Tourismus im Speckgürtel?
Im Vorfeld des Neubaus der in die Jahre gekommenen Patscherkofelbahn in Innsbruck-Igls haben die Innsbrucker Stadtführung und Innsbruck Tourismus den Entwicklungsprozess „Rund um Patscherkofel und Glungezer“ initiiert, in den die Stadtteile Igls und Vill sowie sieben benachbarte Gemeinden eingebunden sind. Wesentlicher Hintergrund ist das Bestreben, gute Voraussetzungen für ausreichende Frequenzen bei der neuen Bergbahn zu schaffen, was im Tiroler Zentralraum mit seiner hohen Seilbahndichte durchaus eine Herausforderung darstellt.
Entwicklungsprozess mit touristischer Intention
Im Entwicklungsprozess wurden Zukunftsperspektiven für Orte und Gemeinden erarbeitet, die in den vergangenen Jahrzehnten zu Schlaforten geworden sind. Sie bieten nur wenige Arbeitsplätze, weisen eine hohe Auspendlerquote auf und die Bevölkerung ist zu einem guten Teil urban geprägt. Die Ortskerne liegen in Höhen zwischen 750 und 1050 m auf dem „Innsbrucker Mittelgebirge“, einem hier nach Norden und Westen offenen Plateau mit sanft geformten Bergen bis zu 2700 m Höhe im Hintergrund.
Als Positionierung kristallisierte sich „Die aktivierende Vitalregion“ heraus, angesichts einiger in der Region verankerter, international erfolgreicher Leitbetriebe mit Ressortcharakter ein durchaus naheliegender Ansatz. Dem folgen auch die dem Leistungskern „aktivierende Vitalregion“ zugrunde liegenden, sogenannten Erfolgsmuster wie beschauliches Plateau, Einklang mit der Natur, Quelle der Lebensenergie, schnelle Auszeit oder kultiviert und genussvoll.
Die aus den Zielen abgeleiteten Projekte weisen dann allerdings keinen durchgängigen touristischen Bezug auf. Bei näherer Betrachtung wird rasch klar, dass der Fokus der Umsetzung nicht allein auf dem Tourismus, sondern in besonderem Maße auch auf der Lebensqualität der in der Region lebenden Menschen liegt. Selbstverständlich sollen die zu erreichenden Qualitäten auch Tagesgästen und Touristen zugutekommen, ganz nach dem Motto, wonach ein attraktiver Lebensraum auch ein attraktiver Freizeit- und Erholungsraum sein kann.
Realistische Einschätzung des Potenzials
Dass im Prozess keine touristische Euphorie ausgebrochen ist, kann wohl auf den realistischen Blick zahlreicher beteiligter Stakeholder zurückgeführt werden. Denn der Tourismus verzeichnete hier über die Jahre hinweg starke Rückgänge – der Verlust an Gästebetten beträgt seit Beginn der 1990er Jahre rund 60 % (aktueller Stand: 2.000 Gästebetten bei 14.000 Einwohnern). Parallel dazu kam es zu einem Verlust an Nächtigungen, der erst in letzter Zeit durch die bereits erwähnten Top-Betriebe im Gesundheitsbereich ein Stück weit aufgefangen werden konnte.
Mitverantwortlich für dieses Ergebnis ist insbesondere auch die Tatsache, dass die Region einen attraktiven Lebensraum für viele Zugezogene darstellt, die, urban geprägt, wenig Affinität zum Tourismus aufweisen und die vom Wohnort aus die Stadt mit ihrem vielfältigen Bildungs- und Arbeitsplatzangebot auf kurzem Wege erreichen können.
Aufgrund der Verluste an touristischer Suprastruktur (Beherbergung, Gastronomie) sowie der allgegenwärtigen Stadtumlandeffekte ist wohl davon auszugehen, dass sich in diesem zum Speckgürtel der Tiroler Landeshauptstadt gehörenden Raum Tourismus in größerem Umfang nicht mehr ausbilden wird. Höchstwahrscheinlich will das Gros der Bevölkerung das auch gar nicht. Dennoch wäre es im Hinblick auf die regionale Wertschöpfung vorteilhaft, wenn die Verbesserung der freizeittouristischen Infrastruktur und die Sicherung der Qualität der (noch vorhandenen) Kultur- und Naturlandschaft dazu beitragen, in Zukunft wieder mehr Tagesgäste und Touristen für den Besuch der Region zu motivieren. Vor diesem Hintergrund machen die im Entwicklungsprozess formulierten Projekte wie (Tages-) Vitalzentrum, gesunde Region, Wanderwege, Radwege, Hütten und Almen, landwirtschaftliche Produkte, Kunst und Kultur sowie Mobilität absolut Sinn.
Kompetenzen der Stadt als Positionierungselemente
Denn angesichts der Höhenlage und der Nähe zur Stadt mit ihren hochwertigen Einrichtungen (z.B. Universitätskliniken, Universitätssportinstitut) bietet sich der Raum – wie z.T. bereits realisiert – als Standort für spezialisierte Ganzjahresbetriebe mit Ressortcharakter an, deren Gäste die Nähe der Stadt und gleichzeitig das bis zu einem gewissen Grad noch ländliche Umfeld schätzen. Aber auch Gäste, die in Innsbruck einen mehrtägigen Aufenthalt verbringen (ein anspruchsvolles Ziel der Tourismusverantwortlichen der Stadt) könnten sich mit einem Schritt aus der Großstadt hinaus in einen ländlich geprägten Kultur- und Naturraum mit hohem Freizeitwert begeben.
Qualität des Lebensraums ist Qualität für den Tourismus
Vom Ausdünnen des Tourismus sind nicht nur im Weichbild von Innsbruck, sondern auch andernorts in den Alpen zahlreiche Gemeinden und Regionen in städtischen Agglomerationen betroffen. Auch wenn in solchen Räumen das touristische Angebot und die touristische Nachfrage insgesamt rückläufig sind, gibt es doch immer wieder Tourismusbetriebe, die unter geschickter Inwertsetzung der Stadt- bzw. Agglomerationsnähe erfolgreich agieren.
Im Sinne attraktiver Lebens- und Erholungsräume ist es daher zu begrüßen, wenn die Menschen Entwicklungsprozesse der hier angesprochenen Art nützen und Perspektiven für die Gestaltung ihres Lebensraums erarbeiten. Denn die Ergebnisse kommen nicht nur ihnen selbst zugute, sondern sie führen auch zu einer Erhöhung jener Qualitäten der Region, welche die dort situierten Tourismusbetriebe für ihr erfolgreiches Wirken benötigen. Damit wird sich im Speckgürtel alpiner Städte zwar kein flächendeckender Tourismus entwickeln, klar positionierte und an den positiven Aspekten des Spannungsfeldes von Stadt und Umland orientierte Tourismusbetriebe werden hier aber einen perfekten Standort vorfinden.
Sehr guter Artikel, der es auf den Punkt bringt. Mir fehlt noch etwas die Betrachtung der Schwächen der Region im Vergleich zu den reinen touristischen Regionen in den Tiroler Seitentälern.
Sehr schöne Dokumentation, welche Überlegungen die Region für die Positionierung hat(te).
@Christoph – diese Stärken/Schwächen Analysen sind oft auch eine Krux. Ich werde immer mehr zum Anhänger des – ausschließlich positiven – Zugangs im Marketing. „Was leistet eine Destination und für wen“ (frei nach D. Ogilvy)
Dies, gepaart mit einer Kommunikation, die auf den Bauch anstatt aufs Hirn zielt. Mehr braucht’s eigentlich nicht….
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