Touristen aus China – ein Zukunftsmodell?
Seit einigen Jahren sind die Chinesen Reiseweltmeister. Sie haben bei der Zahl der Auslandsreisen und den Reiseausgaben die US-Amerikaner überflügelt. So ist verständlich, dass auch Österreich nach Gästen aus China Ausschau hält und mit dem chinesischen Reisemarkt große Erwartungen verbindet.
Markt mit hohem Wachstumspotenzial
Aktuell unternehmen die Chinesen 135 Mio. Auslandreisen, für 2025 sind 200 Mio. prognostiziert. Primäre Ziele sind benachbarte Regionen sowie andere asiatische Länder und die USA. Rund 7 Mio. entscheiden sich für Europa, Tendenz stark steigend.
Nach jährlich zweistelligen Zuwachsraten verbuchte Österreich 2018 rund 1,4 Mio. Nächtigungen chinesischer Gäste, drei Viertel davon in den Bundesländern Wien (36 %), Tirol (27 %) und Salzburg (14 %). Chinesen kommen vor allem im Sommerhalbjahr und sie stellen 3 % der Ankünfte und 1 % der Nächtigungen ausländischer Gäste. Zudem sind viele Reisende nicht in der Tourismusstatistik erfasst, da sie zwar Sehenswürdigkeiten in Österreich besuchen, aber nicht hier nächtigen.
Möglichst viel in kurzer Zeit verliert an Charme
Touristen aus China sind meist in Reisegruppen unterwegs und wollen in kurzer Zeit möglichst viel sehen (z.B. 7 Länder in 7 Tagen). Das hat mehrere Konsequenzen: Sie reichen von der kurzen Aufenthaltsdauer über knappe Essenspausen und hektische Fußmärsche bis zur räumlichen Konzentration bei Sehenswürdigkeiten.
Allerdings scheint diese Reiseform an Reiz zu verlieren. Zum einen, weil viele, die sich Europarundreisen leisten können, schon hier waren, und zum anderen, weil mehr und mehr eine junge Generation mit einem differenzierteren Zugang zum Reisen auf den Plan tritt.
Hohe Reiseausgaben – zwei Seiten einer Medaille
Chinesische Touristen zählen zu den Gästen mit den höchsten Tagesausgaben, wozu vor allem die Individualreisenden beitragen. Die aus einer T-MONA Untersuchung hochgerechneten € 250,–(ohne An- und Abreise) sind realistisch – sie korrespondieren mit den sfr 350,– in der wesentlich teureren Schweiz.
Die Ausgabenstruktur zeigt allerdings ein differenziertes Bild. Reisegruppen sind bei der Unterkunft absolute Sparmeister, was u.a. darin zum Ausdruck kommt, dass in Österreich 40 % und in Tirol 75 % ihrer Nächtigungen auf 1-, 2- und 3-Stern-Betriebe entfallen. Bei den Mahlzeiten geht es weniger ums Tafeln als ums schnelle Essen, meist in einem chinesischen Restaurant. Das Geld wird primär beim Shopping ausgegeben, wobei Markenwaren im Premium- und Luxussegment erste Priorität besitzen.
Die ökonomischen Effekte von chinesischen Reisegruppen sind somit auf Sehenswürdigkeiten und eine kleine Zahl von Geschäften beschränkt. Breitenwirkung entsteht kaum – weder in räumlicher Hinsicht noch in Bezug auf Branchen. Mit der Zunahme der Individualreisenden zeichnet sich jedoch ein Wandel ab.
Trend zu unabhängigem Reisen
Die Angaben zum Anteil der individuell reisenden Chinesen sind nicht sehr präzise (25 % aufwärts). Sicher ist jedoch, dass die persönlich geplante Reise, in der neben dem Besuch der gängigen Highlights auch spezifische Interessen und Bedürfnisse ihren Platz finden, an Bedeutung gewinnen.
Individuell Reisende sind jünger, gut ausgebildet, einkommensstark und kompetent in der englischen Sprache. Es geht ihnen nicht darum, in kurzer Zeit möglichst viele Länder abzuspulen. Vielmehr wollen sie sich auf ein, zwei Destinationen konzentrieren und sich dort auch in regionale Besonderheiten vertiefen. Die Folge ist eine breitere Streuung des wirtschaftlichen Nutzens.
Österreich, Gegenwelt zu den chinesischen Mega-Cities
Was Reisegruppen aufgrund des Zeitstresses weitestgehend verwehrt bleibt, können Individualgäste in vollen Zügen genießen: Qualitäten, die für Menschen, die in riesigen Metropolen wohnen, besonders reizvoll sind. Dazu gehören neben dem imperialen Erbe Österreichs die dörflichen und kleinstädtischen Strukturen, die intakte Landschaft, die grünen Wiesen, die saubere Luft, die Ruhe und die Gemütlichkeit sowie die Mentalität der Menschen.
Chinesische Skiläufer – eher am fernen Horizont
Die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking nähren bei heimischen Touristikern die Hoffnung auf eine rasch wachsende Zahl an Skiläufern im Reich der Mitte. Diese Erwartung ist nicht unberechtigt, denn dank der Investitionen in Ski-Resorts in China wird eine Steigerung von derzeit 10 bis 20 Mio. auf 300 Mio. Skiläufer erwartet.
Die alpinen Skigebiete stehen dabei im Wettbewerb mit Skidestinationen in China selbst sowie mit rasch erreichbaren Resorts in Japan und Südkorea. Weitere Mitbewerber sind Winterdestinationen in Nordamerika, Australien und Neuseeland, wobei die Reise dorthin etwa gleich lang dauert wie in die Alpen. Angesichts der langen Anreise ist offen, inwieweit chinesische Gäste bei nur drei Wochen Jahresurlaub für eine Wintersportwoche in den Alpen zu gewinnen sind.
Weniger räumliche Konzentration, breiterer wirtschaftlicher Nutzen
Die räumliche Konzentration der Gäste, insbesondere jene der zahlreichen Reisegruppen, wurde bereits angesprochen. Diesen Konzentrationstendenzen gilt es aus ökonomischen Gründen und im Hinblick auf die soziale Belastbarkeit der Bevölkerung vor Ort entgegenzuwirken. Ansätze dafür bieten Lenkungs-, Begrenzung- und Preisgestaltungsmaßnahmen. Zielführend ist es auf jeden Fall, bereits erkennbare Trends zu nutzen und die chinesischen Individualgäste gegenüber den Reisegruppen zu forcieren. Dank ihrer weiter gespannten und auch anders gelagerten Interessen sollte sich dann der eine oder andere Knoten ein gutes Stück weit selbst lösen.
Kein Tabu: Soziale Belastung und ökologischer Fußabdruck
Ohne die Overtourism-Diskussion zu bemühen sei doch festgehalten, dass Effekte, die mit dem massiven Auftreten chinesischer Reisgruppen verbundene sind, zumindest von Teilen der lokalen Bevölkerung als negativ empfunden werden. Soziale Belastbarkeit und Verständnis gegenüber dem Tourismus werden auf die Probe gestellt. Größere Diskussionen dazu sind bei uns eher noch die Ausnahme (z.B. Hallstatt). In der Innerschweiz hingegen hat die punktuell durchaus prekäre Situation dazu geführt, dass Touristiker gemeinsam mit der Fachhochschule Luzern nach geeigneten Lösungen suchen.
Mit Blick auf die Klimawandelfolgen ist zu bedenken, dass Fernreisen einen massiven ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Es ist daher abzuklären, in welcher Intensität die Bewerbung von Fernmärkten vertretbar ist. Dieser Aspekt ist auch im Hinblick auf die Ambitionen, chinesische Touristen als Wintersportler für österreichischen Skigebiete zu gewinnen, von Belang.
Touristen aus China – Zukunftsmodell ja oder nein?
Bei den vielen Millionen Menschen, die in chinesischen Großstädten leben und angesichts der rasch wachsenden Zahl der Auslandreisen wird man am chinesischen Markt weder vorbeigehen können noch vorbeigehen wollen. Wenn es gelingt, die damit verbundenen Entwicklungen in den Zieldestinationen in die richtige Richtung zu lenken, kann die touristische Nachfrage aus China durchaus in ein Zukunftsmodell für unseren Tourismus gegossen werden. Aus meiner Sicht wären dabei jedenfalls folgende Aspekte zu beachten:
- Individualreisen: Konsequente Stärkung des Individualtourismus und Zurückdrängen der Reisegruppen.
- Packages: Touristische Angebote, die den Individualreisenden aus China gerecht werden und bei deren Gestaltung auf die berechtigten Bedürfnisse der Destinationsbevölkerung geachtet wird.
- Aufenthaltsdauer: Spürbare Verlängerung der Aufenthaltsdauer (derzeit Österreich 1,4 und Tirol 1,1 Tage).
- Lenkung: Lenkungsmaßnahmen zur räumlichen Entzerrung der Besucherströme und breiteren Streuung des ökonomischen Nutzens.
- Regionalität: Hinführen der chinesischen Gäste zu den regionalen Besonderheiten und Gepflogenheiten, auch in der Kulinarik.
- Nahmärkte: Keinerlei Vernachlässigung des soliden Fundaments der Nahmärkte und weiterer etablierter Märkte zugunsten der Gäste aus China.
- Preise: Ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit implizieren, dass die heimischen Unternehmen das Heft in der Hand behalten. Voraussetzung dafür sind Preise für touristische Leistungen, die langfristig positive Betriebsergebnisse gewährleisten.
- Gesellschaft und Umwelt: Orientierung des Umfangs und der Qualität der Nachfrage an der sozialen Verträglichkeit der Zielregionen sowie an dem über die Zieldestination hinaus wirkenden ökologischen Fußabdruck von Fernreisen.
Zu diesem hochinteressanten Beitrag von Peter noch ein paar Links, weil es bereits den einen oder anderen Gedanken zum Thema im TP-Blog gab:
https://www.tp-blog.at/destinationen/china-und-indien-chancen-fuer-den-laendlichen-raum
https://www.tp-blog.at/unternehmen/china-millionen-fuer-den-skilauf
https://www.tp-blog.at/allgemeines/buchtipp-chinesische-touristen-im-ausland
https://www.tp-blog.at/allgemeines/atb_experience-so-what
https://www.tp-blog.at/destinationen/wandel-in-der-wintersaison
https://www.tp-blog.at/allgemeines/die-chinesen-kommen
https://www.tp-blog.at/allgemeines/chinese-plan-conquer-hotel-industry-worldwide
Herzlichen Dank an Jürg Stettler von der Fachhochschule Luzern für seine Rückmeldung zum Blog-Beitrag mit einigen Blitzlichtern aus dem Forschungsprojekt „Chinesische Individualreisende: Chancen und Potenziale für die Zentralschweiz“. Seine Hinweise bilden einen wertvollen Diskussionsbeitrag und sie tragen zur Präzisierung und Differenzierung einiger meiner Aussagen bei.
Reiseverhalten: Sehr viele chinesische Individualreisende unterscheiden sich in ihrem Verhalten nicht wesentlich von den Gruppentouristen. Einer der wenigen Unterschiede liegt darin, dass sie etwas länger bleiben, sofern sie nicht das erste Mal auf Europareise sind und dabei die Schweiz / Zentralschweiz besuchen. Dieses ähnliche Verhalten von Individualreisenden, die im Zuge ihrer Europareise erstmals in der Schweiz sind, basiert auf folgenden Motiven:
– Sightseeing: Besuch von Top-Attraktionen der Schweiz, die in China bekannt sind (Bucket List der Top 10 Sehenswürdigkeiten).
– Bergeerlebnis: Ziel ist es, einmal Schnee zu sehen und Schnee zu spüren, idealerweise an einem bekannten Standort.
– Shopping: In der Zentralschweiz bedeutet das in erster Linie Uhren kaufen. Chinesische Touristen kaufen teure Produkte, vergleichen aber auch bei diesen intensiv die Preise. Sie wollen sicher gehen, dass sie den günstigsten Preis erzielen (was Teil ihrer Kultur ist). Preis und Preispolitik sind somit von hoher Bedeutung.
Buchung und Besucherlenkung: Chinesische Individualtouristen buchen kaum oder überhaupt keine Packages. Auch lassen sie sich nur bedingt über das Angebot lenken.
Lenkung von Reisegruppen: Parkgebühren für Reisebusse bilden ein vergleichsweise einfaches Instrument zur Lenkung von Gruppentouristen. (Übrigens ein Ansatz, der auch in der Overtourism-Diskussion beim ÖHV-Kongress 2019 genannt und als Teil eines Maßnahmenbündels zur Besucherlenkung und Erhöhung der Wertschöpfung wurde.)
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