Statistik: Vergleich mit Vorkrisenniveau sagt wenig aus!
Die Statistik Austria veröffentlichte heute die vorläufigen Ergebnisse der bisherigen Sommersaison: Demnach „verzeichnete Österreich mit 37,04 Mio. Nächtigungen in der ersten Hälfte der Sommersaison 2022 (Mai bis Juli) um 4,6 % weniger Nächtigungen als im Vergleichszeitraum 2019 (38,83 Mio.). Das bisherige Kalenderjahr 2022 (Jänner bis Juli) lag mit 80,39 Mio. Nächtigungen um 15,5 % unter dem Vorkrisenniveau 2019 (95,10 Mio. Nächtigungen). Die Vergleichszeiträume 2021 (29,67 Mio. Nächtigungen) und 2020 (63,82 Mio.) wurden damit aber deutlich übertroffen„. Damit hätte man – so die Überschrift in der Pressemitteilung – das „Vorkrisenniveau“ fast erreicht.
Wie wir wissen, ist die Zahl der Nächtigungen ein, aber bei weitem nicht der wichtigste Parameter für die Bewertung einer wirtschaftlich mehr oder weniger erfolgreichen Saison. Doch hier stört mich weniger der Umstand, dass (derzeit erst) nur die Übernachtungen publiziert werden. Mich stört der Umstand, dass es offensichtlich ein „Vorkrisenniveau“ zu erreichen gilt.
Ich bin der Meinung, dass wir solche Vergleiche lassen sollten. Sie richten den Blick nach hinten und nähren die Illusion, wir hätten den Status Quo annähernd wieder hergestellt. Dies ist nicht der Fall.
Die Inflationsrate lag 2019 bei durchschnittlich 1,5 %, heuer liegt sie (vorläufig) bei 7,8 % – Tendenz steigend.
Der Energiepreisindex (EPI) stieg 2019 gegenüber 2018 um 1,1 %. Im selben Zeitraum nahm der Verbraucherpreisindex (VPI) um 1,5 % zu. Die Energiepreise wirkten im Jahresvergleich also leicht preisdämpfend. Der von der Österreichischen Energieagentur für Juni 2022 berechnete Energiepreisindex stieg im Vergleich zum Vormonat Mai 2022 um 6,2 %, im Jahresvergleich Juni 2022 zu Juni 2021 zeigte sich ein Plus von 45 %. Die Energiepreise steigen damit weiter und sind der zentrale Treiber der Inflation.
Die Zahl der Erwerbspersonen (d.h. Mrenschen im Alter zwischen 15 und 64) hat laut Trendberechnung der Statistik Austria heuer ihren Höhepunkt erreicht und sinkt von nun an kontinuierlich. Parallel dazu kann, selbst bei großer Anstrengung, die Quote der erwerbstätigen Personen (also jenen, die tatsächlich einer Erwerbsarbeit nachgehen) nicht wirklich gesteigert werden.
2019 wurden in Österreich insgesamt etwas weniger als 13.000 Asylanträge verzeichnet; heuer waren es bis einschließlich Juli rund 42.000. Darin nicht enthalten sind rund 72.000 ukrainische Flüchtlinge.
Die Rahmenbedingungen für den Tourismus könnten sich also innerhalb von nur drei Jahren nicht fundamentaler gewandelt haben. Dabei noch nicht berücksichtigt sind die mittelfristigen Schäden, die die Betretungsverbote in der Corona-Pandemie im Tourismus hinterlassen haben und werden. Die aktuelle Hochrechnung des Kreditschutzverbands zu den Insolvenzen im ersten Halbjahr 2022 in Österreich zeigte bereits, dass Tourismus und Gastronomie am stärksten von der insgesamt stark steigenden Zahl der Insolvenzen betroffen sind.
Es ist sinnlos, sich an Zahlen zu klammern in der Hoffnung, dass diese sich auf Vorkrisenniveau stabilisieren. Die Krise hat eben erst begonnen.
Der Beitrag von Ulrike Reisner zeigt einmal mehr, dass bei der Einschätzung der Tourismusentwicklung die alleinige Betrachtung von Nächtigungszahlen zu kurz greift und auch der Vergleich mit der Vor-Corona-Zeit zu hinterfragen ist.
Ihre Hinweise auf einige den Tourismus beeinflussende Faktoren wie Inflationsrate, Energiepreise oder Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter vermittelt einen Eindruck über die Komplexität der Materie. Angesichts dieser sowie anderer Einflussfaktoren, etwa auf der Nachfrageseite, ist ihre Aussage, wonach die Krise erst begonnen hat, absolut ernst zu nehmen.
Ulrike Reisner zeigt mit ihrem Artikel etwas sehr Offensichtliches auf. Es verwundert, dass die Validität dieser Statistiken auch kaum volkswirtschaftlich thematisiert werden.
Ich würde sogar weiter gehen als die Vergleiche mit dem Vorkrisenniveau in Frage zu stellen. Das Gros der Messungen und Statistiken sollten neu aufgesetzt werden. Auswirkungen des Klimawandels, Umweltverträglichkeiten, Be- und Einschränkungen durch Ressourcenengpässe sollten abgebildet werden. Nur ein paar Beispiele zur Validität gefällig? Skigebiete, die nicht mehr 100 % ihrer Flächen anbieten können, sei es durch Energiesparen, Schneemangel oder umweltverträgliche Kapazitätsbegrenzungen werden wohl nicht den Vergleich zu den Vorjähren wählen. Weniger ist auch das gemeinhin bevorzugte Mehr. Steigerungen werden gar nicht mehr so positiv gesehen. Zehn Hotelgäste können mehr Umsatz und Deckungsbeitrag bringen als beispielsweise 50. Aussagekräftige Statistiken werden wohl komplexer werden müssen. Und das Rekorde Messen wird genauso einen Wandel erfahren. Dem Gast/Kunden imponiert es nicht mehr!
Ein interessanter Aspekt ist, dass es im Juli 2022 bei den unselbständig Beschäftigen in der Beherbergung und Gastronomie einen neuen Allzeit-Rekord von 245.265 Beschäftigten gegeben hat. Es haben in der österreichischen Tourismus-Geschichte noch nie so viele Menschen im Tourismus gearbeitet wie heuer im Sommer 2022. Warum die Branche aber noch weitere Mitarbeiter benötigt, das werden wir gemeinsam mit Staatsekretärin Susanne Mag. Kraus-Winkler, MRICS und Staatssekretär-Kollege Florian Tursky, MSc. MBA am 29. September um 13 Uhr bei den Seefelder Tourismusgesprächen im Kongresszentrum Seefeld, behandeln.
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