Buchungen: Halbvoll oder halbleer?
Tourismusinteressierten Lesern bietet sich am heutigen Tag auf den ersten Blick eine spannende Divergenz in der Berichterstattung: Während der ORF mit der Schlagzeile „Heimischer Wintertourismus steuert auf Höchstzahlen zu“ aufwartet, ist der Standard mit der Feststellung „Wintertourismus hängt im Jännerloch, insgesamt aber im Plus“ etwas verhaltener.
Der ORF beruft sich auf Aussagen des WKO-Bundespartenobmanns Robert Seeber, der Standard auf Tourismus-Staatssekretärin Susanne Krauss-Winkler. Was die laufende Saison in den Ferienregionen betrifft, sind sich beide Branchenkenner im grundsätzlichen einig:
ORF: Das bisherige Rekordhoch der Wintersaison 2018/19 dürfte heuer trotz starker Teuerung erreicht oder sogar übertroffen werden. „Die Aufbruchstimmung haben wir nach wie vor – wir sind guter Dinge, die Buchungszahlen sprechen dafür“, so Seeber.
Der Standard: „In den Ferienregionen stimmt das Geschäft – bis auf den Jänner, der auch dort sehr durchwachsen bis bescheiden beziehungsweise noch unter dem Vorjahr liegend sei. „Das sogenannte Jännerloch ist wieder da“, so die Branchenexpertin. „Der Februar wird aber in den Feriendestinationen ein sehr guter Monat werden, weil heuer die Faschingsferien in Deutschland und den Niederlanden mit den Semesterferien in Österreich zusammenfallen“, erklärte Kraus-Winkler.„
Die Staatssekretärin verweist allerdings auf die etwas schwierigere Buchungslage in der Stadt- und Thermenhotellerie:
Der Standard: „Vor allem in den Städten sind die Buchungen – auch für den Februar – derzeit noch verhalten“, sagte Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler zur APA. „Sowohl in der Stadthotellerie als auch in der Thermenhotellerie: Alle merken, dass die Firmen aktuell mit Tagungen und Seminaren zurückhaltender sind.
Bei den Buchungen in den Städten wiederum werde in den Monaten Jänner und Februar nicht der Wert erreicht wie zur selben Zeit vor einem Jahr. „Auch ihnen fehlen die Tagungen und Firmengäste“, berichtete Kraus-Winkler. Salzburg verzeichne derzeit beispielsweise ein Nächtigungsminus von fünf bis sieben Prozent.“
Unabhängig von Buchungen und damit verbundenen Umsätzen sind aber vor allem auch die Kosten im Auge zu behalten…denn die bestimmen am Ende des Tages darüber, wie viel den Unternehmern unterm Strich tatsächlich bleibt.
ORF: „Der Branchensprecher beklagte aber auch einen „Mix“ an Belastungen wie stark steigende Personal- und Energiekosten, höhere Vorleistungen, die hohe Inflation und den starken Zinsanstieg – bei einer generell geringen Eigenkapitaldeckung der Unternehmen. Dieser „Giftcocktail“ mache das Wirtschaften schwer.“
Fairer Weise muss darauf hingewiesen werden, dass der Standard bereits am Beginn des Jahres ein Interview mit Susanne Krauss-Winkler brachte, in welchem auch die hohen Kosten sowie das Problem des Fachkräftemangels ausführlich besprochen wurden.
Ist das Glas also halbvoll oder halbleer? Weder – noch, würde ich meinen. Vielmehr geht es darum, den Tourismus mit all seinen wirtschaftlichen Facetten zu erfassen und danach auch seine Wachstumskraft zu beurteilen. Unbestritten ist es für zahlreiche Regionen ein positives Signal, dass trotz Teuerung die Nachfrage im heurigen Winter nicht auslässt. Unbestritten ist aber auch, dass die internationale Nachfrage nach wie vor verhalten ist, was sich auf das wichtige Segment des Städte-, Tagungs- und Geschäftstourismus auswirkt. Gerade hier wissen wir aus der Zeit vor Covid-19, dass die Wertschöpfungseffekte deutlich zu messen waren.
Wir leben zweifelsfrei in Zeiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs. Dies wird sich auch auf das Urlaubs- und Reiseverhalten und damit auf den Tourismus auswirken. Es ist daher notwendig, die wirtschaftlichen Effekte sowohl auf der Umsatz- als auch auf der Kostenseite genau zu beobachten. Im Idealfall entsteht eine konstruktive öffentliche Diskussion über die Zukunft des Tourismus in unserem Land.
Kommentieren