Werbung oder innovatives Produkt?
Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, das Hexenwasser in der Region Wilder Kaiser zu besuchen und im Gespräch mit den Initiatoren auf die Anfänge dieser Erlebniswelt zurückzublicken und den Werdegang zu reflektieren. Dabei habe ich mich an die Aussage einer weit über Tirol hinaus agierenden Werbeagentur erinnert, die, als vor Jahren die ersten Erfolge sichtbar geworden sind, sinngemäß bemerkt hatte „Wenn sich die werblich nicht mehr anstrengen, werden sie die neu in den Markt eintretenden Mitbewerber schon bald das Fürchten lehren!“
Inzwischen sind mehrere Jahre ins Land gezogen, die Zahl der zur Arbeitsgruppe österreichischer Sommerbahnen zählenden Unternehmen ist von 8 auf 40 angewachsen und die Region um den Wilden Kaiser ist heute jener Raum, der mit Sommerinszenierungen von Bergbahnen wohl am dichtesten besetzt ist. Ungeachtet dessen konnte das Hexenwasser seine Besucherzahlen kontinuierlich steigern und auf dem hohen Niveau von rund 200.000 Sommerbergfahrten stabilisieren. Und das alles ohne besondere zusätzliche Werbeanstrengungen!
Wie war das möglich? Das Hexenwasser ist der klassische Fall einer Produktinnovation im Tourismus. Dafür sprechen u.a. zwei Beobachtungen: Name und Einrichtung sind weitum bekannt und der Begriff Hexenwasser wird häufig als Synonym für Sommererlebniswelten in den Bergen verwendet. Zudem kommen nach wie vor Seilbahner und Touristiker aus dem Alpenraum und von außerhalb der Alpen hierher, um das Hexenwasser zu studieren und mitunter auch zu imitieren.
Das Hexenwasser beruht auf einer Idee, die nach längerer Suche nach einem geeigneten Sommerangebot im Bergbahnunternehmen selbst geboren wurde und es verfügt über einen authentischen Namen, der in Form einer Sage am Ort des Geschehens verankert ist. Auf der Grundlage regelmäßiger Evaluierungen wird es in einem kreativen Klima mit konstruktiver Fehlerkultur ständig weiterentwickelt. Die Fülle an eigenen Ideen wird in Zusammenarbeit mit einem Inszenierungsexperten kritisch reflektiert und mit Inputs von außen angereichert. Zugegeben: Die räumlichen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Erlebniswelt sind in Hochsöll geradezu ideal. Das gilt es aber auch zu erkennen und es gilt die Betriebe vor Ort für die Idee zu begeistern und sie zu eigenen Investitionen zu motivieren, Investitionen, die sich nahtlos in das Gesamtkonzept einfügen.
Die Innovation Hexenwasser ist somit nicht das Ergebnis des berühmten und vielfach inbrünstig herbeigesehnten großen Wurfs. Es ist vielmehr das Resultat zahlreicher kleiner Schritte, wobei am Anfang eine Idee stand, die unter Beachtung der Kundenbedürfnisse konsequent weiterverfolgt wurde und bei deren Umsetzung auch das Prinzip von Versuch und Irrtum zu seinem Recht kommen durfte.
Das ungebrochene Interesse der Besucher und der damit verbundene wirtschaftliche Erfolg geben den Initiatoren recht. Sicher war es von Vorteil, dass das Hexenwasser gleich in seinen ersten Jahren den Tirol Touristica und den Österreichischen Staatspreis gewinnen konnte: vorteilhaft für die Wirkung nach außen und für die Argumentation nach innen. Das ist nun aber schon einige Zeit her! Jetzt sind es die begeisterten Besucher, die dieses stimmige Produkt in alle Himmelsrichtungen kommunizieren und dafür sorgen, dass die Geschichte auch ohne die damals dringend empfohlenen Werbemaßnahmen zur Erfolgsstory geworden ist.
Danke Peter für Deine Ausführungen zum Hexenwasser! Ich bin auch völlig überzeugt, dass wir im Tourismus mehr Aufmerksamkeit und Kreativität bei der Angebotsgestaltung und bei den Produktinnovationen benötigen (wobei mir schon klar ist, dass wir nicht jeden Tag den Tourismus und die Region neu erfinden können). Damit wird ja in der Folge auch die Vermarktung im Sinne von Werbung, PR, etc. einfacher. Nach meiner Erfahrung reagieren die bestehenden und neuen Kunden auf neue Angebote und Problemlösungen interessiert und dankbar, während ihnen andere Angebote oft mit viel Geld – salopp gesprochen – „hineingedrückt“ werden müssen. Die Innovation muß jedoch am Ort der Leistungserbringung (wie am Beispiel Hexenwasser durch die Bergbahnen und die örtlichen Anbieter und Grundstücksbesitzer) entstehen. Als Tourismusorganisation können wir „nur“ als Impulsgeber, als Motivator fungieren und auf unserer jeweiligen Ebene Vermarktungsunterstützung bieten. Interessant erscheint mir auch die teilweise sehr unterschiedliche Genesis erfolgreicher touristischer Innovationen: manche, wie zB das Hexenwasser, sind als Idee, vermutlich als Antwort auf die „Sommer-Herauforderung“ der Bergbahnen, in der Region entstanden und werden kontinuierlich weiter entwickelt. Andere erfolgreiche Neuerungen, wie zB der Baumkronenweg in Kopfing/OÖ, wurden als visionäre Idee eines mutigen Unternehmers (wie im konkreten Fall sogar gegen die Empfehlung von Beratern) realisiert, aus meiner Sicht praktisch eine Art von „höherer Gewalt“ im positiven Sinn, für die Region eine Form von „windfall profit“, entstanden ohne – zunächst – wesentliches eigenes Zutun.
Vor allem im Sommer muss allen Leistungsträgern in den alpinen Destinationen klar sein, dass nur in einer gemeinsamen Anstrengung wettbewerbsfähige und tragfähige Tourismusangebote entstehen können. Die gewaltige Entwicklungsleistung, die die Bergbahnen hier nunmehr auch im Sommer erbringen, verdient Respekt! Doch wird diese Entwicklungsleistung allein niemals jenen enormen Tourismusimpuls auslösen, wie wir ihn von der Wintersaison kennen. Die Last der Produktinnovation und Produktentwicklung kann und darf im Sommer nicht alleine auf den Schultern der Bergbahnen liegen.
Die Innovationen im Sommer sind von wesentlicher Bedeutung, weil das Image des Bergsommers – vor allem um Authentisches – bereichtert werden muss. Auffällig ist, dass es kaum gelingt, den Badesommer in Österreichs Seen mit neuem Glanz zu versehen. Das zeigt sich auch bei einer Umfrage von Tiscover, wo der Gardasee an erster Stelle genannt wird, wenn es um Seeurlaub in den Alpen geht. Gerade der Gardasee steht mehr als viele andere Seen für Erlebnisse jenseits des simplen Badens. Jahrelang war der Gardasee das Mekka der Surfer und wurde später zum unangefochtenen Zentrum des europäischen Mountainbike-Sports. Die naturräumlichen Voraussetzungen des Wörthersees (gute Erreichbarkeit, Lage südlich des Alpenhauptkamms, ausreichend touristische Kapazitäten, Berge, Wegenetz und Trails aller Schwierigkeitsgrade) sind durchaus vergleichbar – aber genutzt wurden sie nicht. Die Kärntner Politik hat sich stattdessen lieber dem Ortstafelverrücken hingegeben.
Irgendwie kommt mir die Diskussion um Innovationen im Tourismus vor wie das Staunen unter dem Weihnachtsbaum. Warum soll der Tourismus keine ständigen Innovationen benötigen? Die Industrie braucht seit vielen Jahrzehnten ständig Innovationen um zu überleben und beschäftigt sich sehr professionell und wissenschaftlich mit dem Thema Product Design. Nur die Tourismusindustrie glaubt noch immer en Masse, die Landschaft genügt, um das Konsumentenherz zu befriedigen. Man muss nur die Literatur der Tourismusforschung ansehen, da kommt Innovation und Produktgestaltung nicht sehr oft vor.
Kommentieren