allen Gästen zugute, und daher bleiben – jedenfalls theoretisch und bei gleich bleibender Verteilung der Marketingmittel – die Relationen zwischen den Gästen aus den einzelnen Herkunftsländern gleich. Das Spiel wiederholt sich lediglich auf einem qualitativ höheren Niveau. Soll die Zahl der Gäste aus Deutschland aber so gesteigert werden, dass ihr Anteil an der Gesamtzahl der Gäste wieder höher wird, so müssen die vor Ort vorzufindenden Qualitäten auch entsprechend kommuniziert werden, was nichts anderes bedeutet, als das dafür ausreichende Marketingmittel bereitgestellt werden müssen.
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