Braucht es einen Führerschein für den Tourenskilauf?
Wir leben in einer Zeit, in der es immer mehr Regularien gibt, die die Sicherheit des Einzelnen aber auch der Gesellschaft zu schützen versucht. Ein weiteres Phänomen unserer Zeit ist, dass Vorschriften den Hausverstand ersetzen. Für den TP-Blog hat MMag. Norbert K. Faix, Bakk., Lehrender an der FH JOANNEUM den nachstehenden Beitrag verfasst:
Der alpine Tourenskilauf ist eine Sportart, für deren Ausübung einiges an Wissen benötigt wird. Es gilt nicht nur das sturzfreie und sichere Skifahren bei unterschiedlichsten Schneeverhältnissen zu beherrschen, sondern es werden auch Kenntnisse über Lawinen, Wetter, Routenplanung, Orientierung im weglosen Gelände, Ausrüstung und Rettungsmaßnahmen nach einem Lawinenabgang oder nach einem Unfall benötigt.
Braucht es daher eine formale Ausbildung, die alle diese Inhalte dem Tourenskiläufer vermittelt und eine staatliche Prüfung, die bestätigt, dass diese Kenntnisse und Fertigkeiten vorliegen? Soll der Tourenskilauf ohne eine solche Berechtigung verboten werden?
Alpintourismus bedarf eines hohen Maßes an Eigenverantwortung.
Diese kann nicht durch eine formale Ausbildung ersetzt werden. Kenntnisse können nicht mit Verantwortung gleichgesetzt werden, denn auch ein Experte kann unverantwortlich handeln und er tut es häufiger als der Unerfahrene, der weiß, dass er nichts weiß. Nicht zuletzt deshalb sind erfahrene Tourenskiläufer häufiger von einem Unfall betroffen als unerfahrene. Das zeigen zahlreiche Studien.
Wissen ist ein notwendige, aber keine hinreichende Bedingung um Gefahren für sich und andere zu vermeiden. Entscheidend ist nicht, was und wie viel man weiß, sondern wie man mit dem Verfügbaren umgeht und dazu gehören nicht nur Wissen und Kognition, sondern auch körperliche und mentale Fähigkeiten. Es geht um das Erkennen von Grenzen, die individuell sind. Die eigenen Grenzen kennen zu lernen braucht Freiheit, und diese ist Voraussetzung zur Selbsterfahrung.
Mehr Sicherheit durch Erfahrung?
An dieser Stelle der Argumentation angelangt, tritt ein Paradoxon zutage: der erfahrene Tourenskiläufer, der seine Grenzen auslotet, ist auch der besonders gefährdete. Gleichzeitig schafft das Ausloten der Grenzen die Basis für ein Agieren am Berg, das diese Grenzen kennt und respektiert. Vielleicht braucht es eine Zeit im Leben, in der man individuelle Grenzen auslotet und eine Zeit im Leben, in der man, wohl wissend um diese Grenzen, diesen mit einem Sicherheitsabstand begegnet. Die erste Zeit gehört der Jugend und die zweite Zeit dem Alter.
Wer aber meint, diese komplexen Lernprozesse durch einen einmaligen, simplen Unterricht mit darauffolgender Wissensabfrage ersetzen zu können, hat noch nicht zu Ende gedacht.
Über den Autor dieses Beitrags
Norbert Karl Faix, selbst begeisterter Alpinist und Naturliebhaber, ist Betriebswirt und Wirtschaftspädagoge. Er unterrichtet Themen wie Allgemeine BWL, Finanzbuchhaltung und Controlling am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg. Hier fungiert er auch als Koordinator der Praktikumsagenden der Studierenden am Institut und ist aktives Mitglied im Kollegium der FH JOANNEUM. Im Rahmen des „Global Business Program“ am Institut für International Management der FH JOANNEUM Graz lehrt Norbert Faix Controlling in englischer Sprache. Überdies lehrt er General Management am Universitätslehrgang für Führungskräfte im Gesundheitssystem der Medizinischen Universität Graz.
Hausverstand statt Führerschein!
Anscheinend muss in unserer Gesellschaft nahezu alles reguliert werden, da sowohl Hausverstand als auch Eigenverantwortung laufend abnehmen? Von der Unart, über Pisten in nebeneinander gereihten Gruppen aufzusteigen, den Hund über die Piste laufen zu lassen und dadurch sogar auf an sich gesicherten Pisten für Gefahr und Ärger, anstatt für die gesuchte Erholung, sorgen.
Die Vollkaskomentalität vieler Bergsportler sorgt auch für wiederholte Selbstüberschätzung, sprich das Bewusstsein, im Notfall ja ohnehin auf Bergretter und Hubschrauber, oder auf den Airbag-Rucksack zurückgreifen zu können, steigert Leichtsinn und riskiert sogar das Leben anderer.
Eine staatliche Prüfung würde den Rahmen wohl sprengen, bei entsprechender Vorsorge und praktiziertem Hausverstand ließen sich viele Gefahren und Risiken sehr leicht minimieren….
Einen Führerschein für den Tourenskilauf braucht es keinen, da stimme ich Norbert Karl Faix, dem Autor des Beitrags, voll und ganz zu – so wie auch in den anderen von ihm angesprochenen Punkten.
Menschen, die sich ins freie Gelände auf Skitour begeben, sollten sich aber bewusst sein, dass körperliche Fitness, sportliches Können, Wissen, Erfahrung und eine gehörige Portion Eigenverantwortung zentrale Faktoren für ihre persönliche Sicherheit sowie für die Sicherheit anderer sind, etwa der Rettungsdienste.
Das notwendige Wissen kann relativ rasch erworben werden, die Erfahrung wächst Schritt für Schritt mit der zunehmenden Zahl an Skitouren, insbesondere solchen, bei denen man sich an seine persönlichen Grenzen wagt. Eigenverantwortung ist wohl in hohem Maße Charaktersache bzw. eine Frage der persönlichen Einstellung, doch auch diese kann wachsen.
Da Skitouren inzwischen ja zu einem touristischen und somit wirtschaftlichen Faktor geworden sind, haben Tourismusorganisationen und auch Betriebe Skitourenlehrpfade installiert, die sich ideal für das Learning by doing eignen. Zu den Beispielen zählen Einrichtungen in Dienten und Mühlbach am Hochkönig, am Falkert in Kärnten oder in Praxmar im Wirkungsbereich von Innsbruck Tourismus.
Wertvolle Ausbildungen bieten die alpinen Vereine, insbesondere die größeren Sektionen des Österreichischen Alpenvereins oder der Naturfreunde. Hier kann geradezu modulartig ein umfassendes Wissen für das Verhalten am Berg erworben und dank des Tourenprogramms gleich die notwendige Erfahrung gesammelt werden. Aber auch Skitourenwochen, die Tourismusorganisationen, Bergführerbüros oder Tourismusbetriebe offerieren, liefern theoretisches Wissen und bieten die Möglichkeit, dieses in praktisches Handeln umzusetzen.
Angesichts der weiterhin rasch zunehmende Zahl an Skitourengeherinnen und Skitourengeher (500.000 Skitourengeher und 53.000 Paar verkaufte Tourenski im Winter 2016/17 allein in Österreich) ist es von immenser Bedeutung, darauf hinzuweisen, dass es im persönlichen Interesse, aber auch aus Verantwortung gegenüber Dritten unerlässlich ist, sich intensiv mit allem zu befassen, was der Sicherheit bei Skitouren im freien Gelände dient. Dazu können auch die alpinen Destinationen dank ihrer Expertise und Kommunikationskompetenz einen wertvollen Beitrag leisten.
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