Betten begrenzen?
In Südtirol wird in HGV-Kreisen derzeit die Einführung einer (relativ rigorosen) Bettenobergrenze von 80 Zimmern diskutiert. Dies mit dem Argument, dass Großprojekte – vor allem im Rahmen internationaler Ketten – den Wettbewerb in einer großteils kleinteilig strukturierten und familiär geführten Beherbergungsszenerie verzerren würden. In Österreich, wo die Länder dieses Thema im Zuge ihrer Raumordnungsgesetze zu regeln versuchen, sind die Ansätze zu dieser Frage unterschiedlich, wie ein Blick in das Tiroler Raumordnungsgesetz (§ 48) oder das Salzburger Raumordnungsgesetz (§ 33) zeigt. In der Schweiz hingegen sieht man es etwas liberaler. Hier sind führende Tourismusexperten sogar der Ansicht, dass ohne Großprojekte kein touristischer Fortschritt möglich sei. Beim heurigen ÖHV-Hotelierkongress treffen die führenden Köpfe der Hotelverbände des deutschsprachigen Raumes zum Tourismus-Talk zusammen. Ein Anlass, bei dem tourismuspolitische Grundsatzfragen wie diese durchaus diskutiert werden könnten.
Auf Einladung des HGV habe ich am 27. Oktober zu diesem Thema in einem Referat „Neue Resorthotels und ihre Auswirkungen“ im Kloster Neustift Stellung bezogen. Ein heikles und schwieriges Thema, das man unbedingt aus der speziellen Situation in Südtirol betrachten muß. Lenkungsmaßnahmen im Tourismus sind ja grundsätzlich sinnvoll und wichtig – und Südtirol hat dazu ja gute Erfahrungen gemacht.
Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt:
1. Fressen die Großen (Investoren-Betreiber-Modelle) die Kleinen (Familienbetriebe)?
2. Von welchen Betrieben gehen in Zukunft die für die Destination wichtigen Entwicklungsimpulse aus?
Dazu einige Gedanken für die Diskussion:
– Investoren/Betreiber-Modelle drängen verstärkt in den Ferientourismus und brauchen eine Mindestgrösse von 100 Zimmern.
– Viele Orte und Destinationen im Alpenraum suchen nach professionellen Hotelbetreibern für neue Leitbetriebe, da von den ansässigen Familienbetrieben zu wenig Impulse ausgehen.
– Einem Grundsatz für die Leitbetriebsfunktion, nämlich der Preisführerschaft, werden viele Großhotels nicht gerecht.
– Eine Kannibalisierung erfolgt nicht nur durch Großhotels sondern auch durch immer mehr gleichartige Kleine.
– Eine harmonische Destinationsentwicklung braucht einen Hotel-Masterplan (Kohl & Partner hat schon einige erstellt)
Letztlich für Südtirol: Sind 80 Zimmer wirklich die „optimale“ Betriebsgröße für familiengeführte Betriebe?
Ich kann da einige Punkte von Manfred Kohl fett unterstreichen – v.a. die Betrachtung der individuellen Situation der jeweiligen Destination. Wir in Bad Kleinkirchheim haben einerseits Familien(Leit-)Betriebe a la Ronacher, Pulverer, Hinteregger im Segment 4- & 5-Sterne, jedoch ein großes Loch im Bereich Qualitätsbetten im 3-Stern-Segment, das es zu schließen gilt. Das Konzept „AQUI-Hotel“ der TUI wäre meines Erachtens für einen infrastrukturstarken Ort wie Bad Kleinkirchheim passend, da wir Skigebiet und öffentliche Thermen auslasten müssen.
Gleichzeitig verlieren wir in den nächsten Jahren, d.h. bis 2015 knapp über 1.000 Betten (von derzeit gesamt 6.000 Betten im Ort) aus dem Segment FEWO-Privat („Gesundschrumpfung“). Hier kann meines Erachtens nur ein „externer Entwicklungsimpuls“ a la Investoren-Beitreiber-Modell Wirkung zeigen. Die Last auf die (neben den Leitbetrieben) kleinstrukturierten Familienbetriebe zu legen, wird nicht zielführend sein.
Beide Kommentare sind von ausgewiesenen Tourismusexperten des Landes verfasst und haben aus regionaler Sicht durchaus ihre fachliche Richtigkeit. Nur meinen sie im jeweiligen konkreten Ansatz nach meiner Interpretation eigentlich das Gegenteil. Mehrere, fett zu unterstreichende Gemeinsamkeiten kann ich da zunächst eigentlich nicht herauslesen: Mit der Ausnahme, dass ein Hotelmasterplan für eine Region selbstverständlich von Vorteil ist. In den Grundsätzen dafür unterscheiden sich die beiden Kommentare aber wesentlich, oder? Falls ich etwas missverstanden habe, bitte ich konstruktiv um Aufklärung.
Die aktuelle Diskussion in Südtirol ist relevant für den gesamten Alpentourismus. Denn die eklatanten Unterschiede zwischen traditionellen familiengeführten Strukturen und externen Betreibermodellen führen zu höchst kontroversen Diskussionen in Ländern, Regionen und Gemeinden, wobei Südtirol und die Schweiz sicher zwei Extrempole darstellen.
„Leitbetriebfunktion“ und „Wirtschaftlichkeit“ sind in diesem Zusammenhang gebräuchliche Schlagworte. Fakt ist, dass Investoren-/ Betreibermodelle die Mindestgröße von 100 Zimmern einfach benötigen. Auch zahllose familiengeführte Hotels (mit teurer Wellnessinfrastruktur zum Beispiel) würden heute nach Möglichkeit in dieser Größenordnung bauen.
Die Leitbetriebsfunktion ist aber nicht unbedingt eine Frage der Größe, sondern vielmehr eine Frage des Betriebskonzepts. Es gibt Beispiele, wo Investoren-/ Betreibermodelle tatsächlich eine Leitbetriebsfunktion übernehmen, jedoch auch Fälle, in denen Resort-Inseln zwar etwas Außenwirkung aufweisen, aber absolut keine Innen- und Vorbildwirkung besitzen.
Ich plädiere daher stets für eine individuelle Betrachtungsweise, angepasst an die spezifischen Gegebenheiten einer Region. Die Frage lautet: Was leistet das Projekt für den Tourismus in der Region? Eine solide Prüfung des Betriebskonzepts einschließlich der Finanzierung muss bei jedem Projekt stattfinden. Hilfreich für Gemeinden und Destinationen können auch gut durchdachte Checklisten sein, wie sie die Haimayer Projektbegleitung u.a. auch in Südtirol einsetzt.
Die Frage einer Betten- bzw. Zimmerobergrenze ist wirklich eine Frage des Maßes. Natürlich können wir nicht überall im Alpenraum 400-Zimmer-Resorts oder noch größere Komplexe brauchen, 80 Zimmer pro Betrieb sind aber zweifellos zu knapp bemessen.
@Peter Zellmann:
Sie haben Recht – ich hab eigentlich in meinem ersten Posting nur zwei-drei Punkte/Ideen von Manfred Kohl kommentiert, die ich aber immer noch fett unterstreichen möchte
– Viele Orte und Destinationen im Alpenraum suchen nach professionellen Hotelbetreibern für neue Leitbetriebe, da von den ansässigen Familienbetrieben zu wenig Impulse ausgehen.
– Eine harmonische Destinationsentwicklung braucht einen Hotel-Masterplan (Kohl & Partner hat schon einige erstellt)
– Von welchen Betrieben gehen in Zukunft die für die Destination wichtigen Entwicklungsimpulse aus?
Den letzten Punkt (Entwicklungsimpulse) sehe ich in unserem konkreten Fall (Destination Bad Kleinkirchheim) für das Qualitätssegement 3-Stern-Hotel. Hier könnten m.E. wichtige Entwicklungsimpulse entstehen, die von den heimischen Familien (in diesem Segment!) nicht zu erwarten sind, da ihr „Name“ meistens mit 4- & 5-Stern-Tradition verbunden ist und die Bereitschaft für 3-Stern derzeit „emotional“ (noch) als Downgrading negativ besetzt ist. Beim anderen Teil der „Familienbetriebe“ (Kleinbetriebe) fehlt die Investitionskraft für ein Upgrading bzw. den Um-/Aus-/Neubau. Deshalb auch mein Beispiel der AQUI-Hotels (oder ähnliche Konzepte), die uns dann frischen „Bettenwind“ von aussen bringen könnten und bei attraktiven Produktkombinationen (v.a. mit unseren öffentlichen Thermen) die bestehende Struktur der Destination gut ergänzen würden.
@Peter Haimayer:
Zu Ihrem Kommentar: „Auch zahllose familiengeführte Hotels (mit teurer Wellnessinfrastruktur zum Beispiel) würden heute nach Möglichkeit in dieser Größenordnung (100 Zimmer) bauen.“ …Bzw. haben sich aus diesem Grund über Jahrzehnte dahin entwickelt – Pulverer 100 Zimmer, Ronacher etwas darunter, dafür viele Suiten, da sie teure Wellnessinfrastruktur aufgebaut haben.
Auch hier „Die Leitbetriebsfunktion ist aber nicht unbedingt eine Frage der Größe, sondern vielmehr eine Frage des Betriebskonzepts“ stimme ich voll zu – es darf nicht der Eindruck entstehen, dass nur Hotelburgen mit >100 Zimmer Leitbetriebsfunktion übernehmen können. Wir arbeiten in diesem Zusammenhang seit ein paar Jahren an dem Projekt „Nockberge Zirben Zimmer“ – http://www.badkleinkirchheim.at/de-zirbenzimmer-nockberge.shtml – einer Initiative, die sich auch in der Fördermittelvergabe an Betriebe mit max. 40 Betten richtet.
@stefan heinisch:
Da bin ich ganz bei Ihnen, und zwar was Gemeinsamkeiten und manchmal notwendige Unterscheidungen (Präzisierungen) betrifft.
Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass letzendlich der Gast maßgeblich über den Erfolg und Misserfolg eines Hotels entscheidet. Unternehmern, Beratern und Projektinitiatoren kann man nur empfehlen sich rechtzeitig mit den Bedürfnissen der Gäste auseinanderzusetzen und gleichzeitig ein Hotel – unabhängig von Betriebsgröße – als einen Bestandteil einer gesamten Destination mit der dazugehörigen Positionierung und Angebotspalette zu betrachten.
Die Kunst besteht wohl darin die bestehenden Potentiale optimal auszunutzen und gleichzeitig mit innovativen Gedanken neue Wege zu bestreiten, um mit einem kreativen Schub einerseits die Wirtschaftlichkeit des eigenen Betriebes zu gewährleisten und andererseits auch einen positiven Beitrag zur Gesamtentwicklung der Destination bzw. Region zu leisten.
Zur konkreten Situation in Südtirol muss festgehalten werden, dass die geforderte Bettenobergrenze im Rahmen der Ausweisung neuer touristischer Zonen diskutiert wird und in erster Linie aus der Angst vor externen Hotelgruppen geschürt wird.Fakt ist aber, dass die neuen Tourismusleitbildentwicklungen vor allen darauf abzielen neue Betten vorrangig für bestehende Betriebe zu vergeben. Somit erhält jeder Familienbetrieb die Möglichkeit Bettenkapazitäten sowohl qualitativ als auch quantitativ zu erweitern und neue Betten zu schaffen.
Aus Sicht von Michaeler & Partner als ein Unternehmen mit Südtiroler Wurzeln und mit klarer Fokussierung auf die Entwicklung und Optimierung von Hotelprojekten, müssen sich Hoteliers in Südtirol den eigenen Stärken bewusst werden und nicht über Limitierung von Zimmerkapazitäten zu diskutieren, die man sich in den letzten 15 Jahren lauthals immer gewünscht hat.
Eine Weiterentwicklung, die den Erwartungen einer jungen Generation an fähigen und gut ausgebildeten Junghoteliers gerecht wird. Es wäre eine reine Ressourcenverschwendung diese Experten nicht jene Rahmenbedingungen (insb. Betriebsgröße) zu bieten, die für die Führung eines betriebswirtschaftlich erfolgreichen Betriebes notwendig sind. Wenn auch die Größe eines Betriebes nicht ein Garant für den Erfolg ist! Im Moment, scheint es, macht man sich mehr Gedanken über potentielle internationale Betreiber anstatt selbst nachzudenken, wie man das gewonnene jetzt nutzt und wirtschaftlich ausnutzt.
Vergleicht man die seelenlosen Wintersportgebiete Frankreichs mit dem heimischen Angebot, kann man nur hoffen, dass uns Investoren/Betreiber-Modelle bzw. große Hotelmaschinen erspart bleiben und der familiengeführte Hotelbetrieb sich auch in Zukunft halten kann. Am Beispiel des durch eine verfehlte Raumordnungspolitik ausgelösten Greißlersterbens, das die Ortskerne verwaist hat und die Lebensgrundlage vieler Nahversorger zerstört hat, wird deutlich was ungezügelte Entwicklung verursachen kann.
Mein Vorschlag geht in die Richtung Hotelprojekte mit großen Einheiten dort zuzulassen, wo es sonst keine touristische Entwicklung gäbe – etwa bei der Entstehung neuer Destinationen (z. B. Thermenstandorte im Burgenland. Dort jedoch, wo es bereits eine gut entwickelte Hotellerie gibt und ein breites Angebot an Individualhotellerie vorliegt, die über ausreichend Finanzkraft verfügt, um die Weiterentwicklung zu schaffen, ist die Zulassung von Unternehmen, die mit ihren großen Einheiten den Martk beunruhigen werden eher fraglich.
@Franz Hartl:
Und genau das fehlt bei uns: Das breite Angebot an familiengeführter Individualhotellerie mit ausreichend Finanzkraft!
„Dort jedoch, wo es bereits eine gut entwickelte Hotellerie gibt und ein breites Angebot an Individualhotellerie vorliegt, die über ausreichend Finanzkraft verfügt, um die Weiterentwicklung zu schaffen, ist die Zulassung von Unternehmen, die mit ihren großen Einheiten den Martk beunruhigen werden eher fraglich.“
Fazit der Diskussion: Nur ein auf die jeweilige Destination ausgerichtetes, individuelles Hotel- bzw. Bettenentwicklungskonzept ist zielführend.
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