Fünfter offener Brief zur Tourismusstrategie
Die TouristikerInnen, die in den Organisationen ‚an der Front´ stehen, sind auf mehreren Ebenen gefordert: in der strategischen Markenentwicklung, im branchenübergreifenden Projektmanagement, bei den Infrastrukturen, im Qualitätsmanagement, im Aufbau und in der Pflege von Netzwerken, im Controlling. Sie sollten koordinieren, positionieren, evaluieren und motivieren, sie sollten Visionen entwickeln, Strategien ausarbeiten und umsetzen. Aber eigentlich sollten sie vor allem eines – verkaufen, verkaufen, verkaufen. Auf lokaler Ebene. Auf regionaler Ebene. Auf Landes- und auf Bundesebene. Gerade jetzt!Professionelles Arbeiten verlangt professionelle Ressourcen – finanziell, personell, vor allem aber auch strukturell. Während die Destinationen ihre Kräfte bündeln (müssen), um im Wettbewerb der Regionen bestehen zu können, ringt so manche Landestourismusorganisation um ihre Neupositionierung im `Bermudadreieck´ zwischen basisdemokratischer Interessensvertretung, Marketingagentur und politischer Vorfeldorganisation.
Die Strukturen der österreichischen Tourismusorganisationen müssen – nach außen wie nach innen – schlanker, flexibler und effizienter werden! In einem neuen `Gesamtsystem´ sind die Ebenen besser miteinander zu vernetzen. Dabei ist einem pragmatischen Kooperationsansatz in der Organisationsentwicklung der Vorzug zu geben. Es braucht künftig eine klare Aufgabenteilung zwischen den wichtigen Organisationen auf Regions-, Länder- und Bundesebenen. Dafür sind gemeinsam Steuerungsgrundlagen für das Gesamtsystem zu erarbeiten.
Unterschätzen wir eines nicht: eine effizientere Marktpflege durch professionelle Strukturen kann – vor allem kurzfristig – brach liegende Marktpotenziale erschließen!
Wenn wir die Österreichische Tourismusstrategie überarbeiten, sollten wir uns also Gedanken darüber machen,
…wie die Aufgabenverteilung zwischen Destinationen, Landestourismusorganisationen (inklusive Vorfeldorganisationen, vor allem im Bereich des Standortmarketing) und Österreich Werbung hinkünftig aussehen wird.
…welche Märkte von wem mit welchen Mitteln und welchen Partnern zu bearbeiten sind. Tabubrüche sollten dabei – zumindest in der Diskussion – erlaubt sein!
…wo wir neue Vertriebspartner, vor allem für das Ganzjahres-Alpen-Produkt finden.
…wo und wie wir unsere potenziellen Gäste in unseren wesentlichen Herkunftsmärkten abholen: bei Autobahnraststätten, an Verkehrsknotenpunkten, bei großen Freizeiteinrichtungen, in Themenparks, Stadien, Kino/Shopping/Food-Tempel etc.
…wie wir noch schneller Daten und Informationen über das Freizeitverhalten und den Urlaubsbedarf unserer potenziellen Gäste erhalten.
In diesem Brief ist die komplexe Arbeit der Mitarbeiter in den Tourismusorganisationen sehr schön dargestellt.
Auch wenn es vielleicht gerade in der jetzigen Zeit nicht „passend“ scheint, die Fokusierung auf das „verkaufen“ sollte man auf einer kritischen Prüfung unterziehen.
Betrachtet man den Gesamtumsatz einer Destination, wieviel Prozent kommt tatsächlich von der Tourismusorganisation? Welche Voraussetzungen müssen in Bezug auf Angebotsverfügbarkeiten und Preisgestaltung vorhanden sein, um im Wettbewerb der Reiseverkäufer erfolgreich reusieren zu können?
Wie beeinflusst die Entwicklung im Social Web den Planungs-, Entscheidungs-, Kauf- und Nachkaufsprozess?
Die Strukturen sollten nicht nur aus der Innensicht sondern vor allem auch unter Berücksichtigung der Markt- und Technologieentwicklung beurteilt werden.
Vielleicht würde eine Webseite für Österreich genügen?
Vielleicht auch ein Tourismusverband?
P.S.: Natürlich sind diese Gedanken aufgrund der historischen Entwicklung Utopie. Dennoch, wie würden Experten die Tourismusorganisationsstruktur heute am Reißbrett planen?
Persönlichkeiten, die in Tourismusorganisationen an der Front stehen, brauchen neben touristischem Fachwissen vor allem Führungs- und Managementqualitäten. Für spezifische Aufgabenfelder wie Produkt- und Angebotsentwicklung, Marketing u. a. können und sollen im Sinne einer professionellen Arbeitsteilung innerhalb der Organisation Spezialisten zur Verfügung stehen.
Adäquate Aufgabenteilung und effizienter Einsatz personeller und finanzieller Ressourcen setzen Tourismusorganisationen voraus, die eine entsprechende Größe und Finanzkraft besitzen. Viele Tourismusverbände bzw. „Destinationen“ sind aber immer noch viel zu klein, um diesen Anforderungen auch nur einigermaßen gerecht werden zu können. Das gilt selbst für Tirol, wo trotz der Fusionierungswelle in den vergangenen Jahren nach wie vor Einheiten bestehen, die zu schwach sind, um am Markt erfolgreich agieren zu können.
Neben der zweifellos dringenden Diskussion um die klare Aufgabenverteilung zwischen der Bundes-, Landes- und Regionsebene darf nicht übersehen werden, dass in viel zu vielen Fällen bei der Aufgabenverteilung zwischen der Regions- und der Ortsebene enormer Handlungsbedarf besteht. Zahlreiche Destinationsorganisationen haben nach wie vor kein Durchgriffsrecht auf die Ortsebene, was z.B. die systematische Produktentwicklung extrem erschwert und was nicht zuletzt auch dazu führt, dass selbst kleine Orte wider besseres Wissen Werbemittel und andere Dinge produzieren, die kein Mensch braucht. Hier ist noch viel zu tun! Insbesondere sind die Destinationsorganisationen zu stärken und mit den erforderlichen Kompetenzen und Mitteln auszustatten. Dabei auf Problemlösungen von unten und auf basisdemokratische Prozesse zu warten heißt Vogel-Strauß-Politik zu betreiben. Denn quer durch die Alpen zeigt die Erfahrung, dass für die Bildung größerer und zukunftsfähiger Destinationen mehr als nur sanfter Druck von oben notwendig ist.
Die Bildung von Destinationen mit all den damit verbundenen Aufgaben ist keine einmalige Geschichte. Destinationen bedürfen einer ständigen Weiterentwicklung, wobei Bisheriges kritisch hinterfragt und mit Blick auf die sich ändernden Rahmenbedingungen permanent neu gestaltet werden muss. Daher wird es immer wieder einmal erforderlich sein, die Gewichtung von Kompetenzen in Destinationsorganisationen und die Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Ebenen nachzujustieren. Die Überarbeitung der österreichischen Tourismusstrategie kann als Anlass dienen, über diese Fragen nachzudenken und auch dazu Perspektiven für das neue Tourismus-Jahrzehnt aufzuzeigen.
Kommentieren