20. März 2022 | 12:00 | Kategorie:
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Tourismus in der Krise?!

Kampfhandlungen an der EU-Außengrenze, bereits mehr als drei Millionen Flüchtende, Vorboten einer Rohstoff- und Lebensmittelkrise — Pandemie-bedingt steckt der Tourismus seit zwei Jahren weltweit selbst in der Krise, die sich jetzt mit den Folgen des Krieges in der Ukraine überlagert. Selbstverständlich ist unsere Branche hier in Österreich – ganz im Gegensatz zu den Menschen im Kriegsgebiet – nicht unmittelbar an Leib und Leben bedroht, aber Existenzen stehen sehr wohl auch auf dem Spiel. Welche Risiken (und vielleicht sogar Chancen) ergeben sich für den Tourismus in der Kriegs-bedingten Krise, welche Aufgaben kommen uns gesellschaftlich zu?

Unmittelbar transportieren die ÖBB und andere europäische Bahngesellschaften Flüchtende mit ukrainischem Pass oder Personalausweis kostenlos, Hoteliers bieten z.B. über das von PKF initiierte #HospitalityHelps kurzfristig Unterkunft, Gastronomen verpflegen teilweise tausende Menschen.

Was die nächsten Wochen und Monate anbelangt: Niemand weiß, wie viele Menschen noch flüchten werden. Niemand weiß, ob und wann diese in die Ukraine zurückkehren (können). Niemand weiß, wie sich die wechselseitigen Wirtschaftssanktionen noch entwickeln und auswirken werden. Dass jedoch die Folgen des Krieges in der Ukraine auch unser Leben in Mitteleuropa auf Jahre bestimmen, scheint nicht übertrieben.

Gesundheits- und Personalkrise

Die durch COVID-19 ausgelöste Gesundheitskrise verstärkt aktuell vielerorts eine im Tourismus geradezu omnipräsente Personalkrise. Manche Dienstnehmer haben sich in der Phase von Verkehrsbeschränkungen und Betretungsverboten beruflich neu orientiert, manche Dienstgeber versuchen strukturimmanente Nachteile der Tourismus- und Freizeitwirtschaft wie die Arbeit am Wochenende oder in der Nacht z.B. über eine Vier-Tage-Woche oder betriebliche Kinderbetreuung abzumildern.

In allen EU-Mitgliedstaaten gilt auf Grundlage einer nach den Balkankriegen geschaffenen „Schutzrichtlinie“ mindestens bis 4. März 2023 und für bis zu weitere zwei Jahre vorübergehender Schutz für Menschen, die wegen des Krieges aus der Ukraine geflohen sind; ein langwieriges Asylverfahren ist nicht erforderlich. Damit sind nicht nur Aufenthaltsrechte, sondern auch der Zugang zum Arbeitsmarkt „entsprechend der nationalen Arbeitsmarktpolitik“ verbunden.

Aktuell enthält bereits eine dreistellige Zahl der dem AMS gemeldeten offenen Stellen in „alle jobs“ die freundliche Einladung: „Wir freuen uns über Bewerbungen von geflüchteten Menschen aus der Ukraine“. Die Herausforderung Menschen ohne Deutschkenntnisse, Mütter und ältere Menschen in den Arbeitsmarkt (sehr oft am Land und eben nicht in der Stadt) zu integrieren, ist dem Tourismus ohnehin wohlbekannt. Die besondere Situation und Traumatisierung der gerade vor dem Krieg geflüchteten Menschen erfordern jedoch sicherlich zusätzliches Fingerspitzengefühl, verlangen zusätzliche Anstrengungen.

Vielleicht gelingt es eher, geflüchtete Menschen nicht nur unterzubringen sondern auch in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wenn mehrere (Tourismus-)Betriebe am Standort zusammenarbeiten, sich neben Behörden und Sozialpartnern auch das Destinationsmanagement einbringt.

Energie- und Wirtschaftskrise

Risiko und Chance zugleich könnte für den heimischen Tourismus eine Energie- und Wirtschaftskrise sein. Erhöhte Kosten müssen von den Betrieben weitergegeben werden, manche der bisherigen Gäste werden sich den gewohnten Urlaub nicht (mehr) leisten können. Dann aber hoffentlich nicht gleich ganz verzichten müssen, sondern zur – gerade in Krisenzeiten unbedingt notwendigen – Erholung auf preisgünstigere Alternativen umschwenken.

Besonders energieintensive Tourismusformen – wie z.B. Langstreckenflüge – müssten massiv teurer werden. Vielleicht setzt sich so die bereits in der Pandemie entwickelnde Renaissance der nahen, gut erreichbaren und als sicher empfundenen Urlaubsziele aus wirtschaftlichen Gründen fort: gute Qualität und aber auch leistbar. Wenn Energie knapp (und teurer) wird, dann sollte dies zwar die klimapolitisch notwendige Transformation z.B. im Verkehr anschieben. Wenn aber auch Dünger knapp wird, dann bekommt die (im Hochpreis-Segment gerne zelebrierte) Versorgung durch regionale Lebensmittel plötzlich eine existentielle Bedeutung. Die touristische Destination im ländlichen Raum wird nicht nur als Lebensraum, sondern möglicherweise auch viel stärker als Ort der Produktion von heimischen Lebensmitteln geschätzt.

Für eine kleine, feine Zielgruppe könnte auch der Trend zu Zweitwohnsitz und/oder längeren Aufenthalten („Staycation“) in der bequem erreichbaren Peripherie anhalten. Zumal nicht absehbar ist, wann die Coronavirus-Pandemie endgültig bewältigt ist.

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