Die Mär von den „Stillen Reserven“
Die unterdurchschnittliche Ausstattung der Tourismuswirtschaft mit Eigenkapital ist betriebswirtschaftliches Dauerthema. Erst als im Zuge der Basel-II-Diskussion die Aktiva angehoben wurden, hat sich das Problem etwas entschärft, obwohl nach wie vor Verbesserungspotential besteht. Vor dem Hintergrund der Eigenkapitaldiskussion wird gerne das Argument der „Stillen Reserven“ ins Treffen geführt, das auf einer möglichen Unterbewertung einzelner Aktivpositionen (etwa durch Grundstücke zu historischen Anschaffungswerten) fußt.
Dieses Argument mag im Einzelfall zutreffen. So mancher Kreditgeber musste allerdings feststellen, dass es oft nicht möglich ist, im Veräußerungsfall die in der Bilanz angesetzten Werte zu erzielen. Die sogenannten „Stillen Reserven“ waren dann – ihrem Wortsinn entsprechend – tatsächlich still und unauffindbar.
Um Licht in das Dunkel der „Stillen Reserven“ zu bringen und sie ihrem Umfang nach einzugrenzen, wird den Werten der bilanziellen Aktiva der Unternehmenswert in Form eines Ertragswertes gegenüber gestellt, der mittels eines GOP-Multiples errechnet wird. Die Differenz aus dem Ertragswert – zu dem im Falle einer Unternehmenstransaktion üblicherweise der Kaufpreis festgemacht wird – und dem Wert der Aktiva lt. Bilanz wird in den weiterführenden Überlegungen als „Stille Reserve“ bezeichnet.
Wie sich aus der Graphik erkennen lässt, überstieg im Jahre 2000 der Ertragswert den Wert der Aktiva knapp und im Falle einer Veräußerung zum Ertragswert hätten „Stille Reserven“ im Umfang von rund EUR 70.000 lukriert werden können. Im Lauf der Zeit sind allerdings durch fortgesetzte Investitionen und Neubewertung des Vermögens die Aktiva massiv angestiegen und der GOP-basierte Ertragswert konnte dieser Entwicklung nicht folgen. Im Jahr 2010 würde der im Falle einer Unternehmensveräußerung erzielte Erlös um rund EUR 1,3 Mio. unter dem Wert der Aktiva liegen – die „Stillen Reserven“ wären negativ.
Die Veräußerung eines Unternehmens würde derzeit – soweit Ertragswertüberlegungen eine Rolle spielen – einen Abschlag von den bilanziellen Vermögenswerten entstehen lassen. „Stille Reserven“ mögen im Einzelfall bei touristischen Immobilien etwa in Form unterbewerteten Liegenschaftsvermögens durchaus vorhanden sein, aber wie die die Darstellung anhand der Jahresabschlußdaten von 4/5-Stern-Unternehmen zeigt, sind sie jedoch in der Mehrzahl der Fälle derzeit nicht argumentierbar.
Lieber Franz, üben wir weiter Betriebswirtschaft 😉
DU HAST JA VOLLKOMMEN RECHT !
Meine Gedanken dazu:
1. Investitionen haben offensichtlich nicht im erwarteten Maße zu einer Ertragswertsteigerung geführt. Das heißt, Hoteliers haben überwiegend nicht auf Basis von ROI-Überlegungen investiert, sondern um ein „schönes Haus“ zu haben. Oder anders gesagt: Der Gast bekommt oft mehr als er bezahlt (z.B. größere Zimmer bis zur Unsinnigkeit) – also „unnötige Qualität“, aber Prestigedenken des Unternehmers.
2. Auch andere Banken als die ÖHT sollten die Sinnhaftigkeit der Investitionen an Hand von Benchmarks besser checken – auch mit dem eigenen Vorteil, dass sich die Bank damit besser absichern kann.
3. Wir beobachten das Phänomen der „stillen Reserven“ auch im Zuge der Betriebsübergabe bei der Erbteilung. Der Wert des Hotels wird emotional überschätzt. Die nicht seltene Folge: Das oft nicht in den Aktiva der Bilanz enthaltene Vermögen (z.B. Eigentumswohnung in der Stadt oder Grundstücke) wird an die weichenden Geschwister übergeben – und sie werden damit dem Unternehmensnachfolger gegenüber wertmäßig bevorzugt.
PS: Die GOP-Multiple ist bei dir, nehme ich an, GOPx7
Diese „Praktikerformel“ passt auch nach unserer Erfahrung für das Durchschnittshotel.
Mit zu den Ursachen für das überbordende Antwachsen der Aktiva gehört wohl auch der Versuch, durch Umwertung von Aktivpositionen ein möglichst hohes Anlagevermögen entstehen zu lassen, um die Eigenkapitalsituation zu schönen und dabei ist man vielleicht auch etwas übers Ziel hinausgeschossen.
Der unterlegte GOP-Multple war übrigens 7,5 und war so aus unserer Datenbank abzuleiten.
Zur „emotionalen Überschätzung“ gehört auch noch der Aspekt, dass es sich bei den angestellten Überlegungen um eine Brutto-Betrachtung handelt, d.h. das aushaftende Fremdkapital ist in Abzug zu bringen. Der oftmals negative Wert dieser Restgröße muss dann weichenden Geschwistern als Wert des Unternehmens „verkauft“ werden. Das ist eine Übung die wohl öfters einen Mediator braucht.
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